Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Witold eroberte sogar Smolensk, Witebsk und 
Kijew und vereinigte große Gebiete Südrußlands 
mit seinem Fürstentum. — Im südwestlichen 
Rußland entwickelte sich zwischen den drei Reichen 
Rußland, Litauen und Krim der freie Staat der 
Dnjeprkosaken zu immer größerer Macht. 
Unter Wasilij II. dem Blinden (1425/62) 
wurde die russische Kirche von der griechischen un- 
abhängig. Eine der wichtigsten Perioden der russi- 
schen Geschichte bildet die Regierung Iwans III. 
(1462/1505). Er nährte den Zwist unter den 
tatarischen Chanaten; seit 1480 konnte die tata- 
rische Herrschaft als beseitigt gelten. Die Fürsten- 
tümer Twer, Rjäsan, Rostow. Jaroflaw usw. 
wurden mit dem Großfürstentum vereinigt, 1471 
bis 1478 Nowgorod, 1489 der Freistaat Wjatka 
und Nordostrußland bis zum Ural, durch Wa- 
sili; III. auch die Republik Pskow unterworfen. 
Nach seiner Heirat mit einer byzantinischen Prin- 
zessin 1472 nahm Iwan den boyzantinischen 
Doppeladler zum Wappen, und seitdem betrachtete 
sich Rußland als Erben von Byzanz und Schutz- 
herrn der orthodoxen Christenheit gegen die Tür- 
ken. Das Ansehen Moskaus hob sich auch im 
Ausland, und langsam trat jetzt Rußland in den Ge- 
sichtskreis der abendländischen Staaten. 1497 ließ 
er das Gewohnheitsrecht kodifizieren (Sudebniz). 
Iwan IV. (1534/84), einer der schrecklichsten 
Tyrannen, die die Welt kennt, vernichtete den po- 
litischen Einfluß der Bojaren und der Volksver- 
sammlung. 1547 ließ er sich feierlich zum Herr- 
scher aller Reußen krönen, nahm den Titel „Zar“ 
an und ließ sich 1561 vom Patriarchen von Kon- 
stantinopel sein Erbrecht auf den byzantinischen 
Thron bestätigen. 1550 wurde das Recht aber- 
mals, zusammen mit dem Kirchenrecht, kodifiziert 
(Stoglaw). Eine Erhebung der kasanschen Ta- 
taren führte 1552 zur Einverleibung Kasans. 
Die Mordwinen, Tschuwaschen und Tscheremissen 
wurden den Russen tributär. Mit leichter Mühe er- 
oberten die Russen 1557 das Chanat Astrachan 
und gelangten so in den Besitz der Wolgamün- 
dungen. Um diese Zeit wurde der sibirische Fürst 
Ediger, der am Tobol herrschte, dem Zaren tri- 
butär, und auch die tscherkessischen Bergvölker 
unterwarfen sich. 1553 fand der Engländer Chan- 
cellor den Weg ins Weiße Meer; ein Handels- 
vertrag wurde mit England abgeschlossen, und die 
englische Moskowie Company breitete ihren 
Handel bis nach Jran und Turan aus. Im Kampf 
um Livland eroberte Iwan 1558 Narwa und 
Dorpat. Ohne Iwans Zutun wurde Sibirien für 
Rußland erobert. Das kommunistisch-kriegerische 
Gemeinwesen der Kosaken Südrußlands hatte sich 
durch Zuzug flüchtiger Russen und Tataren am 
Don und Dnujepr immer mehr ausgedehnt, ein 
großes neutrales Gebiet zwischen Rußland, Polen 
und der Krim bildend. Sie lebten unter ihren 
selbstgewählten Hetmans, anerkannten nominell 
die Oberhoheit der russischen Großfürsten und 
leisteten ihnen ab und zu bei den Einfällen der 
  
Rußland. 
  
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Tataren gute Dienste. Tatsächlich kümmerten sie 
sich aber wenig um Rußlands Oberherrlichkeit und 
unternahmen gelegentlich sogar Einfälle in das 
Reich. Iwan beschloß, ihren Plünderungen ein 
Ziel zu setzen, und zog gegen sie zu Felde. Einige 
hundert donscher Kosaken entflohen unter ihrem 
Hetman Jermak nach Perm, wo die reiche Kauf- 
mannsfamilie Stroganow sie in ihre Dienste nahm 
und gegen die räuberischen stbirischen Völkerschaften 
verwendete. Jermak zog mit 800 Mann über den 
Ural, eroberte nach Überwindung unendlicher 
Mühseligkeiten in harten Kämpfen Sibir am 
Irtisch, vertrieb den dortigen Chan, drang bis 
zum Ob vor und trat 1582 seine Eroberungen an 
Iwan ab. Hier wurden die Städte Tjumen und 
Tobolsk angelegt und ein einträglicher Pelzhandel 
mit der Urbevölkerung des Landes unterhalten. 
Für Iwans halb schwachsinnigen Sohn Feodor 
(1584/98) regierte sein Schwager Boris Godu- 
now, der, um den niedern Adel und die Kirche zu 
gewinnen, 1597 und 1604 die Freizügigkeit der 
Bauern aufhob und 1598 ein von Konstantinopel 
unabhängiges Patriarchat in Moskau gründete. 
Da mit Feodor das Haus Ruriks erlosch, bestieg 
er 1598 selbst den Thron (bis 1605). Während 
der durch das Auftreten des falschen Demetrius 
verursachten Wirren suchte Polen die russische 
Krone zu gewinnen, aber eine allgemeine Volks- 
erhebung beseitigte die Fremdherrschaft. 
Der einberufene russische Landtag wählte 1613 
einmütig den 16jährigen Bojaren Michael Ro- 
manow, einen Verwandten des Rurikschen Hauses, 
zum Zaren. Die beste Stütze fand er an seinem 
Vater, der, von Boris Godunow in ein Kloster 
verwiesen, nun unter dem Namen Philaret den 
Patriarchenstuhl bestieg. Den Krieg mit Polen 
setzte Michael fort, verlor aber an sie die Fürsten- 
tümer Smolensk und Tschernigow (1618). Die 
Schweden hatten die letzten Wirren zu größeren 
Eroberungen im Norden benutzt. Auch gegen sie 
war Michael nicht glücklich, Rußland blieb von 
der Ostsee abgeschlossen. Dagegen machte die Er- 
oberung Sibiriens rasche Fortschritte. Bis über 
den Jenissei hinaus wurde das Land erobert, und 
die Samojeden, Ostjaken, Tungusen, Jakuten so- 
wie die Burjäten am Baikalsee wurden unterworfen. 
1630 erreichten die Kosaken das Meer von Kam- 
tschatka und brachten die ersten Nachrichten vom 
Amur. Unter Alexei (1645/76) wurde durch den 
Aufstand der Dujeprkosaken gegen die polnische 
Herrschaft unter Bogdan Chmjelnickü#l im Frieden 
von Andrussow 1667 die Ukraine bis zum Dujepr, 
ferner Sewerien und Smolensk gewonnen. Feo- 
dor III. (1676/82) behauptete die Ukraine in 
einem Krieg gegen die Türken (1681). Alexei 
führte eine wesentliche Umgestaltung der Armee 
durch. Früher stellte jeder Inhaber von Dienst- 
gütern (auch die Kirche) eine im Verhältnis zur 
Größe des Guts stehende Zahl (4 bis 40 Krieger). 
Diese feudale Armee betrug ca 200 000 Mann. 
Neben diesen Truppen bestand seit Jwan III. das
	        
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