Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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den russischen je 6 Prälaten und 3 Kanoniker. 
Jedes Bistum besitzt ein Konsistorium, das im 
eigentlichen Rußland auch mit Laien besetzt wird. 
In jeder Diözese besteht ein Seminar, an denen 
in Polen nur Geistliche, sonst auch Laien als 
Professoren wirken. Die Zahl der Pfarreien be- 
trägt an 2810, die der Kirchen 3240, der Kapellen 
1980, der Priester 4500. 
Die evangelisch-lutherische Kirche wird 
von einem Generalkonsistorium in St Petersburg, 
dessen Mitglieder von dem Kaiser ernannt werden, 
verwaltet; die Provinzialkonsistorien haben ein 
Präsentationsrecht. Die Verwaltung der evan- 
gelisch-reformierten Kirche führen die Synoden 
von Warschau und Wilna. An der Spitze der 
armenisch-gregorianischen Kirche steht ein Patriarch, 
der „Oberste Katholikos“ in Etschmiadsin, der 
von den geistlichen und weltlichen Abgeordneten 
des gesamten armenischen Volks auch außerhalb 
Rußlands gewählt und vom Zaren bestätigt wird. 
Die oberste Verwaltung der jüdischen geistlichen 
Angelegenheiten hat die Rabbinerkommission im 
Ministerium des Innern; die der Mohammedaner 
zwei aus der höheren Geistlichkeit gebildete Be- 
zirksbehörden, die Taurische Mohammedanische 
Verwaltung in Simferopol und die Orenburger 
Mohammedanische Geistliche Verwaltung in Ufa; 
für die transkaukasischen Schiiten besteht eine geist- 
liche Verwaltung unter dem Vorsitz des Scheich- 
ul-Islam, ebenso eine für die Sunniten unter 
dem Vorsitz des Mufti. 
UÜber die Stellung der Juden vgl. Sp. 781. 
IX. Anterrichtswesen. Der Bildungsstand 
des Volks steht noch auf niedriger Stufe. Von 
der Gesamtbevölkerung des Reichs konnten nach 
der Zählung von 1897 nur 21,1 % lesen und 
schreiben (von den Männern 29,3, von den Frauen 
13,1 %). Am hbchsten entwickelt ist die Volks- 
bildung in Estland (79,9 % des Lesens und 
Schreibens kundig), in St Petersburg (55,1), 
Moskau (40,2) und in Polen (80,5 %); am ge- 
ringsten in Zentralasien (5,3), Sibirien (12,3) 
und im Kaukasus (12,4 %). Das Unterrichts- 
wesen ist nicht einheitlich geordnet, da die Volks- 
schulen teils dem Ministerium der Volksaufklärung 
teils dem Heiligen Synod, andere Schulen wieder 
der Verwaltung anderer Ministerien unterstehen; 
so die Handels= und Schiffahrtsschulen dem Han- 
delsministerium, die Kriegsschulen dem des Kriegs, 
die Landwirtschaftsschulen der Hauptverwaltung 
für Landordnung und Landwirtschaft, die Schulen 
für höhere weibliche Bildung zum großen Teil der 
Kanzlei der Anstalten der Kaiserin Maria usw. 
Für das Schulwesen ist ganz Rußland in 15 Lehr- 
bezirke eingeteilt, an deren Spitze je ein Kurator 
mit 6 Inspektoren steht; der Kurator ist Vor- 
gesetzter und Revisor aller Lehranstalten, auch der 
Universitäten; er hat das Recht der Ernennung 
und Versetzung der Lehrer an den mittleren Lehr- 
anstalten. Der Mittelschulunterricht wird an den 
(ziemlich zahlreichen) Gymnasien, Progymnasien 
  
Rußland. 
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und Realschulen erteilt; alle Mittelschulen haben 
ihre Uniformen. Auf hoher Stufe steht das höhere 
Mädchenschulwesen, für das außer den rein staat- 
lichen Anstalten die zahlreichen Institute der Ver- 
waltung der Kaiserin Maria vorhanden sind. Die 
Hochschulen genießen seit 1905 wieder die frühere 
Autonomie (Wahl des Rektors durch den Uni- 
versitätsrat oder Senat, der Dekane durch die 
Fakultäten); die Universitäten haben meist 4 Fa- 
kultäten, Tomsk nur eine medizinische und juri- 
stische, St Petersburg keine medizinische, die hier 
durch die militär-medizinische Akademie ersetzt ist. 
Den Charakter von Universitätsfakultäten haben 
noch verschiedene einzelne Anstalten, so z. B. das 
kaiserliche Alexanderlyzeum, die kaiserliche Schule 
für Rechtswissenschaft, das Demidowlyzeum in 
Jarosflaw, das Archäologische Institut in St Pe- 
tersburg, das Lazarewinstitut für orientalische 
Sprachen in Moskau, das Institut für orien- 
talische Sprachen in Wladiwostok, die 2 historisch- 
bhilologischen Institute in St Petersburg und 
Njeschin u. a. Nach dem russischen Jahrbuch für 
1909 gab es 1908 insgesamt 113 092 Schulen 
im ganzen Reich, davon waren 16 höhere Schulen 
mit allgemeiner Bildung, 31 höhere Spezial- 
anstalten (4 geistliche Akademien, 2 pädagogische, 
6 medizinische, 10 technische, 3 für Land= und 
Forstwirtschaft, 1 Rechtsschule, 1 Institut für 
Feldmesser, 1 Schule für Handel, 1 Akademie für 
chöne Künste und 2 für Sprachen), 1205 Mittel- 
chulen mit allgemeinem Unterricht (1006 Gym- 
nasien, Progymnasien, Lyzeen usw., 195 Real- 
schulen), 2207 Spezialschulen (mittlere und ele- 
mentare: 502 kirchliche, 271 pädagogische, 67 
medizinische, 33 militärische, 36 seemännische, 
240 landwirtschaftliche, 610 für Techniker und 
Handwerker, 168 für Handel und Industrie usw.), 
2618 private Schulen und Schulen bei den Kirchen 
der fremden Kulte, 36 Schulen für Blinde und 
Taubstumme, 12 283 Schulen nichtchristlicher 
Kulte, 94 696 Elementarvolksschulen. — An Zei- 
tungen und Zeitschriften erscheinen in Rußland an 
2180, davon 1643 in russischer, 218 in polnischer, 
69 in deutscher Sprache; die Bücherproduktion 
betrug 1908 26 638 Werke in 101,47 Millionen 
Exemplaren. 
X. Grundbesitzverteilung. Rußland ist in 
der Hauptsache ein Agrarstaat. Nach der Zählung 
von 1897 gehörten 77,1 % (ohne Finland) dem 
Bauernstand an; da auch die Kosaken und manche 
eingeborne Stämme sowie ein großer Teil der 
Kleinbürger unter ganz ähnlichen Verhältnissen 
leben, kann man dem Bauernstand /0° der Be- 
völkerung zuzählen. Die Agrarfrage spielt dem- 
gemäß eine überwiegende Rolle. Seit längerer 
Zeit findet eine starke Verschiebung des Grund- 
besitzes statt. Uber den Grundbesitz wurde 
1905 in den 50 Gouvernements des Europäischen 
Rußlands ohne Polen eine Enquete veranstaltet, 
die sich auf 395 192 Mill. Deßjätinen erstreckte. 
Von diesen waren 25,8 % privater Besitz, 35,1% 
  
 
	        
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