Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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II. Das zur Staatsreligion gewordene Chri- 
stentum beanspruchte in der dem Staat zur 
Seite tretenden Organisation der Kirche eine selb- 
ständige Bedeutung und duldete grundsätzlich weder 
heidnische Kulte noch Abweichungen von der kirch- 
lichen Lehre oder Zucht. Die Religionsverbrechen, 
gerichtet gegen die gemeinsamen höchsten Güter des 
öffentlichen Lebens, galten als die schwersten Ver- 
brechen, welche wie Hochverrat zu bestrafen waren. 
1. Der Abfall vom christlichen Glauben (apo- 
stasia) wurde mit Vermögenskonfiskation, Verlust 
des Erbrechts und Infamie, die Proselytenmacherei 
mit gleicher und nach Befinden mit noch härterer 
Strafe, sogar mit Todesstrafe bedroht (C. Th. de 
apost. 16, 7; C. de apost. 1, 7). Der Abfall 
von der kirchlichen Lehrautorität (haeresis) und 
die Trennung von dem kirchlichen Oberhaupt 
(schisma) hatte im allgemeinen die Entziehung 
der den Katholiken zustehenden Privilegien, Be- 
schränkungen im Aufenthaltsrecht, Unfähigkeit zum 
Staats= und Militärdienst und zivilrechtliche Nach- 
teile, namentlich Verlust des Erbrechts, zur Folge. 
Die Abhaltung verbotener Zusammenkünfte wurde 
mit Geld und Konfiskation des Versammlungs- 
orts, Bruch des Stadtverbots mit Konfiskation 
und dem Tod bestraft; die Geistlichen der Häretiker 
wurden ausgewiesen oder deportiert. Einzelne 
Sekten wurden strenger, sogar mit Hinrichtung, 
andere milder bestraft; als besonders strafbar 
galten die Manichäer und Wiedertäufer (vgl. C. Th. 
de haer. 16, 5; ne sanct. bapt. 16, 6; C. de 
haeret. 1, 5; ne sanct. bapt. 1, 6). Gegenüber 
der Anwendung der Todesstrafe wie überhaupt 
gegenüber der Härte der weltlichen Strafen wurde 
übrigens von kirchlicher Seite nicht selten eine 
mildere Behandlung der Schuldigen empfohlen 
Garcke, Handb. des gemeinen deutschen Straf- 
rechts II 16, 17). Zahlreiche Strafbestimmungen 
enthalten die Konstitutionen der christlichen Kaiser 
gegen die Anhänger des Heidentums (gentiles, 
pagani), welchen Geldstrafen, Konfiskation und 
Ehrenstrafen, sogar Exil und Todesstrafe ange- 
droht wurde (C. Th. de pagan. 16, 10; C. de 
pagan. 1, 11). Die Juden wurden zwar geduldet, 
aber den Christen in manchen Beziehungen nach- 
gesetzt; das Beschneiden eines Christen wurde mit 
Konfiskation und Deportation, das Beschneiden 
eines christlichen Sklaven mit Todesstrafe geahndet. 
Ehen zwischen Christen und Juden waren bei 
Todesstrafe verboten (C. Th. 16, 8.9; C. 1, 9.10). 
2. Die Divination wurde nunmehr verfolgt als 
ein mit dem Teufel ausdrücklich oder stillschweigend 
abgeschlossenes Bündnis, mittels dessen verborgene, 
insbesondere zukünftige Dinge, deren Kenntnis 
der Mensch nur von Gott erhalten kann, erforscht 
werden sollen; ebenso wurde nunmehr die Zauberei 
als ein mit dem Teufel zur Hervorbringung 
bestimmter Wirkungen abgeschlossenes Bündnis 
schlechthin bestraft. Konstantin verbot das Be- 
fragen der haruspices in Privathäusern beie 
Todesstrafe für den haruspex, Konfiskation und 
Religionsverbrechen. 
  
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Deportation für den Einladenden. Sein Sohn 
Konstantius untersagte die divinandi curiositas 
gänzlich bei Strafe des Schwerts und setzte Todes- 
strafe auf die Zauberei (elementa turbare, vitas 
insontium labefactare, Tote zitieren usw.). Va- 
lentinian verbot die Haruspizien nur, wenn sie 
nocenter geübt wurden, während gleichzeitig 
Valens im Orient die mathematici und deren 
Befrager mit Todesstrafe verfolgte. Theodosius 
untersagte alle Opfer und das Erforschen der 
Zukunft aus den Opfertieren, und Honorius 
drohte Deportation den mathematici. Justinian 
behielt die alten Strafandrohungen bei, rechnete 
aber die gegen Leben und Gesundheit gerichtete 
Zauberei zur lex Cornelia de sicariis. Als 
Unterart des Wahrsagens wird in dieser Zeit neben 
der Astrologie auch das Loswerfen (sortilegium) 
erwähnt. 
3. Als Verunehrung Gottes (blasphemia im 
weiteren Sinn) wurde die Gotteslästerung (blas- 
phemia im engeren Sinn) und das Schwören 
beim Haar oder Haupt mit Todesstrafe bedroht, 
damit nicht der göttliche Zorn, wenn dieses Ver- 
brechen ungestraft bliebe, den Staat mit Hungers- 
not, Erdbeben und Pest heimsuche (Nov. 77). 
Auch die Lästerung von Gegenständen der religiösen 
Verehrung, selbstverständlich nur der christlichen 
Kirche, wurde hierher gerechnet. 
4. Jede Verletzung einer Gott geweihten Person, 
Ortlichkeit oder Sache (sacrilegium im weiteren 
Sinn) wurde strenge bestraft, die alten harten. 
Strafen gegen sepulcri violatio und Tempelraub 
zum Teil noch verschärft (ogl. D. 47, 12; C. 9, 19). 
Injurien gegen Geistliche während ihrer Amts- 
handlungen wurden mit körperlicher Züchtigung 
und Exil, Störung und Verhinderung des kirch- 
lichen Gottesdienstes (turbatio sacrorum) unter 
Justinian sogar mit Kapitalstrafe bedroht (Nov. 
123, c. 31). 
B. Deutsches Rechk. I. Das ältere Recht. 
Die grundsätzliche Auffassung der Religionsver= 
brechen als der strafwürdigsten Verbrechen, welche 
nach Analogie des Hochverrats zu bestrafen seien, 
erhielt sich unverändert während des ganzen Mittel- 
alters und im wesentlichen noch nach der Kirchen- 
trennung bis zu der in der 2. Hälfte des 18. Jahrh. 
in der Gesetzgebung zur Geltung gekommenen sog. 
Aufklärungsperiode. 
1. Auch die christlichen Fürsten der germa- 
nischen Völker unterdrückten das Heidentum 
durch Androhung schwerer Strafen; Karl der 
Große bedrohte die Sachsen, welche die Taufe 
verschmähten oder mit den Heiden in der Feind- 
schaft gegen die Christen verharrten, mit Todes- 
trafe. · 
s Für die Bestrafung der Ketzerei (erimen. 
haereticae pravitatis) war von besonderer Wich- 
tigkeit, daß sich schon seit dem 8. Jahrh. ein Ge- 
wohnheitsrechtbildete,wonachdie Exkommunikation 
von seiten der Kirche, wenn der Exkommunizierte 
sich nicht aus der Exkommunikation böste, die Reichs- 
 
	        
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