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gänzt worden. Außerdem finden sich partikular-
rechtliche Polizeistrafbestimmungen gegen Störung
der öffentlichen Ordnung durch Fluchen und
Schwören.
5. Die schweren Strafdrohungen gegen Zau-
berei und Wahrsagerei schrumpfen zusammen zu
geringfügigen Strafen von polizeilichem Charakter.
So enthält das preußische Allgemeine Landrecht
(§§ 220/222) eine Androhung von vier= bis acht-
wöchiger Freiheitsstrafe gegen abergläubische Gau-
keleien, wenn jemand trotz vorausgegangener Be-
lehrung wiederholt gewisse Religionshandlungen
oder zum Gottesdienst bestimmte Sachen zu ver-
meintlichen Zaubereien, Gespensterbannen, 8i-
tieren Verstorbener, Schätzegraben u. dgl. miß-
braucht hat; von diesem Fall abgesehen, sind aber-
gläubische Gaukeleien nur Strafschärfungsgründe
für den gemeinen Betrug und Diebstahl. Ein
preußisches Reskript von 1797 stellt noch ins-
besondere das Kartenschlagen, wenn es um des
Gewinnes willen betrieben wird, unter Strafe.
Ahnliche Strafbestimmungen enthält das bayrische
Strafgesetzbuch von 1813, Art. 263, 264, gegen
Geisterbeschwören, Schatzgraben, Zeichendeuten,
Goldmachen. «
III. Das geltende Recht ist enthalten in
dem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom
15. Mai 1871. Dasselbe kennt keine Verbrechen
gegen die Religion, sondern nur noch „Vergehen,
welche sich auf die Religion beziehen“ (88 166
bis 168); es schützt nicht mehr die Reli-
gion als solche, sein Rechtsschutz gilt
vielmehr nur noch den Religionsgesell-
schaften, indem einmal die Grundlage ihres
Daseins, der Gottesglaube, und sodann die Be-
tätigungen dieses Glaubens in ihrer äußern orga-
nisierten Vereinigung, ihren Einrichtungen und
Gebräuchen, Kultusstätten und gottesdienstlichen
Ubungen durch Strafdrohungen gegen Angriffe
in gewissem Umfang gesichert sind. Die letzten
Reste der Delikte der Apostasie, Häresie, Zauberei
und Wahrsagerei sind hier beseitigt; auch soweit
noch die Religionsverbrechen der vorigen Periode
beibehalten sind, zeigt sich ihr Tatbestand gegen-
über dem österreichischen Strafgesetz vom 27. Mai
1852 wie gegenüber den deutschen Partikular=
gesetzen, speziell gegenüber den Bestimmungen des
preußischen Strafgesetzbuchs vom 14. April 1851,
welche dem Reichsstrafgesetz zur Grundlage dienten,
ganz erheblich abgeschwächt. Die Höhe der an-
gedrohten Strafen kennzeichnet am besten die
Anderung der Auffassung gegenüber dem früheren
gemeinen Recht; z. B. Gotteslästerung ist mit
Gefängnis von einem Tag bis drei Jahren, ver-
leumderische Beleidigung mit Geldstrafe von 3 bis
900 KM oder Gefängnis von einem Tag bis fünf
Jahren, Majestätsbeleidigungen mit Gefängnis
von zwei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht.
Die ganze Reglung der „Vergehen, welche sich auf
die Religion beziehen“, ist völlig prinziplos. Die
Verletzung des religiösen Gefühls soll maßgebend
Religionsverbrechen.
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sein für die Bestrafung der Gotteslästerung, da-
gegen nicht für die Bestrafung der Beschimpfung
der Religionsgesellschaften; trotz dieses subjektiven
und rein privaten Tatbestandsmoments erfolgt das
Einschreiten von Amts wegen, ohne Strafantrag.
Der Schutz der Religionsgesellschaften ist nach
Umfang und Inhalt willkürlich begrenzt, z. B.
Einrichtungen und Gebräuche der nicht mit Kor-
porationsrechten versehenen Religionsgesellschaften
sind nicht gegen Beschimpfungen, wohl aber gegen
Störung bei ihrer Ausübung geschützt. Zu den
„Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen“,
sind gerechnet der Leichendiebstahl und die Grab-
schändung (§ 168), obschon diese Delikte jedes
religiösen Charakters entkleidet sind, während die
Beschimpfung Verstorbener, welche nach dem Ent-
wurf noch den Religionsverbrechen eingereiht war,
infolge Beschlusses des Reichstags in dem Abschnitt
über Beleidigungen (§ 189), der Kirchendiebstahl,
welcher auf den Diebstahl der dem Gottesdienst
gewidmeten Gegenstände aus einem gottesdienst-
lichen Gebäude beschränkt ist, beim gemeinen Dieb-
stahl (§ 243, Ziffer 1) und Brandstiftung an
gottesdienstlichen Gebäuden bei den „gemein-
gefährlichen Verbrechen“ (8 306, Ziffer 1) unter-
gebracht ist. Zusammengehörige Straftaten sind
willkürlich auseinandergerissen: die Verübung be-
schimpfenden Unfugs in einem zu religiösen Ver-
sammlungen bestimmten Ort (§ 166) und Be-
schädigung oder Zerstörung eines Grabes (8 168)
ind als Religionsdelikte, dagegen Beschädigung
oder Zerstörung von Gegenständen der Verehrung
einer Religionsgesellschaft, von Sachen, die dem
Gottesdienst gewidmet sind, und von Grabmälern
als eine Sachbeschädigung (8 304) behandelt; un-
befugte Wegnahme einer Leiche (§ 168) ist ein
Religionsvergehen, unbefugte Wegnahme eines
Leichenteils (§ 367, Ziffer 1) eine bloße Über-
tretung. Zu den Übertretungen sind auch die Stö-
rungen der Sonntags= und Festtagsfeier (8 366,
Ziffer 1) gerechnet.
Einer näheren Erörterung bedürfen nur folgende
Vergehen: 1. Wegen Gotteslästerung straf-
bar ist, „wer dadurch, daß er öffentlich in be-
schimpfenden Außerungen Gottlästert, ein Argernis
gibt“ (§ 166, 1. Fall). Der Entwurf hatte nach
dem Vorgang des preußischen Strafgesetzbuchs
vorgeschlagen, zu bestrafen, „wer öffentlich Gott
lästert“; die Fassung des Gesetzes beruht auf einem
Antrag des nationalliberalen Abgeordneten Lasker.
Die Gotteslästerung als solche ist somit straflos,
selbst wenn sie öffentlich erfolgt; nur das öffent-
liche Argernisgeben durch eine mittels beschimp-
fender Außerungen verübte Gotteslästerung ist
trafbar. Die Praxis legt das Argernisgeben
dahin aus, daß durch die Handlung mindestens
bei einer Person Argernis erregt worden sein
müsse, während nach der wörtlichen Bedeutung
des Argernisgebens, im Gegensatz zum Argernis-
nehmen, wie nach der geschichtlichen Entwicklung
—
der Strafbestimmung nur verlangt werden sollte,
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