Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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gehören Selbstmord, Verbrechen wider die Sittlich- 
keit, Doppelehe, Verwandtenmord, Kindsmord, 
Beschimpfung Verstorbener, Wucher, Meineid, 
Fälschung. Unter den Religionsverbrechen kann 
man unterscheiden reine und gemischte Religions- 
verbrechen, je nachdem die Handlung ausschließlich 
gegen die Religion gerichtet ist, z. B. die Gottes- 
lästerung, oder zugleich noch ein anderes Rechts- 
gut verletzt, wie der Kirchendiebstahl. Ein straf- 
rechtlicher Schutz der Religion als der Grundlage 
der sittlichen Ordnung, des Staats und der Gesell- 
schaft, insbesondere alles Rechts und jeder recht- 
mäßigen Autorität, entspricht der Pflicht und dem 
Interesse des Staats und der Staatsangehörigen. 
Treffend ist der Ausspruch der Bischöfe im Ful- 
daer Hirtenbrief vom 1. Okt. 1890: „Die Maje- 
stät des Königs Himmels und der Erde wird nie 
öffentlich mißachtet, ohne daß die Gewalt der 
irdischen Obrigkeit, welche nur ein Ausfluß der 
göttlichen Machtvollkommenheit ist, darunter leidet 
und mit ihr der Bestand der bürgerlichen Gesell- 
schaft Schaden nimmt.“ 
A. Römisches Recht. I. Zur Zeit des Hei- 
dentums kannte der römische Staat zwar eine 
Staatsreligion, behandelte dieselbe aber als eine 
lediglichdem Staat dienende Einrichtung, welche aus 
politischen Zweckmäßigkeitsgründen nur insoweit 
geschützt wurde, als durch ihre Verletzung mittel- 
bar auch der Staat verletzt oder gefährdet erschien. 
1. Von der Staatsreligion abweichende Reli- 
gionsansichten wurden insolange geduldet, als diese 
nicht die öffentliche Ordnung störten, insbesondere 
sittenverderblich erschienen oder die Staatsreligion 
durch Abtrünnigmachung ihrer Anhänger beein- 
trächtigten. Reden und Schreiben gegen die Staats- 
religion, selbst wenn es in verletzender Form ge- 
schah, scheint niemals zu einem Strafprozeß geführt 
zu haben. Dagegen galt die Verweigerung der 
Opfer für die dü populi romani als eine Be- 
leidigung des römischen Volks, welche die Kapital- 
strafe forderte; mochte man von dieser Auffassung 
gegenüber den Götterleugnern und den fremden 
heidnischen Kulten auch keinen Gebrauch machen, 
so war sie doch ganz geeignet, für die Christen- 
verfolgungen den Schein eines Rechtsgrunds abzu- 
geben. Wegen Störung der öffentlichen Ordnung 
ist gegen die Bacchanalien (186 v. Chr.) mit Hin- 
richtung der Schuldigsten und Zerstörung der 
Versammlungsorte vorgegangen worden; wohl 
aus demselben Grund wurde ausgangs der repu- 
blikanischen Zeit und anfangs der Kaiserzeit wieder- 
holt die Verehrung der ägyptischen Götter (Isis, 
Anubis, Serapis) unter Strafandrohungen und 
Vernichtung der Heiligtümer verboten; die Unter- 
drückung des von Druiden gepflegten keltischen 
Nationalkultus in Rom durch Augustus scheint 
auch hierher zu gehören. Die wechselnden Be- 
drückungen der Christen und Juden geschahen 
wegen Beeinträchtigung der Staatsreligion. Die 
Christen genossen weniger Duldung als die Juden, 
bis nach zehn grausamen Verfolgungen Konstantin 
Religionsverbrechen. 
  
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das Toleranzedikt (313 n. Chr.) erließ. Auch so- 
weit die Juden geduldet wurden, war ihnen unter 
harter Strafe verboten, Römer in ihre Religions- 
gemeinschaft aufzunehmen und zu beschneiden; der 
Römer, der sich beschneiden ließb, wurde mit Kon- 
fiskation und Relegation bestraft. 
2. Neben dem vom Staat autorisierten Divi- 
nationssystem der augures und haruspices be- 
standen von jeher Wahrsager aus fremden Kulten 
(cbaldaei, astrologi, mathematici, arioli, vati- 
cinatores) und Zauberer (magi, malefici). Das 
Vorhersagen der Zukunft war ursprünglich nur 
insoweit verpönt, als der fremde Kultus überhand 
nahm; in der Kaiserzeit führte aber die politische 
Gefährlichkeit des Wahrsagens zu strengeren Stra- 
sen: der Wahrsager wurde körperlich gezüchtigt, 
aus der Stadt ausgewiesen und im Fall des Un- 
gehorsams deportiert oder relegiert. Auch die den 
Wahrsager Befragenden wurden bestraft; im Fall 
Wahrsagens über die Zukunft des Kaisers und 
des Staats wurden Wahrsager und Befragende 
hingerichtet. Die über die Zukunft ihres Herrn 
fragenden Sklaven wurden gekreuzigt. Die Zau- 
berei, welche durch übernatürliche Mittel die na- 
türliche Ordnung der Dinge umzukehren sucht, 
wurde nur dann bestraft, wenn sie angewendet 
wurde, um andern zu schaden. Schon im Zwölf- 
tafelgesetz wird das Verhexen der Früchte (qui 
fruges excantassit) und das Herüberzaubern 
von fremdem Getreide auf den eignen Acker (neve 
alienam segetem pellexeris) erwähnt; erst in 
späterer Zeit ist auch von Zauberei gegen Leib 
und Leben (obcantare — beschreien; deligere 
— schwächen) sowie von zauberischen Einwirkungen 
auf den Willen anderer, insbesondere von Liebes- 
tränken mit Zauberformeln (obligare = zur Liebe 
fesseln) die Rede; dabei wird veneficium und 
Zauberei nebeneinandergestellt und das Schlachten 
von Kindern als Zaubermittel hervorgehoben. 
Die Zauberer werden lebendig verbrannt; die für 
sich zaubern lassen, werden je nach ihrem Stand 
gekreuzigt, den Tieren vorgeworfen oder einfach 
bingerichtet. 
3. Verletzung der Begräbnisstätten und der 
Grabdenkmale (sepuleri violatio) sowie Ver- 
letzung des Begräbnisses und der Leichname wurde 
mit Geldstrafe, in schwereren Fällen sehr hart, sogar 
mit dem Tod und condemnatio ad metalla be- 
straft. Zu ersterer Straftat wurde auch das Ge- 
brauchen des sepulerum zu andern Zwecken, 
namentlich als Wohnung, ferner das Anbauen 
einer Wohnung und das unbesugte Bestatten des 
Leichnams in einer fremden Grabstätte gerechnet; 
zu letzterer Straftat gehörte das Aufhalten eines 
Leichenzugs auf der Straße, das Entblößen und 
Berauben der Leiche. 
4. Auf Tempelraub und Diebstahl an den 
den Göttern geweihten Sachen (sacrilegium im 
engsten Sinn des Wortes) war aquae et ignis 
interdictio, später deportatio, damnatio ad 
bestias, ad metalla oder Todesstrafe gesetzt.
	        
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