Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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bekleideten Magistrat und von 366 v. Chr. ab 
für Privatrechtsstreitigkeiten die Prätoren an dessen 
Stelle. Der Prätor leitete indes den Prozeß nur 
ein und gab ihn nach festgestelltem Streitverhältnis 
an den zuständigen Geschworenengerichtshof oder 
auf Antrag der Parteien an einen Einzelrichter 
(iudex) zur Entscheidung ab. In der Kaiserzeit 
wieder war der Kaiser der oberste Richter über das 
ganze Reich; seit Diokletian (284/305 n. Chr.) 
übt er aber nicht mehr persönlich die Rechtsprechung 
aus. An seiner Stelle ist vielmehr das bereits von 
Hadrian errichtete, aber nur mit beratender Stimme 
neben dem Kaiser ausgestattete consistorium 
nunmehr mit der Entscheidung befaßt. In den 
Präfekturen und deren Unterdistrikten, den Diö- 
zesen und Provinzen, sind deren Vorsteher zugleich 
auch die obersten Richter mit Berufung von dem 
unteren an den oberen und mit Disziplinargewalt 
des oberen über den unteren; in den Städten üben 
städtische Beamte eine beschränkte Rechtsprechung 
aus. Seit dieser Zeit ist also die gesamte Recht- 
sprechung auf beamtete Richter übergegangen. Auch 
eine Trennung der Urteilsfindung von der Prozeß- 
leitung findet nicht mehr statt; die Geschworenen- 
gerichte sind verschwunden. Neben den staatlichen 
Beamten üben die Bischöfe die Rechtsprechung 
aus, aber nur kraft christlicher Sitte; Konstantin 
der Große legte ihren Entscheidungen bürgerliche 
Rechtskraft bei. 
Bei den deutschen Völkerschaften der vorfränki- 
schen Zeit lag, ihrer demokratischen Verfassung 
entsprechend, die Rechtsprechung beim Volk. Als 
ordentliches Gericht fungierte die mit der militäri- 
schen Hundertschaft zusammenfallende Gerichts- 
gemeinde, über schwere Verbrechen gegen den Staat 
übte die ganze Volksversammlung das Richteramt 
aus. Vorsitzender und Leiter der Gerichtsversamm- 
lung war der Fürst, der ursprünglich in Gemein- 
schaft mit der versammelten Gemeinde, dem Um- 
stand, das Urteil fand. In der fränkischen Zeit 
ist der Fürst auf die Leitung der Verhandlung 
beschränkt, das Urteil dagegen wird von einem 
Ausschuß, den Rachimburgen — bei den Friesen 
von einem einzelnen Rechtsprecher, dem asega — 
vorgeschlagen und durch Zustimmung der Ge- 
meinde, Vollwort, festgestellt. Bei den Lango- 
barden nahm die Entwicklung den entgegengesetzten 
Lauf: die Gemeinde trat vollständig zurück, und 
der Fürst sprach allein Recht unter stillschweigender 
Zustimmung jener. Auch nachdem in fränkischer 
Zeit der Vorsitz von dem Fürsten auf die be- 
amteten Grafen übergegangen war, blieb es im 
wesentlichen hierbei. Karl der Große führte die 
wichtige Anderung ein, daß an Stelle des für jede 
einzelne Gerichtssitzung aus der Gemeinde zu wäh- 
lenden Rachimburgenausschusses ständige Schöffen- 
kollegien gebildet wurden, welche, unter Fortfall 
der Beteiligung der gesamten Gerichtsgemeinde, 
in deren Vertretung Recht sprachen; nur in Sachsen 
erhielten sich Vollgerichte der Gemeinden. Die 
Volksversammlung (Märzfeld, Maifeld) ist wesent- 
Richter. 
  
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lich nur mehr für die Heerschau bestimmt; dafür 
beginnt der König auf seinen Umzügen im Land 
Gericht zu halten und Recht zu sprechen im sog. 
Königsgericht, das überall mit den ordentlichen 
Gerichten konkurrierende Gerichtsbarkeit hat. Der 
König läßt sich vertreten durch den Hausmeier, 
später den Pfalzgrafen; Urteilsfinder, der Um- 
stand, sind die zufällig am Hof anwesenden Großen 
des Reichs. Neben den „rdentlichen Gerichten 
bilden sich schon zu jener Zeit die grundherrlichen 
oder Immnnitätsgerichte, an denen die Grund- 
herren und in deren Vertretung deren Meier und 
Gutsvögte, sowie die geistlichen Gerichte, an denen 
die Bischöfe und deren Vertreter das Richteramt 
ausübten. — Nachdem im weiteren Verlauf des 
Mittelalters die Grafen die Stellung von Landes- 
herren und im 13. Jahrh. das Recht erlangt 
hatten, die Hundertschaftsrichter zu ernennen, 
wurden die Vorsitzenden dieser Gerichte Territorial= 
beamte, und das Schöffenamt wurde vielfach erblich. 
Das Königsgericht bestand als Hofgericht in der 
früheren Weise fort; wohin der König kam, war 
er alleiniger Richter, seit 1235 von einem Hof- 
richter ständig vertreten. Daneben vermehrte sich 
die Zahl der besondern Gerichte für bestimmte 
Rechtsverhältnisse:es bestehen Lehngerichte. Dienst- 
gerichte, Hofgerichte, Märkerdinge, Marktgerichte 
u#sw., in denen die Standesgenossen der Recht- 
nehmenden das Richteramt ausüben. — Die im 
14. und 15. Jahrh. sich vollziehende Rezeption 
der fremden Rechte in Deutschland führt allmählich 
zur Verdrängung der ihrer nicht kundigen Schöffen 
und somit zur völligen Beseitigung der Mit- 
wirkung des Volks bei der Rechtsprechung und zur 
Besetzung der Gerichte, und zwar nicht nur der 
oberen, sondern auch der unteren und der grund- 
herrlichen (Patrimonial-) Gerichte, ausschließlich 
mit beamteten gelehrten Berufsrichtern. Die per- 
sönliche Rechtsprechung des Kaisers hört allmählich 
ganz auf; an Stelle des mit dem Kaiser umher- 
ziehenden Reichshofgerichts tritt der ständig in 
Wien residierende Reichshofsrat, neben dem das 
Reichskammergericht mit konkurrierender Gerichts- 
barkeit geschaffen wird (1495) und die oberen 
Landesgerichte derjenigen Territorien auftreten, 
die das privilegium de non appellando haben. 
Die Gerichte sprechen im Namen des Landesherrn 
Recht. Die besondern Gerichte sterben ab. Nicht 
bloß in der altdeutschen Zeit, sondern auch wäh- 
rend des Mittelalters bis in die neueste Zeit 
hinein, und nicht bloß in Deutschland, sondern 
auch in den übrigen europäischen Staaten war 
Justiz und Verwaltung in einer Hand vereinigt. 
Der Herzog, der Graf, der Centenar war eben- 
sowohl Richter wie Verwaltungsbeamter und mili- 
tärischer Befehlshaber. Lurisdictio bezeichnete 
den Inbegriff der gesamten obrigkeitlichen Gewalt. 
— In der neuesten Zeit, im 19. Jahrh., wird die 
Patrimonialgerichtsbarkeitund die bürgerliche Wir- 
kung der geistlichen Rechtsprechung aufgehoben, die 
Verstaatlichung sämtlicher Gerichte und ihre Be- 
 
	        
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