Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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niert, und deren Resultate dankbar zu nutzen sucht. 
Desto näher steht sie den Methoden von Malthus 
und Rau. Soweit ich entfernt bin, diesen Weg 
zur Wahrheit für den einzigen, aber auch nur 
absolut kürzesten zu halten, so zweifle ich doch 
ebensowenig, daß er durch eigentümlich schöne und 
fruchtbare Gegenden führt und, einmal gehörig 
ausgebaut, niemals ganz wird verlassen werden“ 
(Grundriß, Vorrede). 
Die „historische Methode" von der „philosophi- 
schen (idealistischen)“ abgrenzend, gibt Roscher 
(schon im Grundriß, Einleitung) weitere Andeu- 
tungen: Wie der Historiker die menschlichen Ent- 
wicklungen und Verhältnisse möglichst getreu dem 
wirklichen Leben nachgebildet schildert, so ist dem 
politischen Triebe der Menschen mittels Ver- 
gleichung aller bekannten Völker nachzuforschen, 
das Gleichartige aber in den verschiedenen Volks- 
entwicklungen als Entwicklungsgesetz darzustellen 
mit dem höchsten Ziel, die politischen Resultate 
der Menschheit in wissenschaftlicher Verarbeitung 
fortzupflanzen (Grundriß, Einleitung; betr. die 
notwendige Ergänzung der Schilderung und 
Vergleichung durch die Beobachtung f. System 
I, §26). Gegenüber der bloßen Abstraktion der 
(im System I so genannten) „idealistischen Me- 
thode“ ist dabei zu betonen, daß „die Abstraktion, 
als wenn alle Menschen gleich wären, bloß durch 
Erziehung, Lebensstellung usw. verschieden, alle 
gleich sehr, mit gleicher Geschicklichkeit und Frei- 
heit auf wirtschaftliche Produktion und Kon- 
sumtion gerichtet“, nur „als ein unentbehrliches 
Stadium in den Vorarbeiten des Nationalökono- 
men gelten“ darf (System I, § 22). Im übrigen 
„muß unsere Wissenschaft“, in der „es gegen- 
wärtig“ eben darauf ankommt, „die Beobachtungen 
zu erweitern, zu vertiefen und vielseitiger zu kom- 
binieren“, „wenn sie von Menschen handelt, die- 
selben so nehmen, wie sie wirklich sind, von sehr 
verschiedenen, auch nicht wirtschaftlichen Motiven 
zugleich bewegt, einem ganz bestimmten Volk, 
Zeitalter, Staat angehörig u. dgl. mehr. Es lassen 
sich (nämlich) bei jeder Wissenschaft, welche sich 
mit dem Volksleben beschäftigt, zwei Hauptfrage- 
stellungen unterscheiden: Was ist? (Was ist 
gewesen? Wie ist es so geworden? usw.) und 
Was soll sein? — je nach dem entschiedenen 
der einen oder der andern Fragestellung zeigt sich 
der Gegensatz der (realistischen) physiologischen 
oder geschichtlichen und der idealistischen 
Methode“ (System I, 8 22). 
Bei der letzteren weiter verweilend (System 1, 
§ 23) führt er an, man müsse staunen über die 
Veränderlichkeit dessen, was die Menschen zu ver- 
schiedenen Zeiten von der Volkswirtschaft (vom 
Staat, Recht usw.) begehrt — aber auch über „die 
ungeheuern Verschiedenheiten, ja Widersprüche in 
dem, was die Theoretiker als wünschenswert und 
notwendig bezeichnen. Fast kein erheblicher Punkt, 
wo sich nicht die gewichtigsten Autoritäten für und 
wider anführen ließen“". — „Ohne Zweifel (a. a. O. 
NRoscher. 
  
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§ 25) sind nun die volkswirtschaftlichen Gesetze 
und Anstalten um des Volkes willen da und nicht 
umgekehrt. Ihre Wandelbarkeit ist daher an sich 
durchaus kein Üübel, sondern sie ist löblich und 
heilsam, insofern sie den Umwandlungen des Volks 
selbst und seinen Bedürfnissen genau parallel läuft. 
Die verschiedensten Idealschilderungen brauchen 
daher nicht notwendig einander zu widersprechen; 
eine jede von ihnen kann recht haben, natürlich nur 
für ihr Volk, ihr Zeitalter.“ Der geschichtlichen 
oder physiologischen Methode folgend, will Roscher 
daher (a. a. O. 8 26) in der Theorie auf die Aus- 
arbeitung solcher Ideale gänzlich verzichten. „Was 
wir statt dessen versuchen, ist die einfache Schilde- 
rung zuerst der wirtschaftlichen Natur und 
Bedürfnisse des Volks, zweitens der Gesetze 
und Anstalten, welche zur Befriedigung der 
letzteren bestimmt sind, endlich des größeren oder 
geringeren Erfolges, den sie gehabt haben. 
Das sind lauter Dinge, die auf dem Boden der 
Wirklichkeit stehen, welche mit den gewöhnlichen 
Operationen der Wissenschaft bewiesen oder wider- 
legt werden können, welche entweder schlechthin. 
wahr oder schlechthin falsch sind und deshalb im 
ersten Fall nicht wesentlich veralten. Wir gehen 
hierbei auf ähnliche Art zu Werke wie die Natur- 
sorscher. — Wir haben dabei von den Natur- 
kundigen voraus, daß die Selbstbeobachtung des 
Körpers sehr beschränkt, die des Geistes aber bei- 
nahe unbeschränkt ist, — anderseits hat die Natur- 
forschung es wieder bequemer. Will sie eine Gat- 
tung kennen lernen, so kann sie Hunderte, ja 
Tausende von Individuen und Experimenten dazu 
benutzen. — Wieviel Völker stehen uns zur Ver- 
gleichung offen? Desto unerläßlicher freilich, diese 
wenigen alle zu vergleichen. Daß die Vergleichung 
nicht imstande ist, die Beobachtung zu ersetzen, 
versteht sich von selbst. Nur vielseitiger, an Ge- 
sichtspunkten reicher soll die Beobachtung dadurch 
werden."“ 
Diese Methode habe große praktische Erfolge: 
Mit der völligen Durchführung dieser Methode 
wird (System I, § 27) eine Menge von gerade be- 
deutenderen Kontroversen als solche hinwegfallen. 
— Der Irrtum besteht nämlich häufig nur darin, 
daß Maßregeln, die unter gewissen Umständen 
vollkommen heilsam, ja notwendig sind, nur un- 
befugterweise auch unter ganz andern Umständen 
durchgeführt werden sollen. Hier wird also eine 
vollkommene Einsicht in die Bedingungen der 
Maßregel den Streit zur Befriedigung beider 
Parteien schlichten. Ein anderer sehr in die Augen 
fallender Charakterzug (a. a. O. § 28) unserer 
Methode besteht darin, daß sie der Selbstüber- 
hebung entgegentritt, womit die meisten Menschen 
verhöhnen, was sie nicht verstehen, und womit 
namentlich die höheren Kulturen auf die niedern 
herabschauen. Wer die Entwicklungsgesetze 
der Pflanze kennt, der mag weder im Samenkorn 
den Keim des Wachstums, noch in der Blüte den 
Vorboten des Verwelkens übersehen“ (ogl. dazu
	        
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