Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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ein furchtbares Mittel fand, um „Geständnisse“ 
und Nennung neuer Komplizen zu erpressen. Die 
sächsische Kriminalordnung von 1572 ging sogar 
über die Carolina hinaus, indem sie die Hexerei 
auch ohne Schadenstiftung mit dem Feuertod be- 
drohte. Die wirksamsten Bücher gegen diesen 
scheußlichen Mißbrauch der Justiz schrieben der 
Jefuit Spee (1631) und der protestantische Jurist 
Thomasius (1701 ff). Der letzte deutsche Hexen- 
prozeß spielte 1749 zu Würzburg; die letzte Hin- 
richtung einer Hexe erfolgte 1783 in dem prote- 
stantischen Kanton Glarus. 
3. Die Verunehrung Gottes wird ganz im 
Sinn des justinianischen Rechts zur Abwendung 
des göttlichen Zorns und seiner Folgen mit strenger 
Strafe bedroht und von der Doktrin als crimen 
laesae maiestatis divinae behandelt (vgl königl. 
Satzung von den Gotteslästerern, Worms 1495, 
und Reichsabschiede von 1500, Tit. 33, von 1512, 
Tit. 4; Reichspolizeiordnung von 1530, Tit. 1; 
Carolina Art. 106; Reichspolizeiordnung von 
1548 und 1577, wo überall neben der Gottes- 
lästerung auch das frevelhafte Schwören, Fluchen 
und Sakramentieren angeführt wird). Die Ca- 
rolina droht gegen „gottschwerer oder gottesleste- 
rung“ Strafen an Leib, Leben oder Gliedern: 
aso eyner gott zumist, was gott nit bequem ist, 
oder mit seinen worten gott, das ihm zusteht, ab- 
schneidet, der almechtigkeyt gottes, seine heylige 
mutter, die jungkfraw Maria schendet“. Sehr 
strenge Strafbestimmungen gegen Gotteslästerung 
enthalten auch noch der Codex iuris bavarici 
eriminalis von 1751 und die Theresiana von 
1768. 
4. Die Verletzung der dem Gottesdienst gewid- 
meten Gebäude war zur heidnischen Zeit ein todes- 
würdiges Verbrechen, so lex Fris. 5, 1; Add. 11. 
Karl d. Gr. übertrug diesen Rechtssatz in Sachsen 
auf die christlichen Kirchen. Gegen Leichen= und 
Gräberschändung finden sich viele Strafbestim- 
mungen in den deutschen Volksrechten; nach 
fränkischem Recht wird der Leichenschänder fried- 
los (wargus sit). Außerdem bildcte eine eigen- 
tümliche Freveltat der Walraub, d. h. die Be- 
raubung eines toten Menschen, die wieder in Blut- 
raub und Reraub unterschieden wurde, je nachdem 
der Täter den Beraubten selbst getötet hatte oder 
nicht. Im späteren Recht treten an die Stelle 
dieser Strafvorschriften die aus dem römisch-kano- 
nischen Recht übernommenen Bestimmungen über 
Bestrafung des Sakrilegiums im weiteren und 
engeren Sinn des Wortes; auch die Strafbestim- 
mungen gegen turbatio sacrorum finden unver- 
ändert Anwendung. Der Kirchendiebstahl umfaßt 
nach der Carolina (Art. 171/175) den Diebstahl 
von heiligen oder geweihten Sachen, gleichviel, ob 
dieselben sich an geweihter oder ungeweihter Stätte 
befinden, sowie den Diebstahl von ungeweihten 
Sachen an geweihter Stätte; Diebstahl von gol- 
denen oder silbernen geweihten Gefäßen, Kelchen, 
Patenen sowie diebisches Einbrechen oder Auf- 
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl. 
Religionsverbrechen. 
  
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sperren einer Kirche, Sakristei oder eines Sakra- 
mentshäuschens wird mit dem Tod, Diebstahl 
einer Monstranz mit dem Allerheiligsten wird mit 
dem Feuertod bestraft; wer den „Stock, darinn 
man das heylig almusen samlet, aufbricht, sperret, 
oder wie er argklistig darauß stilt oder solches mit 
etlichen werken zu khun ontersteht“, wird an Leib 
oder Leben gestraft. Diese Abstufung der Strafen, 
insbesondere der Feuertod auf den Diebstahl der 
Monstranz mit dem Allerheiligsten, zeigt das Fest- 
halten an den spezifisch katholischen Anschauungen, 
während anderseits die Einreihung des Verbrechens 
unter den gemeinen Diebstahl die Ausscheidung 
des Falls aus den Reihen der Religionsverbrechen 
zum Ausdruck bringt. 
II. Das moderne Recht, herausgewachsen 
aus den Anschauungen der ungläubigen Aufklä- 
rungsphilosophie und der französischen Revolu- 
tion des 18. Jahrh., ist gekennzeichnet durch die 
Säkularisierung des Rechts, welche in der fort- 
schreitenden Entwicklung sich als Entchristlichung 
des Rechts offenbart. Demgemäß wird die Re- 
ligion vom modernen Staat nur insoweit noch ge- 
schützt, als handgreifliche Nützlichkeit für die 
Staatsordnung einen Rechtsschutz notwendig oder 
wünschenswert erscheinen läßt; zugleich zeigt sich 
mehrfach die Tendenz — den repressiven staatsrecht- 
lichen Schutz entsprechend dem Charakter des Po- 
lizeistaats zu ersetzen durch präventiven Polizei- 
zwang. Die Folge dieser Gestaltung der Rechts- 
ordnung ist, daß die Religionsverbrechen mehr 
und mehr aus dem Strassystem verschwinden. 
Einzelne Strafgesetzbücher, wie das von Feuerbach 
ausgearbeitete bayrische Strafgesetzbuch von 1813, 
kennen überhaupt keine Religionsverbrechen mehr; 
andere kennen sie mehr dem Namen als der Sache 
nach, denn die nähere Prüfung des Tatbestands 
ihrer einzelnen Religionsverbrechen ergibt, daß die 
Religionsverbrechen hier im Grunde genommen 
nur als Angriffe auf die Rechte der Religions- 
gesellschaften behandelt sind. Dieser Entwicklung 
entspricht auch die Art und Höhe der bei den Re- 
ligionsverbrechen angedrohten Strafen, welche, 
weit entfernt von der Strenge solcher Strafen, 
wie sie immer noch auf Verbrechen gegen die 
Grundlagen des Staats gesetzt sind, sich den ge- 
wöhnlichen Injurienstrafen nähern oder teilweise 
sogar unter dieselben herabgehen. — Der Vor- 
läufer des geltenden Rechts und der ihm unmittel- 
bar zugrunde liegenden Partikularstrafgesetzbücher 
ist folgender Rechtszustand: 
1. Der Abfall vom christlichen Glauben oder 
von der Lehrautorität der Kirche bzw. der im 
Staat privilegierten oder anerkannten Religions- 
gemeinschaften ist an sich straflos, wird aber unter 
Umständen strafbar. Die Voraussetzungen der 
Strafbarkeit sind in den einzelnen Staaten ver- 
schieden geregelt. Osterreich bestraft in dem jose- 
phinischen Strafgesetz von 1787, II, § 64, im 
Strafgesetztuch von 1803, 1, 8 107 und im 
Strafgesetzbuch von 1852, 8 122 die Ver- 
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