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durch die Buchdruckerkunst vervielfältigt und allen
zugänglich gemacht wurden, beklagt er. Die
Tugend, die erhabene Wissenschaft einfacher Seelen,
bedarf all dieses Aufwandes nicht.
So großes Aufsehen diese paradoxe Deklama-
tion gegen die Kultur erregte, so war sie doch zu
sehr bloßes Stimmungsbild und zu grotesk in
ihren Ubertreibungen, um den Künsten und Wissen-
schaften, überhaupt dem Bestehenden, ernstlichen
Schaden zuzufügen. Die Akademie konnte dieselbe
daher ruhig mit dem Preis krönen. Anders war
das mit der „Abhandlung über die Ungleichheit
unter den Menschen“.
In ihrem Programm von 1753 hatte die Aka-
demie zu Dijon die Preisfrage gestellt, „welches
der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen
sei und ob sie vom Naturgesetz gerechtfertigt werde“.
Rousseau beantwortete dieselbe in dem Discours
sur T’origine et les fondements de l’inégalité
Parmi les hommes. Er unterscheidet darin eine
doppelte Ungleichheit, eine natürliche (inégalité
naturelle ou physique), welche auf der Ver-
schiedenheit der Lebensalter, der Gesundheit, der
Körperkräfte und der geistigen Fähigkeiten beruht,
und eine politische (insgalité morale ou politi-
que), die erst aus der Einrichtung der Menschen
hervorgeht und in den Privilegien besteht, deren
die einen vor den andern sich erfreuen: reicher,
geehrter, mächtiger zu sein und andere zum Ge-
horsam zu zwingen. Nie — auch nicht im Contrat
social — hat Rousseau die erstere, die natürliche
Ungleichheit, geleugnet, und es ist darum ziemlich
nichtssagend, wenn die übliche oberflächliche Polemik
ihn schon durch den Hinweis auf ebendiese natür-
liche Ungleichheit widerlegt zu haben glaubt. Was
er zu untersuchen unternimmt, ist dies: „im Fort-
gang der Ereignisse den Moment zu bestimmen,
wo — indem der Gewalt das Recht nachfolgte —
die Natur dem Gesetz unterworfen wurde, und zu
erklären, durch welche Verkettung sellsamer Um-
stände der Stärkere sich entschließen konnte, dem
Schwächeren zu dienen, und das Volk, eine illu-
sorische Ruhe um den Preis eines realen Glücks
zu erkaufen“ — also das entscheidende Moment
für den Übergang aus dem Naturzustand, der
keine andere Ungleichheit als die physische kannte,
zu dem Zustand rechtlichen Zwangs und der da-
durch begründeten sozialen Ungleichheit. Wenn
Rousseau erklärt, er wolle hierbei „die Tatsachen
beiseite lassen“ und nur „hypothetische Räson-
nements“ bieten, so heißt das nicht, daß er seine
Erklärung nicht als eine geschichtliche geben, son-
dern nur eine ideale, begriffliche Ordnung ent-
wickeln wolle — Rousseaus Verteidiger von Fichte
bis Haymann haben ihn so gedeutet und dann die
Stelle auch auf den Contrat social angewandt —;
er will vielmehr, wie der Zusammenhang der
Stelle deutlich zeigt, sich dadurch nur nach der
theologischen Seite hin salvieren, da die Religion
uns lehre, „zu glauben, daß Gott selbst die
Menschen unmittelbar nach der Schöpfung aus
Nousseau.
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dem Naturzustand gezogen habe, und daß sie
darum ungleich seien, weil er es gewollt habe“.
Was er als „Hypothesen“ bietet, sind historische
Hypothesen, geschöpft aus der Natur des Men-
schen, wie er diese auf ethnologischer Grundlage
und aus allgemeinen philosophischen Erwägungen
heraus sich vorstellt. Freilich, was Rousseau nun
als solche tatsächlich liefert, ist nichts als eine
moralisierende Utopie.
So beginnt denn Rousseau mit einer Schil-
derung des Naturzustands, und zwar zu-
nächst des Urzustands des Menschen, bei der
die Lektüre von Reisebeschreibungen und natur-
wissenschaftlichen Werken seiner Phantasie die
Mittel bietet, einen noch ursprünglicheren Zustand
als den der Wilden auszumalen. Noch tierähnlich,
ohne Sprache, ohne feste Wohnung, ohne Gerät-
schaften, ohne Furcht, wenigstens so weit es sich
um ihm bekannte Dinge handelte, stark und ge-
sund: so lebte der Mensch, wie die Affen und die
andern Tiere des Waldes, von diesen lernend, im
Urwald, dessen reiche Fruchtbarkeit ihm alles zum
Leben Notwendige bot. Allmählich erst gelangte
er zur Sprache, in der zuerst Gefühle und Affekte,
dann auch Vorstellungen sich ausdrückten (Rous-
seau schließt sich hier im einzelnen an Condillac
an). Einen ursprünglichen Trieb der Soziabilität,
den, nach dem Vorgang von Aristoteles, Grotius
und Pufendorf aus der Anlage zur Sprache als
ursprüngliche Eigentümlichkeit des Menschen er-
weisen wollten, erkennt Rousseau nicht an; nicht
mit dem Ameisenstaat, wie Aristoteles, vergleicht
er den Menschen, sondern mit Affe und Wolf. Wer,
wie Rousseau, den idealen Staat auf dem contrat
Ssocial aufbauen will, kann eben nicht mit Aristo-
teles und dem älteren Naturrecht vom Menschen
als Gesellschaftswesen (36Go## Kohrr) ausgehen.
Anderseits aber tritt Rousseau auch Hobbes ent-
gegen, nach dem der Mensch von Haus aus nur
Egoist, ja, weil er das Recht nicht kennt, schlecht
sei, und deshalb der Krieg aller gegen alle am
Anfang stehe. Zwei Triebe, hält Rousseau dem
entgegen, sind schon vor aller Verstandesreflexion
im Menschen, ja (Rousseau beruft sich dafür auf
Mandevilles Fable ofthe Bees) in Spuren schon
im Tier rege: neben der Eigenliebe auch das Mit-
leid (Haymann hat aus diesem Satz die Begriffs-
konstruktion des „Naturrechts“ bei Rousseau ab-
zuleiten versucht). So bestehen im Urzustand zwar
keine eigentlichen moralischen Beziehungen zwischen
den Menschen — weil die Verstandsreflexion noch
fehlt —; die Menschen sind aber deshalb nicht
schlecht; vielmehr stehen sie noch vor Gut und Bös.
Unter ihnen sind physische Ungleichheiten zwar da,
sie bleiben aber im kulturlosen Zustand noch ohne
Bedeutung. Streit ist noch nicht vorhanden; es
gibt kein Objekt für ihn, da sächliches Eigen-
tum noch nicht besteht und die Erde allen reich-
lich ihre Früchte bietet. So ist dieser Zustand
ein glücklicher, wenn auch nicht der glücklichste;
le cceur est en paix et le corps en santé,