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behandeln als diejenigen anderer Staaten, der
deutsche Zollsatz bis zu 100% erhöht werden und
tarifmäßig zollfreie Waren unter der gleichen Vor-
aussetzung einem Zoll bis zu 20% des Werts
unterworfen werden (Deutsches Zolltarifgesetz vom
18. Mai 1895). Gegen Angehörige von Staaten, Pl
welche Deutsche hinsichtlich des Marktverkehrs
schlechter behandeln als die Angehörigen anderer
Staaten, können analoge Maßregeln durch den
Bundesrat verfügt werden (Gewerbeordnung 864).
Durch Anordnung des Reichskanzlers unter Zu-
stimmung des Bundesrats kann bestimmt wer-
den, daß, während grundsätzlich im Konkurs die
Gleichberechtigung ausländischer mit inländischen
Gläubigern anerkannt ist, als Retorsion eine Ab-
weichung von diesem Grundsatz gegenüber aus-
ländischen Gläubigern oder deren Rechtsnach-
folgern stattfinde (Konkursordnung § 4). Zu
Retorsionen führen nicht selten die Erschwerungen
der Einwanderung zum Schutz der einheimischen
Arbeit gegen fremden Wettbewerb. Auch der
Ausschluß fremder Staatspapiere vom amtlichen
Börsenverkehr und die Verschärfung des Paß-
zwangs haben in letzter Zeit auf dem Retorsions-
gebiet eine Rolle gespielt. Wiederholt haben auch
die Schwierigkeiten, welche bezüglich des Trans-
ports und der Durchfuhrsbewilligung von Leichen
über die Zollgebühren entstanden, zu Retorsion
oder doch deren Androhung Veranlassung geboten.
Aus Anlaß eines solchen Vorfalls wurde grund-
sätzlich anerkannt, daß bei Leichen exterritorialer
Personen von jeder Zolleinhebung abzusehen sei.
Betr. Literatur vgl. den Art. Krieg.
(Lentner, rev. Ebers.)
Reuß, zwei deutsche thüringische Fürstentümer,
die in Reuß ältere Linie (Reuß-Greiz) und
in Reuß jüngere Linie (Reuß-Schleiz-Gera)
unterschieden werden.
1. Geschichte. Vorzeitig war das reußische
Ländergebiet dem Sorbenvolk gehörig. Otto I.
unterwarf das Volk, führte das Christentum ein
und gründete zunächst die Landgrafschaft Gera,
welche später sein Nachfolger Otto III. (999) dem
Kloster Quedlinburg verlieh. Im Lauf der Zeit
bildeten sich noch andere Gaue und Grasschaften
sowie einzelne unter besondern Vögten (daher noch
heute die Bezeichnung Vogtland) stehende kleinere
Gebiete, sog. Pflegen. Eine der ältesten der herr-
schenden Familien war das Geschlecht der Vögte
von Weida. Als deren Ahnherr wird urkundlich
Erkenbert I. von Weida (1122) angeführt.
Dessen Enkel Heinrich I., der Tapfere, traf die Be-
stimmung, daß alle seine männlichen Nachkommen
zu Ehren Kaiser Heinrichs VI. den einzigen
Rufnamen Heinrich führen (seit 1688 wird
zur genaueren Bezeichnung eine Nummer beigefügt,
die ältere Linie zählt seit 16983 bis 100, die jüngere
Linie beginnt je mit Ablauf des Jahrhunderts
wieder mit I.). Heinrichs I. Nachkommen erwarben
durch Fehden und Verheiratungen die Herrschaften
Gera, Greiz, Hof und Plauen. 1244 trat der
Reuß.
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Vogt Heinrich IV. in den Deutschen Orden und
hinterließ das gesamte Land seinen Söhnen. Diese
teilten die ererbten Vogtlande und gliederten ihr
Geschlecht endgültig in drei Linien, nämlich Weida
(erloschen 1535), Gera (erloschen 1550) und
auen.
Die Linie Plauen wurde gestiftet von Hein-
richs IV. Sohn Heinrich I. Seine Söhne Hein-
rich der Böhme und Heinrich der Reuße stifteten
die ältere und jüngere Linie Plauen. Heinrich der
Böhme überließ sein Gebiet ungeteilt seinem älte-
sten Sohn. Aus dessen Nachkommen war Heinrich
von Plauen Hochmeister des Deutschen Ordens,
ein anderer, Heinrich (XI.), wurde Lehnsherr der
Burggrafschaft Meißen (1426) und nannte sich
als solcher Heinrich I. Dessen Sohn, Heinrich II.
(gest. 1446), verlor in einem Streit mit Kursachsen
die Burggrafschaft Meißen an den Kurfürsten.
Heinrichs II. Sohn, Heinrich III., mußte (1482)
auf Grund kaiserlichen Beschlusses sein ganzes
Vogtland gegen böhmische Ländereien an Sachsen
abtreten; sein Nachfolger Heinrich V. erhielt jedoch
die Erblande wieder zurück. Als 1550 die Linie
Gera erlosch, erbte Heinrich V. sämtliche Lände-
reien der geraschen Anverwandten; auch eroberte
er (1553) Hof. Bei Belagerung der Pleißen-
burg wurde er (1554) getötet. Da seine Söhne
kinderlos starben, erlosch diese ältere Linie Plauen
(1572).— Heinrich I. (der Reuße, so genannt
wegen seines langen Aufenthalts in Rußland,
gest. um 1300) war Stifter der jüngeren Linie
Plauen. Zur Zeit des Schmalkaldischen Kriegs
waren die Herren von Reuß-Plauen eifrige An-
hänger der lutherischen Lehre und wurden deshalb
ihrer Besitzungen für verlustig erklärt, erhielten sie
jedoch später wieder zurück. 1564 gliederte sich
das Geschlecht in drei Linien, die ältere, mittlere
und jüngere Linie, die mittlere erlosch schon 1616.
Die ältere Linie Reuß teilte sich in die
Häuser Ober= und Untergreiz, Dölau, Rothenthal
und Burg, die alle außer Obergreiz bis 1768 aus-
starben. 1778 erhielt diese Linie (Heinrich XI.)
den Reichsfürstentitel. Schon 1673 hatte das
ganze Geschlecht Reuß die Reichsgrafenwürde er-
halten. Unter den späteren Fürsten dieses Hauses
ist zu erwähnen Heinrich XXII. (geb. 28. März
1846, gest. 19. April 1902). Er stand 1856/67
unter der Vormundschaft seiner antipreußisch ge-
sinnten Mutter Karoline (geb. Prinzessin von
Hessen-Homburg). Wegen der feindlichen Haltung
der Fürstentümer gegen Preußen besetzten preußi-
sche Truppen am 11. Aug. 1866 das Ländchen,
das aber infolge des mit Preußen am 26. Sept.
1866 abgeschlossenen Friedens nach Zahlung der
Kriegskosten (100 000 Taler) dem Norddeutschen
Bund beitrat. Heinrich XXII. gab dem Land eine
neue Verfassung und führte mancherlei Reformen
zum Wohl seiner Stammlande durch. Im Jahr
1871 wurde er Bundesfürst des Deutschen Reichs,
doch blieb er stets ein unversöhnlicher Gegner
Bismarcks und der durch die Reichsgründung ge-