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nichtberührenden Kirchendisziplin. Außer Gebrauch
gekommen sind die Bestimmungen, daf alle bischöf-
lichen Verordnungen, päpstlichen Breven usw., so-
weit sie das Großherzogtum angehen, vor ihrer
Bekanntgabe oder Zustellung der Staatsbehörde
zur Einsicht vorzulegen sind und daß diese, sofern
sie nicht bloß geistliche Vorschriften enthalten oder
bloß moralischen oder dogmatischen Inhalts sind,
ohne das „Plazet“ des Landesherrn nicht publi-
ziert werden dürfen. Ebenso ist außer Gebrauch
gekommen die Bestimmung, daß gegen Außerungen
der geistlichen Gewalt (Bußen usw.) ein Rekurs an
den Landesherrn stattfindet, der gegebenenfalls eine
Untersuchung darüber anordnet, ob die geistliche
Behörde innerhalb ihrer Amtsgrenzen den gesetz-
lichen Gang und die kanonischen Vorschriften be-
obachtet hat. Das Verbot der Prozessionen außer-
halb der Kirche und des Kirchhofs sowie nach
Wallfahrtsorten wurde 1857 beseitigt. Die Ver-
leihung der Pfarrstellen und Pfründen geschieht
mit landesherrlicher Zustimmung durch den Bi-
schof, sofern jedoch dem Landesherrn ein Patro-
natsrecht zusteht, durch diesen. Die Verleihung
soll nur an Landeskinder geschehen, die entsprechen-
den Vorbedingungen vorausgesetzt. Bei einer
jeden Pfarr= und Filialkirche gibt es ein Kirch-
vorsteheramt (Pfarrer und zwei katholische Ge-
meindemitglieder), dem die Verwaltung des Kirchen-
vermögens, die Unterhaltung der Gebäude usw.
obliegt. Außer Gebrauch gekommen ist die Be-
stimmung, daß der Dechant jährlich einmal die
Pfarrer und Kirchen zu visitieren und über den
Ausfall der Visitation der Immediatkommission
Bericht zu erstatten hat; ebenso die Bestimmung,
daß, falls der Bischof oder sein Weihbischof in
eigner Person die Visitation vorzunehmen gedenkt,
dem Landesherrn vorher Anzeige zu machen ist,
worauf bestimmt wird, ob der Visitation ein welt-
licher Rat beigeordnet werden soll.
Hinsichtlich der Konfession der Kinder aus ge-
mischten Ehen sowie des Konfessionswechsels be-
stimmt das Gesetz vom 10. April 1895: Die
Kinder folgen der Konfession des Vaters, auch
dann, wenn der Vater seine Konfession wechselt;
jedoch hat der Konfessionswechsel des Vaters keinen
Einfluß auf die Konfession der Kinder, die das
12. Lebensjahr vollendet haben. Der Vater kann
bestimmen, daß die Kinder in der Konfession der
Mutter erzogen werden, doch kann eine solche An-
ordnung rechtsgültig nicht früher als nach der
Geburt des ersten Kinds und nur durch gericht-
liche oder notarielle Erklärung getroffen werden.
Wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist be-
rechtigt, seine Konfession nach eigner freier Über-
zeugung selbst zu wählen. Wer nach Vollendung
des 18. Lebensjahrs aus der evangelischen oder
katholischen Kirche austreten will, muß sich zunächst
dem zuständigen Geistlichen erklären, der ihn über
die Wichtigkeit des Schritts belehrt, auch über
diese Belehrung ein Zeugnis ausstellt. Die Aus-
trittserklärung wird alsdann vor einem Gericht
Sachsen-Weimar-Eisenach.
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oder einem Notar aufgenommen und mit dem
Zeugnis über die Belehrung dem Amtsgericht des
Wohnsitzes übergeben. Dieses hat den Austritt
in das Austrittsregister einzutragen und einen
Auszug dem evangelischen Kirchengemeindevorstand
bzw. dem katholischen Kirchvorsteheramt der be-
treffenden Gemeinde zuzustellen.
Die Rechtsverhältnisse der Juden (Land-
rabbinat zu Lengsfeld) sind geregelt durch das
Gesetz vom 6. März 1850 und die Nachträge
von 1862 und 1868.
Dem Volksschulwesen zugrunde liegt das
Gesetz vom 24. Juni 1874 in der durch die
Ministerialbekanntmachung vom 5. Dez. 1903
veröffentlichten Form (infolge der Nachträge von
1889, 1895, 1898 und 17. Nov. 1903, 11. Febr.
1904, 9. Mai 1905). Die öffentlichen Volks-
chulen werden entweder von der politischen Ge-
meinde oder einer besondern Schulgemeinde unter-
halten, sie sind konfessionell, und zwar evangelisch
oder katholisch je nach dem Überwiegen der Be-
völkerung des betreffenden Bekenntnisses. Nur an
einem Ort (Dermbach) gibt es eine katholische
(1910:170 Kinder)und eine protestantische (1910:
179 Kinder) Abteilung der öffentlichen Volksschule;
in Geisa gibt es eine katholische und eine jüdische
Abteilung der öffentlichen Volksschule, aus Toleranz
der Katholiken, die aber bei den Städten keine
Nachahmung findet. An 6 Orten mit katholi-
scher Minderheit bestehen katholische private Volks-
chulen (Weimar, seit 1853, 1910: 94 Kinder;
Eisenach, seit 1865, 127 Kinder; Apolda. seit
1891, 69 Kinder; Jena, seit 1892, 142 Kinder;
Weida, seit 1903, 98 Kinder, Neustadt a. d. O.,
seit 1906, 61 Kinder). Diese privaten katholischen
Schulen erhalten von den Gemeinden keine Zu-
schüsse, der Staat zahlt in Weida und Neustadt a. d.
O. jährlich je 225 M, für die übrigen 4 Schulen
je 450 M (eine evangelische private Volksschule
besteht in Geisa, seit 1861, 1910: 33 Kinder,
staatlicher Zuschuß 450 MI)). Zu den Unterhal-
tungskosten der öffentlichen Volksschulen müssen
Protestanten und Katholiken anteilmäßig gleich
viel beitragen. Die Aufsicht über die Ortsschule
führt der Schulvorstand, ihm sind übergeordnet
der Schulinspektor, der technische Beamte in dem
ihm von der obersten Schulbehörde zugewiesenen
Bezirk, und das Schulamt (in jedem der fünf
Verwaltungsbezirke). Der Geschäftsverkehr zwi-
schen den Schulinspektoren und Schulämtern der
katholischen Volksschulen einerseits und der obersten
Schulbehörde anderseits wird durch die Immediat-
kommission für das katholische Schulwesen ver-
mittelt.
Literatur. Gottschalk, Gesch., des herzogl.
Fürstenhauses S.-W. u. E. (Leipz. 1797); Wach-
ter, Thüring. u. obersächs. Gesch. (3 Bde, 1826/30);
Kronfeld, Landeskunde des Großhrzgt. S. (2 Bde,
1878/79); Ortloff, Verfassungsentwicklung im
Großhrzgt. S.-W.-E. (1907); G. Meyer, Staats-
recht des Großhrzgt. S., in Marquardsens Hand-
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