671
Dienerin ist sie dir zum Guten“ (Röm. 13, 1 ff).
„Seid demnach untergeben jeder menschlichen
Schöpfung um Gottes willen, sei es dem König
als dem Höchstgestellten oder den Statthaltern als
durch ihn Geschickten zur Ahndung der übeltäter,
zur Belobung aber der Guten, weil es so Gottes
Wille ist, daß ihr Gutes tuend zum Schweigen
bringet unverständiger Menschen Unwissenheit, als
Freie, und nicht als hättet ihr zum Deckmantel
der Bosheit die Freiheit, sondern so wie Diener
Gottes. Haltet alle in Ehren! Liebt Brüderlich-
keit! Fürchtet Gott, ehret den König“ (1 Petr. 2,
13 ff). Also auch dann, wenn die Obrigkeit un-
mittelbar menschliche Schöpfung ist, mensch-
licher Einrichtung ihr Dasein verdankt, gebührt
ihr Gehorsam um Gottes willen. Das „König-
tum von Gottes Gnaden“ hat keineswegs den
Sinn, daß die Übertragung der königlichen Ge-
walt unmittelbar durch Gott oder göttliche Or-
gane erfolge und nicht vielmehr durch das Volk.
Es ist auch dann noch Königtum von Gottes
Gnaden und repräsentiert die Idee einer von Gott
gewollten gesellschaftlichen Ordnung, wenn auch
der Träger, untreu dieser Idee, als Despot und
Tyrann herrscht. Obrigkeit bleibt Obrigkeit, ob
sie den Untertanen sympathisch ist oder mißfällt,
ob sie das Rechte trifft oder in die Irre geht.
Wenn also kein Recht des Volks zu erweisen
ist, mit Gewalt gegen den Fürsten vorzugehen,
seine Herrschaft abzuschütteln, Revolution zu
machen, so besitzt es doch ein Recht, alle legalen
Mittel zu gebrauchen, um der Tyrannei ein Ende
zu machen. Ein solches Vorgehen ist nicht revo-
lutionär. Wo einem Volk nach Herkommen oder
Verfassung die Wahl seines Herrschers zusteht,
kann es auch den Besitz der Krone an gewisse Be-
dingungen (Wahlkapitulationen) knüpfen. Hält
der Gewählte diese nicht ein, so verwirkt er selbst
das Recht auf die Krone, und das Volk kann zu
einer Neuwahl schreiten, wenn dadurch nicht noch
größere Übel, Bürgerkrieg und ähnliches, herauf-
beschworen werden. Selbst in einer erblichen
Monarchie könnte den Ständen durch die Ver-
fassung das Recht eingeräumt sein, in bestimmten,
genau bezeichneten Fällen dem Fürsten den Krieg
zu erklären, ihn nötigenfalls abzusetzen. Die Ge-
schichte kennt mehrere derartige Beispiele. „So
erkannte Karl der Kahle im Jahr 856 den Großen
des Reichs, Johann ohne Land im Jahr 1215
den englischen Baronen (Magna charta Art. 61),
Andreas II. im Jahr 1222 den ungarischen
Ständen das Recht des bewaffneten Widerstands in
gewissen Fällen zu. Ein derartiger Widerstand ist
keine Revolution oder Rebellion, obwohl anzuerken-
nen ist, daß solche Zugeständnisse leicht dem schwer-
sten Mißbrauch ausgesetzt sind“ (Cathrein a. a. O.
603). Noch viel weniger kann, wenn die Existenz
des Staats auch bei Verweigerung neuer Steuern
nicht gefährdet ist, in dieser eine revolutionäre
Maßregel erblickt werden. In dem Maß, in wel-
chem sich die legalen Mittel, Reformen im Staat
Revolution.
672
durchzuführen, vermehren und die Untertanen
sichere Garantien erlangen, daß ein Mißbrauch
der Staatsgewalt durch die Regierungsorgane ver-
mieden wird, wird auch die Gefahr der Revolution
mehr und mehr beseitigt.
Wenn nun aber keine gesetzlichen Mittel zu
Gebote stehen, um das Joch drückendster Tyrannei
zu vermeiden? Da die Obrigkeit durch den Miß-
brauch der Gewalt ihres Rechts keineswegs ver-
lustig geht, so muß das Volk den Druck der Ty-
rannei, sofern er nicht ein maßloser und unerträg-
licher ist, über sich ergehen lassen. Zwar ist es
einstimmige Lehre der christlichen Rechtsphilo-
sophen, daß ungerechte Gesetze und tyrannische
Anordnungen an sich keine Pflicht des Gehorsams
begründen können, weil ihnen ein wesentliches
Merkmal des Gesetzes, die auf das Wohl des
Ganzen gerichtete Absicht, fehlt. Aber es ist eine
Forderung des Gemeinwohls, solche Unzuträglich-
keiten zu dulden, da ein gewaltsamer Widerstand
gegen einen mächtigen Tyrannen unausbleiblich
große Unruhen und Gewalttätigkeiten im Gefolge
haben und leicht größere Ubel durch die Bekämp-
fung des geringeren eingetauscht würden. Anders
jedoch, wenn die Bedrückung eine maßlose ist, wenn
von einem tyrannischen Fürsten die heiligsten
Rechte der Untertanen, wie das Recht der reli-
giösen Uberzeugung durch einen Heinrich VIII.,
gewohnheitsmäßig mit Füßen getreten, wenn
Leben, Gewissen und Vermögen der Untertanen
und die Ehre der Frauen zum Spielball der
Launen des Tyrannen werden. In solchem Fall
gestatten gewichtige Autoritäten den aktiven Wider-
stand gegen derartig schreiende Rechtsverletzungen.
So unterscheidet Kardinal Zigliara (Philosophia
moralis 1880, Nr 55, S. 266) einen doppelten
aktiven Widerstand, die resistentia defensiva
und offensiva. Erstere, die sich auf die Abwehr
aktueller Angriffe erstreckt, ist nach diesem Theo-
logen unter Umständen erlaubt: Quo in casu non
resistitur auctoritati, sed violentiae, non iuri,
sed iuris abusui, non principi, sed iniusto
aggressori proprü iuris in actu aggressionis.
Doch verlangt er, daß dieser Widerstand auf ge-
ordnetem Weg vor sich gehe und durch Vermitt-
lung der Gemeinden oder Provinzen organisiert,
also nicht undisziplinierten Banden überlassen
werde, die im Trüben fischen wollen, weil sonst
aus dem Widerstand sich noch größere Übel er-
geben würden. Ein solches Recht wird auch von
modernen Staatsrechtslehrern und Philosophen
wie Bluntschli (Die Lehre vom modernen Staat II
674) und Paulsen (System der Ethik II/ 556)
anerkannt. Von seinemrechtspositivistischen Stand-
punkt meint letzterer, Revolution sei zwar unter
allen Umständen Unrecht, sie könne jedoch zu-
gleich historisch notwendig und moralisch ge-
rechtfertigt sein. Obige Lösung der Frage
rückt um so mehr in den Bereich bloß abstrakter
Möglichkeiten, als jener Grad einer maßlosen
Tyrannei wohl nur sehr selten vorkommen wird