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verbleibt. Damit ist der Verfassung des Mir der
bisherige Zwangscharakter genommen, doch liegt
keine plötzliche Auflösung des Mir vor, da die Ge-
meinheitsteilung nur auf Antrag erfolgt. Die
Aufteilung des Mir schreitet seither rascher vor-
wärts, besonders durch Vermittlung der Bauern-
landbank, die bis Anfang 1909 an 4 Mill. ha
Privatland angekauft hat. — Vom gesamten An-
teilland waren 1905: 9,47 Mill. Höfe (72,3%
der Gesamtzahl) mit 114,13 Mill. Deßjätinen
(83,4% des Anteillandes) noch im Gemeinde-
eigentum, der Rest war Hofeigentum. Nach der
Größe verteilten sich die 138,76 Mill. Deßjätinen
auf 12,27 Mill. Höfe, so daß auf einen Hof
durchschnittlich 11,1 Deßjätinen entfielen; doch
hatten 236729 Höfe nur 1 Deßjätine Land,
2,85 Mill. bis 5, 5,07 Mill. von 5 bis 10 Deß-
jätinen und nur 4,07 Mill. Höfe mehr als 10 Deß-
jätinen. Die deutsche Kolonistenbevölkerung besaß
1905 in 716 Dörfern 157517 Höfe, fast alle
mit mehr als 6 (durchschnittlich 20) Deßjätinen.
Das Anteilland, zu dem das Kosakenland im
Dongebiet und in den Gouvernements Astrachan
und Orenburg zugerechnet ist, überwiegt besonders
im Süden des Reichs (Woronesch 66,7 %, Kursk
61,9, Charkow 59,2 % des gesamten Landes);
am geringsten ist es im Nordwesten (Estland
23,7
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3. Das Land der dritten Kategorie (Staat,
Kirche usw.) ist größtenteils Besitz der Krone;
dieses umfaßt im Norden des Reichs (Archangelsk,
Wologda, Olonez) 7/40 der gesamten Fläche, be-
steht aber zum größten Teil aus Tundren und
wenig genutzten Wäldern. In den andern Gou-
vernements beträgt der Anteil des Kronbesitzes im
ganzen nur 16,9% z; er ist also da, wo er zur
Verteilung unter die Bauern zur Vergrößerung
der kleinen bäuerlichen Landlose in Betracht kom-
mer kann, geringfügig. Der Apanagenverwaltung
gehörten 1905: 7,84 Mill. Deßjätinen, meist
wertvolles Land, von dem ein großer Teil seither
verkauft wurde. Der Besitz der Kirchen (1,87
Mill. Deßjätinen) und der Klöster (0,73 Mill.)
ist über das ganze Land verstreut. Der Landbesitz
der Städte, der meist an Bauern und Kleinbürger
verpachtet ist, betrug 2,04 Mill. Deßjätinen.
XI. Wirtschaftliche Berhälknisse. Die Land-
wirtschaft ist an die großen Unterschiede des
Klimas und der Bodenbeschaffenheit gebunden. In
den nördlichsten Teilen bringt der fast stets gefrorene
Boden überhaupt nichts hervor; im Tundren-
gebiet (bis 66. Grad nördl. Breite) wachsen nur
Flechten und Gesträuche. Südlich davon bis zum
60. Grad gedeihen außer Nadelholz auch Gerste
und Hafer; zwischen dem 60. und 53. Grad er-
streckt sich, besonders in den baltischen Provinzen
und den nördlichen Teilen des mittleren Ruß-
lands, das Laubwald= und Roggengebiet, in dem
Roggen, Lein, Sommerweizen, Hafer, Gerste,
Kartoffeln angebaut werden. Das Gebiet zwischen
dem 48. und 53. Grad ist das Gebiet des Winter-
Rußland.
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weizens, außerdem der Hirse, der Rüben, des Ta-
baks, der Melonen usw.; noch weiter südlich ge-
deihen ferner Mais, Wein und selbst Palmen (in
der Krim). Der fruchtbarste Teil des Landes ist
das sog. Schwarzerdegebiet, das an 90 Mill.
Deßjätinen umfaßt und sich über den ganzen Sü-
den, mit Ausnahme der Krim, des Gouvernements
Astrachan und des Südteils von Samarga erstreckt;
dieses Schwarzerdegebiet liefert an 1/8 der gesam-
ten Getreideernte des Europäischen Rußlands.
1909 betrug die gesamte Anbaufläche von Ge-
treide usw. und der natürlichen Wiesen im ge-
samten Reich 122 788 000 Deßjätinen; davon
waren bestanden 56,6% mit Brotgetreide und
Hülsenfrüchten, 14% mit Hafer, 3,2 % mit Kar-
toffeln; 26,3 % waren natürliche Wiesen. Im
Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1904/08
betrug die Zunahme für Brotgetreide 2,8%, für
Kartoffeln 5,3 %, für Hafer 2,2 %; abgenommen
haben die Wiesen um 2,1 % . Die Ernte des Jahrs
1909 war ungewöhnlich günstig; sie erreichte im
Vergleich mit dem Jahrfünft 1904/08 in Winter-
roggen 112,8% , in Winterweizen 106,7% , in
Sommerweizen 148,3% , in Gerste 136,3 5%.
Geerntet wurden 1909 (ohne Finland) in Mill. t:
22,78 Roggen, 21,32 Weizen, 10,3 Gerste, 2,72
Hirse, 1,129 Buchweizen, 1,01 Mais, 16,63
Hafer, 32,45 Kartoffeln, 0,848 Erbsen, 6,98
Zuckerrüben, ferner 3685,5 t Hopfen, 1908:
94321 t Tabak, 273 300 t Reis (in Trans-
kaukasien und Turkestan), 271 600 t Baumwolle
(ebd.) usw. Der Obstbau wird in Transkaukasien
und in der südlichen Krim als Haupt-, sonst wie
auch der Gartenbau meist als Nebenbetrieb gepflegt.
Die Viehzucht wird teils in Verbindung mit
der Landwirtschaft teils (bei den Nomaden) als
wilde Viehzucht betrieben. Gezüchtet werden haupt-
sächlich Hornvieh, Pferde (besonders in den Step-
pen der Schwarzerdegegend, im Kaukasus und in
den Kirgisensteppen), Schafe in den südlichen Ge-
genden, Schweine (am stärksten im Westen),
Kamele in Taurien, Stawropol, Orenburg und
in der Kirgisensteppe, Büffel und Ziegen im Sü-
den, Rentiere bei den Fremdvölkern des Nordens
und den Lappen, Hunde in Nordostsibirien. 1907
gab es 28,33 Mill. Pferde, 42,3 Mill. Rinder,
58,5 Mill. Schafe und Ziegen, 12,28 Mill.
Schweine. — Die Nomaden ziehen einen großen
Teil ihres Unterhalts aus der Jagd und der
Fischerei; mit letzterer ausschließlich beschäftigen
sich etwa ½ Mill. Menschen. Die russischen Meere
und Flüsse sind sehr reich an Fischen, an erster
Stelle das Kaspische Meer, die nördlichen Meere,
die Ostsee, die Wolga und Kama und die großen
Birnenseen.
Der Bergbau bildet, obwohl er sich eigent-
lich noch in den Anfängen befindet, doch schon eine
bedeutende Rolle unter den Großbetrieben des
russischen Reichs. Die Lagerstätten der Minerale
sind zum Teil noch wenig erforscht; doch ist sicher,
daß fast alle nutzbaren Mineralien in abbauwür-