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regierende kadscharische Dynastie zu gründen. Als
er 1797 ermordet wurde, folgte sein Neffe Fath
Ali, 1834 dessen Enkel Mehmed, 1848 dessen
Sohn Nasfr ed-din.
Wegen des Gegensatzes zur Türkei war Persien
oft der halbe Verbündete ihrer europäüschen Feinde.
Als die Türkei ungefährlich wurde, erstand ein
neuer Feind in Rußland, das sich seit Ende des
18. Jahrh. südlich vom Kaukasus ausdehnte. Nach
mehreren unglücklichen Kriegen mußte Persien im
Frieden von Gulistan 12. Okt. 1813 seinen kau-
kasischen Besitz bis zum Aras, im Frieden von
Turkmantschai 23. Febr. 1828 Persisch-Armenien
(die Provinzen Eriwan u. Nachitschewan) abtreten
und auf das Halten einer Kriegsflotte im Kaspischen
Meer verzichten. Mit dem Vertrag von Tiflis
1846 begannen die wirtschaftspolitischen Konzes-
sionen an Rußland, das jetzt seine Grenzen auch
im Osten des Kaspischen Meers vorschob und
nach Unterwerfung der Turkmenen hier gleichfalls
der Nachbar Persiens wurde. Der Einfluß Eng-
lands, das 1856/57 wegen Herat einen Krieg
gegen Persien führte, kam demgegenüber nicht
auf. Das friedliche Eindringen europäischen Ein-
flusses begann seit den 1830er Jahren. 1834 gab
der Schah die Ausübung der katholischen Religion
frei. Bei der Heranziehung gebildeter Europäer
wandte sich Persien lieber an die ungefährlichen
Mächte, für den technischen und landwirtschaft-
lichen Unterricht und um Arzte fast ausschließ-
lich an Frankreich, für das Verkehrswesen auch
an Belgien und um Armeeinstruktoren später
an Osterreich. Die deutschen Bemühungen um
wirtschaftlichen Einfluß in Persien knüpfen an
an die Sendung Minutolis durch Preußen
1860 und den Handelsvertrag von 1873. Die
großen Hoffnungen, die sich anfangs an die euro-
päischen Reisen Nasr ed-dins (1873, 1877/78
u. 1889) knüpften, blieben unerfüllt, abgesehen
vom Bau von Telegraphen= und einer Bahnlinie
und der Organisation des Zollwesens, zu der
die Aufnahme einer europäischen Anleihe (1892)
drängte. Im übrigen blieb die Regierung soschlecht
wie früher. 1. Mai 1896 wurde Nasr ed-din von
einem Anhänger der vom Staat verfolgten Ba-
bistensekte ermordet.
Unter seinem schlecht erzogenen und schlecht be-
ratenen Sohn Musaffer ed-din kam die Unzu-
friedenheit des Volks über die Willkür der Be-
amten und den Druck und dieschlechte Verwendung
der Abgaben zum Ausbruch. Eine Revolution in
Teheran im Sommer 1906 zwang den Schah,
eine Verfassung zu versprechen, die mit einem im
Oktober einberufenen Vorparlament beraten und
am 1. Januar 1907 verkündet wurde. Sie ent-
hielt die üblichen konstitutionellen Rechte und setzte
Kals gesetzgebende Körperschaften einen halb er-
nannten halb gewählten Senat und ein nach Kurien
gewähltes Parlament ein. Mohammed Ali, der
seinem Vater eine Woche darauf folgte, hatte von
Anfang an im Sinn, sie zu beseitigen. Nachdem er
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl.
Persien.
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sie mehrmals außer Kraft gesetzt und wieder be-
schworen hatte, ließ er durch seine Garde, eine
vom russischen Obersten Liakhoff befehligte Kosaken=
brigade, das inzwischen zusammengetretene Parla-
ment 23. Juni 1908 bombardieren, auseinander-
jagen und teilweise verhaften. Nun brach die
Revolution in den Provinzen, hauptsächlich in
Aserbeidschan aus, und nach dem Fall der Haupt-
stadt mußte der in die russische Gesandtschaft ge-
flüchtete Schah 16. Juli 1909 abdanken, worauf
er mit einer Pension nach Odessa entlassen wurde.
Sein minderjähriger Sohn Achmed folgte ihm
unter Regentschaft. Das Parlament trat wieder
zusammen, ebenso jetzt auch der Senat, doch be-
findet sich das Land immer noch in den größten
Wirren.
Die englisch-russische Rivalität, die auch in
diese Verfassungskämpfe hineinspielte, indem Eng-
land den Konstitutionalismus, Rußland im ge-
heimen den Absolutismus begünstigte, kam zu
einem vorläufigen Abschluß im asiatischen Ab-
kommen vom 31. Aug. 1907. England und Ruß-
land verpflichteten sich darin, die Unabhängigkeit
und Integrität Persiens und den Grundsatz der
offenen Tür zu achten. Persien wurde in drei Zonen
eingeteilt, eine nördliche, die noch Hamaden, Is-
pahan und Jesd einschließt, eine neutrale, und eine
südöstliche, die Provinzen Seistan und Mekran
umfassend. Erstere ist russische, letztere englische
Einflußsphäre; keine der beiden Mächte soll in der
Zone der andern politische oder wirtschaftliche Zu-
geständnisse für sich oder ihre Untertanen nach-
suchen oder sich Konzessionen an die andere Macht
widersetzen, in der neutralen sind beide gleichbe-
rechtigt. Rußland hatte im letzten Jahrzehnt seinen
Einfluß durch Bauvon Verkehrswegen, Gründung
einer Bank in Teheran usw. sehr erweitert und
durch zwei Anleihen (1900 22½ und 1902
10 Mill. Rubel) einen Handelsvertrag, Allein-
berechtigung für künftige Anleihen bis 1910 und
Einfluß auf das Zoll= und Heerwesen gewonnen;
durch das Abkommen mit England bekam es den
Löwenanteil zugewiesen, verstärkte seine Stellung
in den kaspischen Provinzen und Chorassan durch
Straßenbauten von Rescht und Astrabad aus und
hält unter Berufung auf die Unruhen in Persien
seit Frühjahr 1909 Truppen in Täbris, Kaswin,
Ardebil usw. England begnügte sich mit einem
kleinen und wenig ergiebigen Gebiet, hat aber
(neben Zugeständnissen hinsichtlich Tibets und
Asghanistans) seinen Hauptzweck erreicht, den
Ausschluß Rußlands vom Persischen Golf.
II. Fläche und Bevölkerung. Die Größe
des Landes beträgt an 1 645 000 qkm. Die auf
drei Seiten vorhandene Umwallung des Landes
mit hohen Randgebirgen, welche die regenfeuchten
Meereswinde vom Innern abhalten, und die klima-
tischen Verhältnisse — vom April bis Oktober fällt
fast nie Regen — bewirken, daß der größte Teil
des innern Hochlands einer ständigen Bewässerung
entbehrt und in zwei ziemlich gleich große Gebiete
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