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gehören Selbstmord, Verbrechen wider die Sittlich-
keit, Doppelehe, Verwandtenmord, Kindsmord,
Beschimpfung Verstorbener, Wucher, Meineid,
Fälschung. Unter den Religionsverbrechen kann
man unterscheiden reine und gemischte Religions-
verbrechen, je nachdem die Handlung ausschließlich
gegen die Religion gerichtet ist, z. B. die Gottes-
lästerung, oder zugleich noch ein anderes Rechts-
gut verletzt, wie der Kirchendiebstahl. Ein straf-
rechtlicher Schutz der Religion als der Grundlage
der sittlichen Ordnung, des Staats und der Gesell-
schaft, insbesondere alles Rechts und jeder recht-
mäßigen Autorität, entspricht der Pflicht und dem
Interesse des Staats und der Staatsangehörigen.
Treffend ist der Ausspruch der Bischöfe im Ful-
daer Hirtenbrief vom 1. Okt. 1890: „Die Maje-
stät des Königs Himmels und der Erde wird nie
öffentlich mißachtet, ohne daß die Gewalt der
irdischen Obrigkeit, welche nur ein Ausfluß der
göttlichen Machtvollkommenheit ist, darunter leidet
und mit ihr der Bestand der bürgerlichen Gesell-
schaft Schaden nimmt.“
A. Römisches Recht. I. Zur Zeit des Hei-
dentums kannte der römische Staat zwar eine
Staatsreligion, behandelte dieselbe aber als eine
lediglichdem Staat dienende Einrichtung, welche aus
politischen Zweckmäßigkeitsgründen nur insoweit
geschützt wurde, als durch ihre Verletzung mittel-
bar auch der Staat verletzt oder gefährdet erschien.
1. Von der Staatsreligion abweichende Reli-
gionsansichten wurden insolange geduldet, als diese
nicht die öffentliche Ordnung störten, insbesondere
sittenverderblich erschienen oder die Staatsreligion
durch Abtrünnigmachung ihrer Anhänger beein-
trächtigten. Reden und Schreiben gegen die Staats-
religion, selbst wenn es in verletzender Form ge-
schah, scheint niemals zu einem Strafprozeß geführt
zu haben. Dagegen galt die Verweigerung der
Opfer für die dü populi romani als eine Be-
leidigung des römischen Volks, welche die Kapital-
strafe forderte; mochte man von dieser Auffassung
gegenüber den Götterleugnern und den fremden
heidnischen Kulten auch keinen Gebrauch machen,
so war sie doch ganz geeignet, für die Christen-
verfolgungen den Schein eines Rechtsgrunds abzu-
geben. Wegen Störung der öffentlichen Ordnung
ist gegen die Bacchanalien (186 v. Chr.) mit Hin-
richtung der Schuldigsten und Zerstörung der
Versammlungsorte vorgegangen worden; wohl
aus demselben Grund wurde ausgangs der repu-
blikanischen Zeit und anfangs der Kaiserzeit wieder-
holt die Verehrung der ägyptischen Götter (Isis,
Anubis, Serapis) unter Strafandrohungen und
Vernichtung der Heiligtümer verboten; die Unter-
drückung des von Druiden gepflegten keltischen
Nationalkultus in Rom durch Augustus scheint
auch hierher zu gehören. Die wechselnden Be-
drückungen der Christen und Juden geschahen
wegen Beeinträchtigung der Staatsreligion. Die
Christen genossen weniger Duldung als die Juden,
bis nach zehn grausamen Verfolgungen Konstantin
Religionsverbrechen.
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das Toleranzedikt (313 n. Chr.) erließ. Auch so-
weit die Juden geduldet wurden, war ihnen unter
harter Strafe verboten, Römer in ihre Religions-
gemeinschaft aufzunehmen und zu beschneiden; der
Römer, der sich beschneiden ließb, wurde mit Kon-
fiskation und Relegation bestraft.
2. Neben dem vom Staat autorisierten Divi-
nationssystem der augures und haruspices be-
standen von jeher Wahrsager aus fremden Kulten
(cbaldaei, astrologi, mathematici, arioli, vati-
cinatores) und Zauberer (magi, malefici). Das
Vorhersagen der Zukunft war ursprünglich nur
insoweit verpönt, als der fremde Kultus überhand
nahm; in der Kaiserzeit führte aber die politische
Gefährlichkeit des Wahrsagens zu strengeren Stra-
sen: der Wahrsager wurde körperlich gezüchtigt,
aus der Stadt ausgewiesen und im Fall des Un-
gehorsams deportiert oder relegiert. Auch die den
Wahrsager Befragenden wurden bestraft; im Fall
Wahrsagens über die Zukunft des Kaisers und
des Staats wurden Wahrsager und Befragende
hingerichtet. Die über die Zukunft ihres Herrn
fragenden Sklaven wurden gekreuzigt. Die Zau-
berei, welche durch übernatürliche Mittel die na-
türliche Ordnung der Dinge umzukehren sucht,
wurde nur dann bestraft, wenn sie angewendet
wurde, um andern zu schaden. Schon im Zwölf-
tafelgesetz wird das Verhexen der Früchte (qui
fruges excantassit) und das Herüberzaubern
von fremdem Getreide auf den eignen Acker (neve
alienam segetem pellexeris) erwähnt; erst in
späterer Zeit ist auch von Zauberei gegen Leib
und Leben (obcantare — beschreien; deligere
— schwächen) sowie von zauberischen Einwirkungen
auf den Willen anderer, insbesondere von Liebes-
tränken mit Zauberformeln (obligare = zur Liebe
fesseln) die Rede; dabei wird veneficium und
Zauberei nebeneinandergestellt und das Schlachten
von Kindern als Zaubermittel hervorgehoben.
Die Zauberer werden lebendig verbrannt; die für
sich zaubern lassen, werden je nach ihrem Stand
gekreuzigt, den Tieren vorgeworfen oder einfach
bingerichtet.
3. Verletzung der Begräbnisstätten und der
Grabdenkmale (sepuleri violatio) sowie Ver-
letzung des Begräbnisses und der Leichname wurde
mit Geldstrafe, in schwereren Fällen sehr hart, sogar
mit dem Tod und condemnatio ad metalla be-
straft. Zu ersterer Straftat wurde auch das Ge-
brauchen des sepulerum zu andern Zwecken,
namentlich als Wohnung, ferner das Anbauen
einer Wohnung und das unbesugte Bestatten des
Leichnams in einer fremden Grabstätte gerechnet;
zu letzterer Straftat gehörte das Aufhalten eines
Leichenzugs auf der Straße, das Entblößen und
Berauben der Leiche.
4. Auf Tempelraub und Diebstahl an den
den Göttern geweihten Sachen (sacrilegium im
engsten Sinn des Wortes) war aquae et ignis
interdictio, später deportatio, damnatio ad
bestias, ad metalla oder Todesstrafe gesetzt.