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art gekehrt hat. Und auch das gilt allgemein, daß
der gedeihliche Bestand einer Republik von dem
Vorhandensein wahrhaft republikanischer Gesin-
nung abhängig ist, derzufolge die souveränen
Staatsbürger nicht ihre eignen Interessen im
Gegensatz zu denen der Gesamtheit suchen, sondern
in gleich breiter Hingabe an das Ganze ihre Kräfte
dem Dienst desselben widmen. Im übrigen aber
läßt sich eine Lehre von der Republik überhaupt,
abgesehen von ihrer aristokratischen oder demokra-
tischen Beschaffenheit, nicht aufstellen. Die gesell-
schaftliche Grundlage, die rechtlichen Anschauungen,
die Bedürfnisse und Bestrebungen sind in beiden
zu verschieden. — [Bernatzik, Republik und Mon-
archie, 1892.) lv. Hertling.)
Reservatrechte. Der Begriff der Reservat-
rechte ist dem deutschen Reichsstaatsrecht eigen-
tümlich; das Staatsrecht der Vereinigten Staaten
von Amerika und der Schweiz kennt ihn nicht.
A. Im römischen Reich deutscher
Nation begegnet uns der Begriff der Reservat-
rechte in der Zeit, als die wachsende Bedeutung
der Landeshoheit die im Prinzip noch festgehaltene
kaiserliche Machtvollkommenheit immer mehr ihres
Inhalts entleerte. Unter Reservatrechten verstand
man in Reichsgesetzen (z. B. im Reichsabschied
1576, § 119) und in der staatsrechtlichen Literatur
die dem Kaiser vorbehaltenen Hoheitsrechte (iura
Caesarea reservata) im Gegensatz zu den in den
Mitbesitz des Reichs übergegangenen Befugnissen,
welche der Kaiser nur in Gemeinschaft mit dem
Reichstag ausüben durfte (iura comitialia). Eine
Feststellung dieser kaiserlichen Reservatrechte im
einzelnen ist nie erfolgt; insbesondere wurde das
bei den Verhandlungen des Westfälischen Friedens
von den protestantischen Ständen gestellte Ver-
langen einer specificatio reservatorum vom
Kaiser abgelehnt unter Berufung auf die ihm zu-
stehende potestas universalis, die sich auf alles
erstrecke, was nicht per pacta vel per leges
restringiert sei. Im einzelnen gab es manchen
Streit über die kaiserlichen Reservatrechte, z. B.
über das vom Kaiser als Reservatrecht in Anspruch
genommene Postregal. Bei Ausübung gewisser
Reservatrechte war der Kaiser an die Mitwirkung
der Kurfürsten gebunden, so bei Erteilung von
Münz= und Zollgerechtigkeiten, und danach teilte
man die Reservatrechte in eingeschränkte und un-
eingeschränkte (reservata limitata undillimitata))
ein. Die Ausübung einzelner Reservatrechte pflegte
der Kaiser andern zu übertragen, und zwar Fürsten
erblich, Privatpersonen (häufig Rechtsgelehrten)
persönlich; auch Körperschaften, wie Universitäten,
wurde die Ausübung mancher Reservatrechte über-
lassen. Zu den übertragbaren Reservatrechten
gehörte z. B. die Ernennung von Notaren, Legi-
timation unehelicher Kinder, Jahrgebung, Zah-
lungsstundung, Erteilung von Standeserhöhungen,
Wappenbriefen, akademischen Würden und Ehren.
B. Im Staatsrecht des Deutschen Reichs
hat der Begriff der Reservatrechte, entsprechend
Reservatrechte.
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der heutigen Verteilung der Hoheitsrechte zwischen
Reich und Einzelstaaten, seinen Platz gewechselt:
man versteht unter Reservatrecht heute die ein-
zelnen Bundesstaaten vorbehaltenen Hoheits-
rechte, welche sonst dem Reich zustehen, also Aus-
nahmen von der Zuständigkeit des Reichs zugunsten
einzelner Bundesstaaten. Der Ausdruck „Reser-
vatrechte“ findet sich übrigens in keinem Reichs-
gesetz. Die Reservatrechte gehören zu den, einzelnen
Bundesstaaten im Verhältnis zur Gesamtheit zu-
stehenden Sonderrechten gegen das Reich,
unterscheiden sich aber von den übrigen Sonder-
rechten dadurch, daß sie Landesrecht erhalten und
gewährleisten, während die andern Sonderrechte
Begünstigungen auf dem Gebiet des Reichsrechts
darstellen. Alle Sonderrechte sind Beweise einer
Selbständigkeit der Bundesstaaten, die Reservat-
rechte aber sind Beweise der Souveränität der be-
rechtigten Bundesstaaten.
I. Der jetzige Bestand der Reservat-
rechte, geordnet nach den berechtigten Bundes-
staaten, ist folgender: 1) Bayern ist ausgenom-
men von der Gesetzgebung und Beaussichtigung
des Reichs über Heimats= und Niederlassungs-
verhältnisse und das damit zusammenhängende
Verehelichungswesen (Reichsverf. Art. 4, Nr 1
und Versailler Schlußprotokoll vom 23. Nov.
1870, Ziff. 1), von der Reichsgesetzgebung über
das Immobiliarversicherungswesen (Versailler
Schlußprotokoll Ziff. 4) und von der Tätigkeit
der Reichsnormaleichungskommission (Reichsgesetz
vom 26. Nov. 1871, § 3). Die Besteuerung des
inländischen Biers ist der bayrischen Gesetzgebung
vorbehalten (Reichsverf. Art. 35). Ferner besitzt
Bayern weitgehende Reservatrechte auf dem Ge-
biet des Eisenbahn-, Post= und Telegraphen-
wesens (Reichsverf. Art. 46, 52) und namentlich
auf dem des Militärwesens (Versailler Bündnis-
vertrag vom 23. Nov. 1870, Ziff. 3, § 5 und
Schlußbestimmungen zum XI. und XII. Abschnitt
der Reichsverf.). — 2) Württemberg hat ein
gleiches Reservatrecht wie Bayern bezüglich der
Besteuerung des Biers (Reichsverf. Art. 35 und
Versailler Schlußprotokoll vom 25. Nov. 1870,
Ziff. 1, 40. Sodann stehen ihm wichtige Reser-
vatrechte zu im Post= und Telegraphenwesen
(Reichsverf. Art. 52; Schlußprotokoll vom 25. Nov.
1870, § 3), im Eisenbahnwesen (Schlußprotokoll
Ziff. 2) und im Militärwesen (Militärkonvention
vom 21. bis 25. Nov. 1870 und Schlußbestim-
mung zum XI. Abschnitt der Reichsverf.). —
3) Baden ist ausgenommen von der Reichs-
gesetzgebung über die Bierbesteuerung (Reichsverf.
Art. 35 u. Versailler Protokoll vom 15.Nov. 1870,
Ziff. 2). — 4) Hamburg und Bremen haben
Reservatrechte im Zollwesen (Reichsverf. Art. 34).
II. Der Rechtsschutz der Reservatrechte
beruht auf den allgemeinen Bestimmungen über
die Sonderrechte der Einzelstaaten.
1. Art. 78, Abs. 2 der Reichsverf. lautet: „Die-
jenigen Vorschriften der Reichsverfassung.