695
Staatsrecht; Stölzel, Die Entwicklung des gelehr-
ten R.tums in deutschen Territorien; Störk, Hand-
buch der deutschen Verfassungen; Deutsche Justiz-
statistik (bearbeitet vom Reichsjustizamt; erscheint
alle 2 Jahre). [Wellstein.)
Rittertum s. Adel.
Rodbertus, Joh. Karl, geb. am 12. Aug.
1805 in Greifswald. Studierte vorerst (1823/26)
in Göttingen und Berlin die Rechte. 1827 im
preußischen Staatsdienst; verlegte sich indessen
nach kurzer Beamtenkarriere auf das Studium der
Nationalökonomie. Ein längerer Aufenthalt in
Dresden und Heidelberg war intensiven Studien
auf den Gebieten der Geschichte, Philologie und
Nationalökonomie gewidmet. Verschiedene Stu-
dienreisen im Ausland trugen nicht wenig zur
Vertiefung seiner Kenntnisse bei. 1834 endgültig
nach Hause zurückgekehrt, erwarb er sich die Be-
sitzung Jagetzow im Demminer Kreis in Pom-
mern, auf der er sich in der Folge während vierzig
Jahren als praktischer Landwirt betätigte. 1847
Abgeordneter des Kreises Usedom-Wollin im
Provinziallandtag. 1848 Mitglied des Frank-
furter Parlaments. Starb nach langer Leidenszeit
am 8. Dez. 1875 auf seinem Rittergut Jagetzow.
Rodbertus, „der Ricardo Deutschlands“ und
geistige Führer und Lehrer Lassalles, ist in seiner
Bedeutung als hervorragender nationalökonomi-
scher Schriftsteller lange Zeit stark unterschätzt
worden. Es war Ad. Wagner vorbehalten, die
wissenschaftlichen Verdienste dieses Gelehrten erst-
mals richtiger zu würdigen. In der 1842 er-
schienenen Schrift „Zur Erkenntnis unserer
staatswirtschaftlichen Zustände“ hat Rodbertus
bereits die Grundzüge der in seinen sozialen Brie-
fen entwickelten Lehren niedergelegt. 1845 folgte
die Schrift „Die preußische Geldkrisis“; 1847:
„Für den Kredit der Grundbesitzer“ und „Die
neuesten Grundtaxen des Herrn v. Bülow-Cum-
merow“. Sein volkswirtschaftliches Hauptwerk
bilden die „Sozialen Briefe an v. Kirchmann"“
(1850). Der zweite und dritte dieser Briefe ge-
langten in einem gesonderten Band „Zur Be-
leuchtung der sozialen Frage“ zur Ausgabe. Der
vierte, letzte Brief wurde nach seinem Tod unter
dem Titel „Das Kapital“ herausgegeben. 1858
erschien sodann die Schrift „Die Handelzkrisen
und die Hypothekennot der Grundbesitzer“. Seinen
Ruf in der Gelehrtenwelt hat Rodbertus in erster
Linie durch seine wertvollen Abhandlungen über
das römische Steuerwesen und Wirtschaftsleben
begründet. „Die Arbeiten von Rodbertus über
die römischen Agrar- und Steuerverhältnisse“,
schreibt Ad. Wagner (Zeitschrift für die gesamten
Staatswissenschaften NXXIV 199), „sind auf dem
Gebiet der Nationalökonomie des klassischen Alter-
tums nicht übertroffen worden. Auch bei Histori-
kern von Fach gelten sie viel, und wenn auch
einzelne Resultate immer wieder angefochten
werden, wie neuerdings seine Auffassung und Er-
klärung der Entstehung des Kolonats, so sind sie
Rittertum — Rodbertus.
696
doch auch von denen, die zu andern Ergebnissen
gelangen, stets sehr hoch gestellt worden.“ Zu be-
dauern ist, daß diese tiefgründigen Untersuchungen
noch immer in den verschiedenen Bänden von
„Hildebrands Jahrbuch für Nationalökonomie
und Statistik“ (1864/74) vergraben und so der
wissenschaftlichen Benützung nur sehr schwer zu-
gänglich sind.
Es ist das Verdienst der schriftstellerischen Tä-
tigkeit des Rodbertus, die Einseitigkeit und Un-
richtigkeit des Smithschen Fundamentalgrund-
satzes nachgewiesen zu haben, wonach der Egoismus,
die „freie Konkurrenz“ als ausschließliches Orga-
nisationsprinzip zur Harmonie der wirtschaftlichen
Interessen und zu einer vollendeten wirtschaftlichen
Kultur führen soll. Seine Schriften sind zum
großen Teil dem Nachweis gewidmet, daß das
„freie Spiel der Kräfte“ im Wirtschaftsleben zur
Ausbeutung des Schwachen und zu unhaltbaren
gesellschaftlichen Zuständen führen muß. Durch
seine Werke hat Rodbertus im übrigen auch die
Systematisierung der Nationalökonomie sehr we-
sentlich vertieft.
Rodbertus, der theoretische Begründer des
Staatssozialismus, bezeichnet selbst seine Theorie
als die „konsequente Durchführung des von Smith
in die Wissenschaft eingeführten, und von der Ri-
cardoschen Schule noch tiefer begründenden Satzes,
daß alle Güter wirtschaftlich nur als Produkte der
Arbeit anzusehen sind, nicht als Arbeitskosten“.
Er betrachtet somit die Arbeit als alleinige Wert-
quelle und ausschließliches Wertmaß. Von dieser
Grundauffassung ausgehend, welche durchaus ab-
zulehnen ist, gelangt er zur Forderung des Rechts
des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag. Das
Zziel seiner Bestrebungen besteht somit vorerst in
der Erhöhung des Arbeitslohns. Das heutige
System der Einkommensverteilung ist ein unge-
sundes und ungerechtes. „Wenn der Verkehr in
Bezug auf die Verteilung des Nationalprodukts
sich selbst überlassen bleibt, bewirken“, wie Rod-
bertus feststellt, „gewisse, mit der Entwicklung der
Gesellschaft verbundene Verhältnisse, daß bei stei-
gender Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit
der Lohn der arbeitenden Klassen ein immer klei-
nerer Teil des Nationalproduktes wird.“ Pau-
perismus, Mangel an Kaufkraft der breiten
Volksmassen und Handelskrisen sind die Folge.
Rodbertus bekämpft daher das Prinzip der freien
Konkurrenz und die heutige auf Privateigentum
beruhende wirtschaftliche Rechtsordnung, fordert
aber — im Gegensatz zu Lassalle und Marx —
nicht von vornherein die Aufhebung des Sonder-
eigentums und gewaltsame Umgestaltung und Um-
wälzung der bestehenden Rechtsordnung, sondern
eine Ersetzung der geltenden Lohnform durch eine
andere, welche den Fortschritten der kulturellen
Aufwärtsbewegung besser angepaßt sein sollte.
Er will das Grund= und Kapitaleigentum vorerst
in seinen Funktionen noch bestehen lassen und
auch den gegenwärtigen Rentenbezug nicht kürzen,