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buch des öffentl. Rechts III. Bd, 2. Halbbd, 2. Abt.
(1884); Knetsch, Staats= u. Verwaltungsrecht von
S.-W.-E. (1909); Boelcke, Die Finanzen im
Großhrzgt. S. seit 1851 (1906); Kuhn, Volks-
schulgesetzgebung des Großhrzgt. S. (6 Hfte, 1875
bis 1893). Staatshandbuch des Großhrzgt. S. seit
1840). (Sacher.]
Saint-Simon s. Sozialismus.
Sakrileg s. Religionsverbrechen (Sp. 606,
609).
Salvador s. Zentralamerika.
Salzsteuer s. Steuern.
Samoas. Deutsches Reich (Bd I, Sp.12727).
Samos s. Türkei.
San Domingo s. Santo Domingo.
San Marino. 1. Geschichte. Der Ur-
sprung der Republik San Marino, des kleinsten
Freistaats der Welt, geht nach der Legende, die
trotz der 1600jährigen Jubelfeier 1901 auf histo-
rische Glaubwürdigkeit keinen Anspruch machen
kann, zurück auf den heiligen Einsiedler und ehe-
maligen Krieger Marinus, der hier zur Zeit des
Kaisers Diokletian den Bewohnern das Christen-
tum verkündete und um dessen Einsiedelei sich ein
Kloster und nach und nach ein Gemeinwesen
bildete. Ein castellum S. Marini wird zum
erstenmal in der Pippinischen Schenkung genannt;
in ihm suchte Berengar von Ivrea im Kampf
gegen Kaiser Otto I. Zuflucht. 1125 schenkte der
Papst Honorius II. Kastell und Volk von San
Marino dem Bischof von Montefeltro. Von
dessen Oberhoheit machte sich die Stadt, die in den
Kämpfen der Gibellinen und Guelfen auf seiten
der ersteren stand, im 13./14. Jahrh. frei und
stellte sich, um ihre Unabhängigkeit gegen die
guelfsischen Malatesta von Rimini zu sichern,
unter den Schutz der Herren von Montefeltro, die
1213/1322 und dauernd seit 1375 Grafen von
Urbino waren. Zu Beginn des 16. Jahrh. brachte
Cesare Borgia für kurze Zeit San Marino in
seine Gewalt (1503). Als nach dem Aussterben
der Rovere 1631 Urbino an den Kirchenstaat fiel,
ging die Schutzherrschaft über die kleine Republik
an diesen über, wobei ihre Unabhängigkeit sowie
Zollfreiheit für die Einfuhr anerkannt wurde.
Gleichwohl bedrohte Kardinal Alberoni 1739 ihre
Selbständigkeit, doch stellte sie Papst Klemens XII.
nach einem Aufstand wieder her. Auch Napoleon
schonte die Existenz der Republik, der er 1797
eine (von San Marino jedoch abgelehnte) Ver-
größerung anbot. Nach der Restauration des
Kirchenstaats bestätigte Pius VII. 1817 nochmals
die Unabhängigkeit San Marinos; das betreffende
Dekret wurde auf Marmortafeln eingegraben an
den Grenzen aufgestellt. 1849 flüchtete Garibaldi
auf dem Rückzug von Rom und andere an den
Unruhen Beteiligte auf das Gebiet des Freistaats
und 800 Osterreicher und 200 Päpstliche folgten
ihm nach; doch vermochte die Stadt sie außerhalb
ihrer Mauern zu halten, die Osterreicher zur Ge-
währung einer Amnestie zu veranlassen und so die
Saint-Simon — San Marino.
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Gefahr für ihre Selbständigkeit abzuwenden. In
den Kämpfen zwischen Papst und Piemont seit
1859 hielt sich San Marino neutral; als der
größte Teil des Kirchenstaats an das neue König-
reich Italien fiel, übernahm dieses 1862 den
Schutz der Republik; das Schutz= und Freund-
schaftsbündnis wurde 1871, 1897 und 1907 er-
neuert. Die mittelalterliche Verfassung wurde
1847 und 1906 umgestattet.
2. Fläche, Bevölkerung, Verfas-
sung usw. Der Flächeninhalt der an der Grenze
der italienischen Provinzen Forli und Pesaro e
Urbino, 15 km südwestlich von Rimini, gelegenen
Republik beträgt 61 qkm, die Zahl der ausschließ-
lich katholischen Einwohner 10 316 Seelen (169
auf 1 ckm). Die Hauptstadt San Marino, die
auf der rauhen Felsenhöhe des Monte Titano
liegt, zählt an 1750 Einwohner. Die Verfas-
sung geht in das 13. Jahrh. zurück, hat aber
1847 und besonders 1906 einschneidende Ver-
änderungen erfahren. Inhaber der Souveränität
war ursprünglich der Arringo generale, d. h.
die Generalversammlung aller Familienhäupter,
die aber in neuerer Zeit nur noch durch Akkla-
mation die Beschlüsse der zwei NRäte bestätigte.
Der „Große, souveräne Rat“ bestand aus 60 auf
Lebenszeit ernannten Mitgliedern, die sich selbst
durch Kooptation ergänzten. Infolge der Be-
wegung nach Erweiterung der Volksrechte, die be-
sonders ein sozialistisches Organ, der Titano, in
Fluß brachte, wurde durch Beschluß des Großen
Rats vom 15. Nov. 1905 ein Arringo generale
berufen, der 25. März 1906 sich für eine Reform
der Verfassung entschied, worauf am 5. Mai 1906
ein neues Wahlregulativ angenommen wurde.
Demgemäß wird der „Große, allgemeine Rat“,
der die gesetzgebende Gewalt besitzt und wie vor-
her aus 60 Mitgliedern besteht, in direkter und
geheimer Wahl vom Volk auf 9 Jahre gewählt
und alle 3 Jahre zu ½ erneuert. Wähler sind
die Familienhäupter (oder ihre Delegierten), die
von Geburt oder Naturalisation Bürger von San
Marino sind, ferner diejenigen, die den Doktor-
titel haben, auch wenn sie nicht Bürger sind.
Nicht wahlberechtigt sind Frauen, Geistliche (außer
wenn sie als Familienhäupter gelten), Geistes-
kranke, die zum Verlust der bürgerlichen Ehren-
rechte Verurteilten und Verbrecher. Familien=
häupter, die wegen Verhinderung (Krankheit usw.)
nicht selbst wählen können, dürfen ihr Wahlrecht
durch einen Delegierten (eine volljährige, nicht
vorbestrafte Person) ausüben. In den Großen
Rat wählbar sind alle männlichen Bürger von
San Marino, die nicht das Bürgerrecht in einem
andern Staat erworben haben, lesen und schreiben
können, das 25. Lebensjahr vollendet haben und
nicht wegen eines Verbrechens verurteilt sind;
Geistliche haben kein passives Wahlrecht. Das
Wahlrecht kann nur in den Pfarreien ausgeübt
werden, in denen der Wähler seinen Sitz hat. Die
Zahl der Wahlkreise (neun) deckt sich mit der der