Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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stimmungen darüber sind dem noch zu erlassenen 
Unterrichtsgesetz vorbehalten, jedoch ist durch Mi- 
nisterialerlaß vom 15. Febr. 1876 angegeben, daß 
in der Regel der gesetzlich bestellte Ortspfarrer als 
das zur Leitung des Religionsunterrichts berufene 
Organ zu betrachten ist. Die Rechte und die 
Pflichten dieses Organs gibt der §8 9 des gedachten 
Erlasses an: „Der als Organ der Religionsgesell- 
schaft anerkannte Pfarrer ist berechtigt, dem schul- 
planmäßigen Religionsunterricht in der dafür an- 
gesetzten Stunde beizuwohnen, durch Fragen und 
stellenweises Eingreifen in den Unterricht sich da- 
von zu überzeugen, ob dieser vollständig und soch- 
gemäß erteilt wird, welche Fortschritte die Schüler 
gemacht haben, den Lehrer (jedoch nicht in Gegen- 
wart der Schüler) sachlich zu berichtigen, Wünsche 
und Beschwerden der staatlichen Aufsichtsbehörde 
vorzutragen und die Zensur in der Religion mit 
festzustellen.“ Der Staat wahrt sich ein Recht 
über die Erteilung des Religionsunterrichts in 
§ 10 a. a. O.: „Die Organe des Staats haben 
das Recht, dem gedachten Unterricht beizuwohnen; 
sie haben darauf zu achten, daß er zu den ange- 
setzten Stunden und nach Maßgabe der allgemeinen 
Bestimmungen erteilt wird; eine Einwirkung auf 
den Inhalt der Religionslehre steht aber der staat- 
lichen Aufsichtsbehörden nur insoweit zu, als die 
Religionslehre nichts enthalten darf, was dem 
bürgerlichen und staatsbürgerlichen Recht zuwider- 
läuft.“ Das Recht und die Interessen der Kirche 
sollen dadurch gewahrt werden, daß kein Lehrer da- 
zu berufen wird, der nicht durch die in Gegenwart 
eines bischöflichen Kommissars abgelegte Prüfung 
seine Befähigung dazu nachgewiesen hat, sowie 
dadurch, daß der gesetzlich bestellte Ortspfarrer zur 
Leitung und Beaufsichtigung berechtigt ist und die 
ständigen Vorgesetzten des Lehrers sich jeder Ein- 
wirkung auf den sachlichen Inhalt zu enthalten 
haben. Indes die letzte Entscheidung über die Aus- 
führung dieser Bestimmungen hat, solang das ver- 
sprochene Schulgesetz nicht existiert, der Kultus- 
minister. Da dieser aber in Preußen immer ein 
Protestant ist und auch wohl sein wird, so sind 
allerdings die Interessen der Protestanten hin- 
reichend geschützt, für die Katholiken fehlt aber 
jede Garantie und jeder maßgebende Einfluß auf 
die höchste Stelle. Daher sind sie dem Wohl= oder 
Übelwollen des protestantischen Ministers preis- 
gegeben. Dieses kann für sie um so verderblicher 
werden, weil der Wille des Ministers für alle 
nachgeordneten Behörden maßgebend ist, und man 
schon die katholischen Geistlichen als Kreisschul- 
inspektoren fast überall beseitigt und als Orts- 
schulinspektoren zu beseitigen angefangen hat, wäh- 
rend die protestantischen Geistlichen fast ausnahms- 
los in ihren Ausfsichtsstellungen geblieben sind. 
Bei der jetzigen antikirchlichen, ja antichristlichen 
Richtung großer politischer Parteien in den gesetz- 
gebenden Körperschaften können leicht die gesetz- 
lichen und administrativen Bestimmungen in ihr 
Gegenteil verwandelt werden. Daher werden die 
  
Religionsunterricht. 
  
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Katholiken darauf Bedacht nehmen müssen, daß 
der kirchliche Religionsunterricht in allen Schul- 
anstalten von den Geistlichen erteilt wird, und daß 
die Lehrer zur Erteilung des schulplanmäßigen 
Unterrichts die missio canonica sich zu verschaffen 
verpflichtet sind. 
Neben dem schulplanmäßigen Religionsunter- 
richt überläßt der Staat den anerkannten Reli- 
gionsgesellschaften in der Schulzeit das ganze 
Jahr hindurch wöchentlich 2 Stunden zur Ver- 
tiefung und Erweiterung des schulplanmäßig er- 
teilten Religionsunterrichts und außerdem 2 wei- 
tere Stunden 2 bis 4 Monate hindurch zur Vor- 
bereitung auf den Empfang der Sakramente. 
Dieses ist der kirchliche Religionsunter- 
richt. Er ist fakultativ; um seinen Inhalt küm- 
mert sich der Staat gar nicht und verhält sich der 
Erteilung gegenüber negativ, indem er nur ver- 
langt, daß durch ihn das Staatsinteresse nicht 
geschädigt und der Gesamtunterricht nicht in un- 
zulässiger Weise beeinträchtigt wird. Die Grund- 
lage, welche für den ganzen preußischen Staat 
hierin Recht schafft, finden wir in dem Mini- 
sterialerlaß vom 18. Febr. 1876 über „Leitung 
und Erteilung des Religionsunterrichts in katho- 
lischen Schulen“ (8 11 u. 12). Die äußere 
Reglung des kirchlichen Religionsunterrichts ist 
den Regierungen überlassen und hat sich der 
Kultusminister mit der Verfügung der Königlichen 
Regierung in Arnsberg, daß in den letzten Schul- 
jahren wöchentlich 2 Stunden für den Katechumenen- 
und 2 weitere Stunden für den Konfirmations- 
unterricht verwendet und daß diese Anordnung 
auch in den katholischen Schulen angewendet werde, 
einverstanden erklärt (Ministerialerlaß vom 20. Dez. 
1876). — Für die Protestanten scheint von allen 
Regierungen eine entsprechende Anordnung ge- 
troffen zu sein. Für die Katholiken hat sonder- 
barerweise von der Einrichtung des kirchlichen 
Religionsunterrichts bis jetzt nur die Dihzese 
Paderborn im vollen Umfang Gebrauch gemacht, 
und zwar nach einer Verfügung des General- 
vikariats vom 7. Mai 1902. 
Auf den Gymnasien und Realschulen 
ist gleichfalls ein besonderer kirchlicher Religions- 
unterricht vorgesehen. Der Ministerialerlaß vom 
16. Okt. 1860, U. 22 405 setzt fest: „1) Der 
Religionsunterricht der Schule und der kirchliche 
Katechumenen= und Konfirmationsunterricht bilden 
je für sich ein selbständiges Ganzes. In den 
höheren Schulen ist der Religionsunterricht ein 
integrierender Teil des Lehrplans jeder Klasse. 
Demgemäß dürfen auf diesen Anstalten die Re- 
ligionsstunden nicht so gelegt werden, daß die 
Katechumenen verhindert sind, daran teilzunehmen. 
2) Der Katechumenen= und Konfirmandenunter- 
richt wird in der Regel in 2 Stunden von 11 bis 
12 Uhrerrteilt und sind diese Stunden entweder frei 
zu lassen oder mit solchen Lehrgegenständen zu be- 
legen, von denen eine Dispensation zulässig ist.“ 
Diese Bestimmungen geben die Möglichkeit, der
	        
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