Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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setzung ausschließlich mit gelehrten Berufsrichtern 
durchgeführt und überall die Justiz von der Ver- 
waltung getrennt. Gleichzeitig regen sich aber 
wieder Bestrebungen behufs Wiederbeteiligung des 
Volks an der Rechtsprechung. Der nächste Erfolg 
derselben besteht darin, daß die aus der Franzosen- 
zeit in den rheinischen Landen bestehen gebliebenen 
Schwurgerichte übernommen werden. Seit der 
Gerichtsorganisation von 1879 wirken Laien ferner 
wieder in mancherlei Gerichten, wie Schöffen-, 
Handels-, Gewerbe-, Kaufmanns-, Verwaltungs- 
gerichten, mit. Die Gerichte sind landesherrlich 
und sprechen im Namen des einzelnen Staats- 
oberhaupts Recht, ohne aber hierbei dessen per- 
sönliche Vertreter zu sein (vgl. unter 3); doch 
bestehen das Reichsgericht und das Reichsmilitär- 
gericht, von denen ersteres im Namen des Reichs 
erkennt (letzteres läßt seinen Urteilen keine Ein- 
gangsformel vorausgehen). 
2. Die Funktion des Rechtsprechens besteht in 
der Unterordnung eines Rechtsfalls, eines gegebenen 
oder erst noch aufzuklärenden Tatbestands unter 
das geltende Recht und in der Verkündung des 
gewonnenen Resultats, des Urteils. Die Urteils- 
findung ist also lediglich eine logische Operation, 
die ausschließlich kraft der logischen Notwendigkeit, 
mit der nach allgemeinen Denkgesetzen aus Obersatz 
und Untersatz die Schlußfolgerung sich ergibt, das 
bestehende Recht auf den einzelnen Fall zur An- 
wendung bringt. 
Daraus ergibt sich zunächst, daß der Richter- 
spruch nur das feststellt, was zwischen den streiten- 
den Parteien bzw. in Ansehung des einer Straftat 
Angeklagten Rechtens ist, nicht aber, daß er dar- 
über hinaus im allgemeinen Recht im Sinn von 
Gesetz erzeugt. Als im alten Rom die Rechts- 
pflege in den Händen des Prätors lag, war dessen 
bei seinem Amtsantritt erlassenes Edikt, d. h. die 
Bekanntmachung der Normen, nach denen er sein 
Amt verwalten werde, in hervorragendem Maß 
Quelle der Rechtsbildung, um so mehr, als die- 
jenigen Stücke des Edikts, welche sich als gut und 
brauchbar erwiesen hatten, von den Amtsnach- 
folgern übernommen wurden. Ursprünglich Rechts- 
quelle nur für die Amtsdauer der einzelnen 
Magistratsperson, wurde dieses übernommene 
Edikt (edictum tralaticium) unter Hadrian 
131 n. Chr. zusammengefaßt und als edictum 
perpetuum für unabänderlich und verbindlich 
erklärt. — Auch die Rechtsprechung der deutschen 
Volks= und Gerichtsgemeinde enthielt ein Element 
der Rechtserzeugung. Nach germanischer Auf- 
fassung wurde das Recht überhaupt nicht gemacht, 
es wurde nur bezeugt. Wenn also die Gemeinde 
in einem Spruch, sei es daß er einen konkreten 
Rechtsfall entschied, also ein „Urteil“ war, sei es 
daß er eine abstrakte Frage beantwortete, also ein 
„Weistum“ enthielt, das Recht bezeugte, so sprach 
sie wenigstens für neue Verhältnisse zugleich aus, 
was dem Rechtsbewußtsein des Volks entsprach 
und als Recht bestehen sollte. Die westgermani- 
Richter. 
  
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schen und nordischen Volksrechte sind wohl alle auf 
derartige Dingbeschlüsse zurückzuführen. — Eine 
solche Recht erzeugende Kraft kommt den Richter- 
sprüchen heutiger Zeit nicht zu. Die heutige 
Tätigkeit der rechtsprechenden Richter besteht, wie 
bemerkt, lediglich in der Kunst der Anwendung 
des geltenden Rechts. Eine häufige und lange 
Zeit gleichmäßig durchgeführte Ubung der Ge- 
richte (usus fori), die indessen ihre bindende Kraft 
für die Zukunft oder für andere, namentlich auch 
untere Gerichte nur in der überzeugenden Be- 
gründetheit findet, kann jedoch dazu führen, daß 
ihr Inhalt sich überall Geltung verschafft, schließ- 
lich als wirkliches Recht empfunden wird, somit 
die Wirkung geltenden Rechts hat, soweit er nicht 
geradezu durch einen gesetzgeberischen Akt sank- 
tioniert wird. 
Ist, wie bemerkt, das Rechtsprechen nichts an- 
deres als eine logische Operation, werden die 
Schlußfolgerungen nur kraft innerer Notwendig- 
keit, gewissermaßen automatisch und in ihrer Rich- 
tung durch keine Willensäußerung des Richters 
beeinflußt, vollzogen, so steht ferner fest, daß der 
Richter für das gesprochene Urteil weder straf- 
rechtlich noch zivilrechtlich zur Verantwortung ge- 
zogen werden darf. Strafrechtlich wird der Richter 
als solcher nur verantwortlich, wenn er sich be- 
stechen läßt oder vorsätzlich einer Beugung des 
Rechts schuldig macht (Str.G.B. 88 334/336). 
Und was die zivilrechtliche Haftung anbelangt, so 
bestimmt der § 839, Abs. 2 des B.G. B., wie 
folgt: „Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in 
einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für 
den daraus entstehenden Schaden nur dann ver- 
antwortlich, wenn die Pflichtverletzung mit einer 
im Weg des gerichtlichen Strafverfahrens zu ver- 
hängenden öffentlichen Strafe bedroht ist. Auf 
eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzöge- 
rung der Ausübung des Amts findet die Vor- 
schrift keine Anwendung.“ Dazu kommt noch, daß 
eine Ersatzpflicht, soweit sie den Richter danach 
dennoch treffen könnte, auch dann nicht eintritt, 
wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unter- 
lassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines 
Rechtsmittels abzuwenden. 
Besteht also die Aufgabe des Richters lediglich 
darin, das vom Gesetz Gewollte zu erkennen, eine 
Tätigkeit auszuüben, an der der Wille keinen 
Anteil haben darf, so ergibt sich ferner unmittel- 
bar, daß auch jede Einwirkung auf den Richter, 
welche den Zweck hat, ihn bei der Rechtsprechung 
zur Betätigung eines Willensaktes zu bewegen, 
unzulässig erscheint, und daß es die erste Pflicht 
des Staats ist, zur Sicherung einer solch freien 
Rechtsprechung die Richter von Beeinflussungen 
freizuhalten. Dieses Prinzip hat sich in Deutsch- 
land allmählich seit dem Untergang der Schöffen- 
gerichtsverfassung zu positiver Anerkennung heraus- 
gearbeitet. Mit diesem Untergang wuchsen die 
ehemals getrennten Funktionen der Urteilsfindung. 
und der Gerichtsherrlichkeit des Landesherrn zu- 
 
	        
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