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daß Veranlassung zum Argernisnehmen geboten
worden ist. Ebenso beweist die geschichtliche Ent-
wicklung der Strafbestimmung, daß der Gottes-
begriff im Sinn des christlichen Glaubens aus-
zulegen, also eine Lästerung Christi oder des
Heiligen Geistes als Gotteslästerung zu verfolgen
ist. „Lästerung“ und „Beschimpfung“ setzt einen
kränkenden Willen voraus, der nicht ohne weiteres
schon in jeder leichtfertigen oder rohen Redensart
zu finden sein wird, der aber anderseits ohne Unter-
schied der religiösen Uberzeugung des Täters
vorhanden sein kann. Daß das religiöse Gefühl
des Nebenmenschen, nicht Gott Gegenstand des
Angriffs ist, gegen welchen die Strafbestimmung
Schutz gewähren will, heben die Motive des
Strafgesetzbuchs selbst hervor mit dem Anfügen:
der Staat dürfe nicht die Meinung aufkommen
lassen, als ob er die Erhaltung des religiösen Ge-
fühls im Volk als etwas Gleichgültiges betrachte;
wenn andere Gesetzgebungen zwar nicht die Gottes-
lästerung, wohl aber eine Lästerung der Gegen-
stände der Verehrung mit Strafe bedrohen und
darunter die Lästerung der Gottheit stillschweigend
begreifen, so sei es des Gesetzgebers würdiger, das,
was die Absicht des Gesetzes sei, klar und mit aus-
drücklichen Worten auszusprechen.
2. Wegen Beschimpfung von Religions-
gesellschaften wird bestraft, „wer öffentlich
eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit
Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebiets
bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrich-
tungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer
in einer Kirche oder an einem andern zu religiösen
Versammlungen bestimmten Ort beschimpfenden
Unfug verübt“ (§ 166, 2. und 3. Fall). Das
preußische Strafgesetzbuch, § 135, welchem diese
Strafbestimmung entnommen ist, ging weiter, in-
dem es mit Strafe bedrohte: „wer eine der christ-
lichen Kirchen oder eine andere mit Korporations-=
rechten im Staat bestehende Religionsgesellschaft
oder die Gegenstände ihrer Verehrung,
ihre Lehren, Einrichtungen oder Gebräuche
verspottet oder in einer Weise dar-
stellt, welche dieselben dem Haß oder
der Verachtungaussetz““; der letztere Fall
war schon im Entwurf zum Reichsstrafgesetzbuch
beseitigt, während die Weglassung der sonstigen
weitergehenden Bestimmungen auf Anträgen der
nationalliberalen Abgeordneten Lasker, v. Hover-
beck und Genossen beruhen. Hiernach sind heute
die Religionsgesellschaften gegen Beschimpfungen
allgemein nur insofern geschützt, als es sich um
einen beschimpfenden Unfug handelt, welcher an
einem zu religiösen Versammlungen bestimmten
Ort begangen worden ist. Einen darüber hinaus-
gehenden Rechtsschutz gegen Beschimpfungen ge-
nießen nur die christlichen Kirchen und die in
irgend einem Bundesstaat mit Korporations-=
rechten bestehenden Religionsgesellschaften, sei es
daß die Beschimpfung gegen die Religionsgesell-
schaft selbst oder gegen einzelne, auf den Satzungen
Religionsverbrechen.
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oder Gewohnheiten der Gesamtheit beruhende und
von der Gesamtheit gebilligte Einrichtungen und
Gebräuche derselben gerichtet ist. In der Be-
schimpfung der spezifischen Lehren einer solchen
besonders geschützten Religionsgesellschaft wird
auch stets eine Beschimpfung der Religionsgesell-
schaft selbst zu finden sein, wenn nur der Täter
wußte, daß das von ihm beschimpfte Dogma von
der betreffenden Religionsgesellschaft gelehrt wird;
so enthält z. B. eine Beschimpfung der Lehre von der
Unfehlbarkeit des Papstes eine Beschimpfung der
katholischen Kirche (Reichsgerichtserkenntnis vom
28. Juni 1893, Rspr. V 677). Dagegen ist die
Beschimpfung einzelner Personen oder Versamm-
lungen der Religionsgesellschaften ebensowenig
notwendig eine Beschimpfung der gesamten Reli-
gionsgesellschaft, als die Beschimpfung einzelner,
persönlich oder örtlich beschränkter Anwendungen
einer Einrichtung oder eines Gebrauchs notwendig
eine Beschimpfung einer von der Gesamtheit der
Religionsgemeinschaft gebilligten Einrichtung oder
eines solchen Gebrauchs der Religionsgesellschaft
selbst enthält; ein persönlicher oder örtlicher Ge-
brauch kann sogar vom Standpunkt der betreffen-
den Religionsgesellschaft als Mißbrauch zu be-
trachten sein. Unter Beschimpfung ist eine rohe,
die Ehre der Religionsgesellschaft kränkende Kund-
gebung von Verachtung zu verstehen; der Täter
muß den Willen gehabt haben, zu beschimpfen.
Die Motive des Reichsstrafgesetzbuchs bezeichnen
als Zweck der Strafbestimmung den Schutz des
religiösen Gefühls im Volk; dieser Zweck ist aber
nicht zum förmlichen Tatbestandsmerkmal erhoben,
und der Wortlaut der Bestimmung (im Gegensatz
zum Tatbestand der Gotteslästerung) wie die Ver-
gleichung mit den §§ 100, 135 des preußischen
Strafgesetzbuchs zeigt, daß Verletzung des reli-
giösen Gefühls, Erregung von Argernis oder
Störung des religiösen Friedens nicht eine Vor-
aussetzung der Bestrafung bildet.
3. Wegen Verhinderung des Gottes-
dienstes wird bestraft, „wer durch eine Tätlich-
keit oder Drohung jemand hindert, den Gottes-
dienst einer im Staat bestehenden Religionsgesell-
schaft auszuüben, ingleichen, wer in einer Kirche
oder an einem andern zu religiösen Versamm-
lungen bestimmten Ort durch Erregung von Lärm
oder Unordnung den Gottesdienst oder einzelne
gottesdienstliche Verrichtungen einer im Staat be-
stehenden Religionsgesellschaft vorsätzlich verhin-
dert oder stört“ (§§ 167, 339). Dieser Rechts-
schutz kommt allen im Staat tatsächlich bestehen-
den Religionsgesellschaften gleichmäßig zu. Was
als Gottesdienst und gottesdienstliche Verrich-
tung anzusehen ist, muß nach den Vorschriften und
Gebräuchen der einzelnen Religionsgesellschaften
beurteilt werden; auch religiöser Unterricht kann
den Begriff des Gottesdienstes erfüllen, z. B. die
Christenlehre (Katechisation) in der katholischen
Kirche, das Vorlesen aus der Thora in der Syn-
agoge. Gegen beleidigende Ausfälle von seiten