Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

613 
gänzt worden. Außerdem finden sich partikular- 
rechtliche Polizeistrafbestimmungen gegen Störung 
der öffentlichen Ordnung durch Fluchen und 
Schwören. 
5. Die schweren Strafdrohungen gegen Zau- 
berei und Wahrsagerei schrumpfen zusammen zu 
geringfügigen Strafen von polizeilichem Charakter. 
So enthält das preußische Allgemeine Landrecht 
(§§ 220/222) eine Androhung von vier= bis acht- 
wöchiger Freiheitsstrafe gegen abergläubische Gau- 
keleien, wenn jemand trotz vorausgegangener Be- 
lehrung wiederholt gewisse Religionshandlungen 
oder zum Gottesdienst bestimmte Sachen zu ver- 
meintlichen Zaubereien, Gespensterbannen, 8i- 
tieren Verstorbener, Schätzegraben u. dgl. miß- 
braucht hat; von diesem Fall abgesehen, sind aber- 
gläubische Gaukeleien nur Strafschärfungsgründe 
für den gemeinen Betrug und Diebstahl. Ein 
preußisches Reskript von 1797 stellt noch ins- 
besondere das Kartenschlagen, wenn es um des 
Gewinnes willen betrieben wird, unter Strafe. 
Ahnliche Strafbestimmungen enthält das bayrische 
Strafgesetzbuch von 1813, Art. 263, 264, gegen 
Geisterbeschwören, Schatzgraben, Zeichendeuten, 
Goldmachen. « 
III. Das geltende Recht ist enthalten in 
dem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 
15. Mai 1871. Dasselbe kennt keine Verbrechen 
gegen die Religion, sondern nur noch „Vergehen, 
welche sich auf die Religion beziehen“ (88 166 
bis 168); es schützt nicht mehr die Reli- 
gion als solche, sein Rechtsschutz gilt 
vielmehr nur noch den Religionsgesell- 
schaften, indem einmal die Grundlage ihres 
Daseins, der Gottesglaube, und sodann die Be- 
tätigungen dieses Glaubens in ihrer äußern orga- 
nisierten Vereinigung, ihren Einrichtungen und 
Gebräuchen, Kultusstätten und gottesdienstlichen 
Ubungen durch Strafdrohungen gegen Angriffe 
in gewissem Umfang gesichert sind. Die letzten 
Reste der Delikte der Apostasie, Häresie, Zauberei 
und Wahrsagerei sind hier beseitigt; auch soweit 
noch die Religionsverbrechen der vorigen Periode 
beibehalten sind, zeigt sich ihr Tatbestand gegen- 
über dem österreichischen Strafgesetz vom 27. Mai 
1852 wie gegenüber den deutschen Partikular= 
gesetzen, speziell gegenüber den Bestimmungen des 
preußischen Strafgesetzbuchs vom 14. April 1851, 
welche dem Reichsstrafgesetz zur Grundlage dienten, 
ganz erheblich abgeschwächt. Die Höhe der an- 
gedrohten Strafen kennzeichnet am besten die 
Anderung der Auffassung gegenüber dem früheren 
gemeinen Recht; z. B. Gotteslästerung ist mit 
Gefängnis von einem Tag bis drei Jahren, ver- 
leumderische Beleidigung mit Geldstrafe von 3 bis 
900 KM oder Gefängnis von einem Tag bis fünf 
Jahren, Majestätsbeleidigungen mit Gefängnis 
von zwei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. 
Die ganze Reglung der „Vergehen, welche sich auf 
die Religion beziehen“, ist völlig prinziplos. Die 
Verletzung des religiösen Gefühls soll maßgebend 
Religionsverbrechen. 
614 
sein für die Bestrafung der Gotteslästerung, da- 
gegen nicht für die Bestrafung der Beschimpfung 
der Religionsgesellschaften; trotz dieses subjektiven 
und rein privaten Tatbestandsmoments erfolgt das 
Einschreiten von Amts wegen, ohne Strafantrag. 
Der Schutz der Religionsgesellschaften ist nach 
Umfang und Inhalt willkürlich begrenzt, z. B. 
Einrichtungen und Gebräuche der nicht mit Kor- 
porationsrechten versehenen Religionsgesellschaften 
sind nicht gegen Beschimpfungen, wohl aber gegen 
Störung bei ihrer Ausübung geschützt. Zu den 
„Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen“, 
sind gerechnet der Leichendiebstahl und die Grab- 
schändung (§ 168), obschon diese Delikte jedes 
religiösen Charakters entkleidet sind, während die 
Beschimpfung Verstorbener, welche nach dem Ent- 
wurf noch den Religionsverbrechen eingereiht war, 
infolge Beschlusses des Reichstags in dem Abschnitt 
über Beleidigungen (§ 189), der Kirchendiebstahl, 
welcher auf den Diebstahl der dem Gottesdienst 
gewidmeten Gegenstände aus einem gottesdienst- 
lichen Gebäude beschränkt ist, beim gemeinen Dieb- 
stahl (§ 243, Ziffer 1) und Brandstiftung an 
gottesdienstlichen Gebäuden bei den „gemein- 
gefährlichen Verbrechen“ (8 306, Ziffer 1) unter- 
gebracht ist. Zusammengehörige Straftaten sind 
willkürlich auseinandergerissen: die Verübung be- 
schimpfenden Unfugs in einem zu religiösen Ver- 
sammlungen bestimmten Ort (§ 166) und Be- 
schädigung oder Zerstörung eines Grabes (8 168) 
ind als Religionsdelikte, dagegen Beschädigung 
oder Zerstörung von Gegenständen der Verehrung 
einer Religionsgesellschaft, von Sachen, die dem 
Gottesdienst gewidmet sind, und von Grabmälern 
als eine Sachbeschädigung (8 304) behandelt; un- 
befugte Wegnahme einer Leiche (§ 168) ist ein 
Religionsvergehen, unbefugte Wegnahme eines 
Leichenteils (§ 367, Ziffer 1) eine bloße Über- 
tretung. Zu den Übertretungen sind auch die Stö- 
rungen der Sonntags= und Festtagsfeier (8 366, 
Ziffer 1) gerechnet. 
Einer näheren Erörterung bedürfen nur folgende 
Vergehen: 1. Wegen Gotteslästerung straf- 
bar ist, „wer dadurch, daß er öffentlich in be- 
schimpfenden Außerungen Gottlästert, ein Argernis 
gibt“ (§ 166, 1. Fall). Der Entwurf hatte nach 
dem Vorgang des preußischen Strafgesetzbuchs 
vorgeschlagen, zu bestrafen, „wer öffentlich Gott 
lästert“; die Fassung des Gesetzes beruht auf einem 
Antrag des nationalliberalen Abgeordneten Lasker. 
Die Gotteslästerung als solche ist somit straflos, 
selbst wenn sie öffentlich erfolgt; nur das öffent- 
liche Argernisgeben durch eine mittels beschimp- 
fender Außerungen verübte Gotteslästerung ist 
trafbar. Die Praxis legt das Argernisgeben 
dahin aus, daß durch die Handlung mindestens 
bei einer Person Argernis erregt worden sein 
müsse, während nach der wörtlichen Bedeutung 
des Argernisgebens, im Gegensatz zum Argernis- 
nehmen, wie nach der geschichtlichen Entwicklung 
  
— 
  
der Strafbestimmung nur verlangt werden sollte, 
20“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.