Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

667 
migung erforderlich. — Staatliche Bestimmungen 
über Konfessionswechsel, gemischte Ehen, Erziehung 
von Kindern gemischter Ehen, Ordensniederlas- 
sungen usw. sind in beiden Fürstentümern nicht 
vorhanden, doch kommen im allgemeinen die im 
Königreich Sachsen geltenden Grundsätze zur An- 
wendung. 
Die öffentlichen Volksschulen sind evangelisch- 
lutherisch; sie werden von den politischen Gemein- 
den oder besondern Schulgemeinden unterhalten 
(Reuß j. L.: Volksschulgesetz vom 31. Juli 1900, 
Reuß ä. L.: Gesetz vom 12. Jan. 1887). Zu den 
Kosten tragen die Katholiken anteilmäßig ebenso- 
viel bei wie die Protestanten. Katholischer Re- 
ligionsunterricht wird in den öffentlichen Volks- 
schulen nirgends erteilt. Eine private katholische 
Volksschule (etwa 180 Kinder) besteht seit 1903 
in Gera (Reuß j. L.), Staat und Stadt leisten 
keinen Zuschuß. Elwa 50 Kinder, welche slädti- 
sche Schulen besuchen, erhalten noch außerdem 
katholischen Religionsunterricht in der katholischen 
Schule. In den städtischen Volksschulen werden 
die Religionszensuren, welche das katholische 
Pfarramt den katholischen Schülern ausstellt, auf 
die Zensurliste geschrieben. In Greiz (Reuß ä. L.) 
erstrebt die katholische Gemeinde (etwa 120 schul- 
pflichtige Kinder) seit 1908 eine eigne Schule, bis 
Oktober 1910 steht die Genehmigung der Ober- 
schulbehörde noch aus. 
Literatur. Auerbach, Bibl. Ruthenea (1892, 
Nachtrag 1900); B. Schmidt, Die Reußen, Genea- 
logie des Gesamthauses (1903); ders., Vogtländische 
Forschungen (1904); Limmer, Entwurf einer Gesch. 
des Vogtlandes (4 Bde, 1825/28); ders., Kurze 
Übersicht der Gesch, des Hauses R. (1829); Brück- 
ner, Landeskunde des Fürstentums R. j. L. (2 Bde, 
1870); Vocke, R.-Länder (1852); Liebmann u. 
Müller, Staatsrecht von R., in Marquardsens 
Handbuch des öffentl. Rechts III, 2. Abt. (1884); 
P. Schlotter, Staats= u. Verwaltungsrecht der 
Fürstentümer R. (1909); Burkhardt, Einführung 
der Reformation in R. (1894); Freisen, Staat u. 
kath. Kirche II (1906) 327 f; ders., Der kath. u. 
protest. Pfarrzwang (1906) 104 ff. [Sacher.] 
Revision s. Rechtsmittel. 
Revolution. 1. Wesen und Beur- 
teilung. Revolution ist der gewaltsame 
Umsturz der zu Recht bestehenden staatlichen, po- 
litischen oder sozialen Ordnung. Sie ist ihrem 
Wesen nach etwas Negatives, nichts positiv Schaf- 
fendes, ein Umstürzen, kein Aufbauen, sondern ein 
Abreißen des historischen Zusammenhangs, kein 
organisches Weiterführen desselben. Sie ist ferner 
eine mit Gewalt durchgeführte Umwälzung des zu 
Recht Bestehenden, die das Gemeinwohl aufs tiefste 
erschüttert, und darum nachn christlicher Auffassung 
durchaus verboten. Ein Recht der Revolu- 
tion gibt es nicht. Zur Begründung dieses Satzes 
bedarf es näherer Untersuchung des Begriffs der 
Revolution. 
Diese ist verschieden von dem sog. aktiven 
und passiven Widerstand. Unter letzterem 
Revision — Revolution. 
  
668 
ist das bloße Nichtbefolgen der Gesetze, die Ver- 
weigerung des Gehorsams zu verstehen. Genau 
besehen ist ein solches rein negatives Verhalten 
nicht eigentlich Widerstand. Der passive, in bloßer 
Nichtbefolgung eines Befehls bestehende Wider- 
stand kann unter Umständen erlaubt, ja wo ein 
unsittliches Handeln den Gegenstand des Befehls 
bildet, strenge Pflicht sein. Die ersten Christen 
haben der Aufforderung, dem Christenglauben ab- 
zuschwören und den heidnischen Staatsgottheiten 
zu opfern, solch passiven Widerstand entgegen- 
gesetzt. Freilich zogen sie sich den Vorwurf der 
Empörung gegen die Staatsautorität zu, jedoch 
mit Unrecht. Der aktive Widerstand hingegen 
besteht darin, daß man sich dem Gesetz entgegen- 
stellt und dasselbe positiv bekämpft, entweder mit 
gesetzlichen Mitteln oder mit Waffengewalt. Erste- 
res kann erlaubt, unter Umständen geboten sein. 
Wo Versammlungs-, Preß= und Wahlfreiheit be- 
steht, ist ein solches Recht der Untertanen ohnehin 
anerkannt. Hingegen ist nicht jeder gesetzliche 
Widerstand auch schon sittlich berechtigt, so nicht 
der Widerstand, den die heutige Sozialdemokratie 
auf legalem Weg der bestehenden Rechtsordnung 
entgegensetzt. 
Etwas anderes ist die Frage, ob auch der ge- 
waltsame, bewaffnete Widerstand erlaubt sei. 
Dieser deckt sich keineswegs mit dem Begriff der 
Revolution, des Aufruhrs, der Empörung. Revo- 
lution, d. h. der gewaltsame Umsturz der zu Recht 
bestehenden staatlichen Ordnung, ist mehr als der 
bloß aktive Widerstand. Dieser ist eigentlich nur 
unter der Voraussetzung eines erfolgten Angriffs 
denkbar. Dagegen setzt die Revolution einen sol- 
chen nicht voraus, sie umfaßt „alle Gewaltmaß- 
regeln, die von einer Partei zum Zweck des Um- 
sturzes der zu Recht bestehenden Ordnung unter- 
nommen werden“ (Cathrein, Moralphil. 1I1 /597). 
Während ersterer unter Umständen erlaubt sein 
kann, ist letztere stets und in jedem Fall ein Unrecht. 
Die Rousseausche Lehre von der Volks- 
souveränität spricht dem Volk das Recht zu, 
sich gewaltsam gegen die Regierung zu erheben 
und sie nach Belieben abzusetzen. Der Monarch 
ist ja nach dieser Theorie nichts anderes als der 
Beamte des souveränen Volks. Die französische 
Revolution und die Hinrichtung Ludwigs XVI. 
waren einfache Folgerungen aus diesem Prinzip. 
Gewaltsame Volkserhebungen sind hiernach recht- 
mäßige Außerungen des souveränen Volkswillens. 
Darum erkennen die „Menschenrechte“ der fran- 
zösischen Revolution von 1793 ein solches Recht 
ausdrücklich an: „Wenn eine Regierung die 
Volksrechte verletzt, so ist für das Volk und jeden 
Teil desselben die gewaltsame Erhebung die hei- 
ligste und unerläßlichste Pflicht.“ 
Schon früher beschäftigte die Frage die Ge- 
müter, ob ein Volk, das unter dem Druck eines 
tyrannischen Regiments seufzt, das Joch gewalt- 
sam abschütteln dürfe. Sie spitzte sich zu der viel 
ventilierten Frage nach der Erlaubtheit des Ty-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.