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Güterverkehrs herbeiführt. Say wurde Begründer
der französischen Freihandelsschule, die jedoch zu-
nächst keine praktischen Erfolge aufzuweisen hatte.
Die Güterverteilung, durch den Unternehmer ver-
mittelt, erfolgt an die Inhaber der von Say an-
genommenen Produktionsfaktoren nach dem Gesetz
von Angebot und Nachfrage. Auf Grund der
Produktivitätstheorie wird auch die Zinslehre ent-
wickelt. Hervorzuheben ist schließlich noch der Satz,
wonach der Konsum bei sinkenden Preisen sich er-
höhen und bei steigenden Preisen abnehmen soll.—
Seiner Weltanschauung nach war Say Deist und
Anhänger der NRousseauschen Humanitätsphilo-
ophie.
Zweierlei wird man anerkennen müssen, fürs
erste, daß der französische Nationalökonom der
Wissenschaft, deren Vertreter er war, eine über-
sichtlichere Gliederung gegeben hat (und zwar nach
Produktion, Distribution, Konsumtion); und
fürs zweite, was von größerer Bedeutung ist, daß
er mit Erfolg um die Steigerung des Interesses
für die Volkswirtschaftslehre sich bemühte und zur
Verbreitung von antimerkantilistischen Anschau-
ungen auf dem Kontinent viel beitrug; zugleich
hater die Wissenschaft zu popularisieren verstanden.
Im übrigen jedoch ist seine Bedeutung stark über-
schätzt worden; es geht nicht an, Say auf eine
Stufe mit Smith zu stellen, der jo freilich seiner-
seits gleichfalls über Gebühr erhoben wurde. Ins-
besondere besteht darüber wohl kein Zweifel mehr,
daß Say nicht als der eigentliche Begründer der
nationalökonomischen Wissenschaft anzusehen ist.
Say hat zwar manche Ansichten von Smith einer
Kritik unterworfen; aber im wesentlichen dessen
Ergebnisse nicht überholt. Sogar die von ihm
durchgeführte neue Art der Gliederung ist logisch
und sachlich anfechtbar. Die Aufhebung der
Smithschen Unterscheidung zwischen produktiver
und unproduktiver Arbeit war verfehlt; darin lag
eine Verkennung des Wesens der Nationalökono-
mie. Ein Grundzug der Sayschen Auffassung
sodann ist ein mit den Tatsachen im Widerspruch
stehender, mitunter geradezu blind zu nennender
Optimismus. Optimistische Übertreibung ist es,
wenn er meint, das wohlverstandene Selbstinteresse
bilde bei zivilisierten Völkern den Regulator der
Bedürfnisse, so daß zwischen der Steigerung des
Nationalreichtums, von Produktion und Kon-
sumtion einerseits und der ethischen Fortbildung
anderseits immerdar schönste Harmonie sich er-
geben muß. Als das Charakteristikum der Zivili-
sation erscheint somit die Steigerung von Pro-
duktion und Konsumtion. In diesem Optimismus
ließ sich Say nicht einmal durch die schrecklichen
sozialen Folgen des Laissez faire-Prinzips wan-
kend machen. Eine optimistische Ubertreibung ist
es ferner, wenn die Möglichkeit des Eintretens
einer Uberproduktion geleugnet wird; die dafür
gegebene Begründung ist zwar geistreich, aber
gänzlich haltlos. Die Gleichsetzung von Kapital
und Arbeit (bzw. Natur) ist nicht angängig, da
Schaepman.
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das Kapital, wie Say selbst ausführt, nur als
Hebel produktiver Unternehmung gelten kann, also
nicht als ursprüngliche Quelle des Werts ange-
sehen werden darf. Allgemein trifft auch der Satz
keineswegs zu, daß bei sinkenden Preisen der
Konsum sich steigert, und umgekehrt; theoretisch
ist dabei zu beanstanden, daß zwischen Tausch-
wert und Gebrauchswert nicht unterschieden wird.
Wenn trotz alledem der französische National=
ökonom besonders zu Lebzeiten überaus hoch-
geschätzt wurde, so hängt dies nicht zuletzt damit
zusammen, daß er gefällig und klar schrieb, worauf
ja der Franzose besonderes Gewicht legt, sowie
damit, daß er als Vertreter liberaler Ideen in
einer Reihe von Einzelfragen sich viele Sympathien
zu erwerben wußte.
Literatur. Vgl. außer Euvres de J.-B. S.
in der Collection des principaux é6conomistes
(Par., 12 Bde), Dictionnaire d'économic politique
II, ebd. 21854 (M. Clement); Dictionnaire philo-
Sobphique de H. Franc; Biographie Didot (1864,
E. Asse); Biographie universelle (Michaud, Ad.
Blanqui). Ferner: Ad. Blanqui, Histoire de
lI’économie politique (2 Bde, Par. 1879); H. Bau-
drillart, J.-B. S. (ebd. 1897); Ch. Perin, Prin-
cipes d'’économie politique (ebd. 1901) u. Les
doctrines économiques (ebd. 1894). Bluntschlis
Staatswörterbuch IX (1865). Ins Deutsche wur-
den übersetzt der Traité von Morstadt (1830), der
„Catéchisme (1816 u. 1826) u. der Cours complet
von Stirner (4 Bde, 1845). [(Schilling.]
Schaepman, Hermann Johann, poli-
tischer Führer der niederländischen Katholiken.
[Ausbildung; Schaepman als Dichter, Redner,
Staatsmann, Organisator.)
Geboren wurde Schaepman am 2. März 1844
zu Tubbergen in der Provinz Overisssel, wo sein
Vater Bürgermeister war. Am Gymnasium zu
Oldenzaal begann er seine Studien, kam dann
in das erzbischöfliche Kollegium zu Kuilenburg
und studierte dort fünf Jahre Humaniora und
Philosophie. Professoren und Mitschüler waren
erstaunt über seine außergewöhnlichen Fortschritte;
auch zeigte sich schon damals seine bedeutende
dichterische Begabung. 1863 trat der Student in
das Priesterseminar der Utrechter Diözese zu Rysen-
burg ein; in der Kathedrale zu Utrecht wurde er
am 15. Aug. 1867 von seinem Oheim, dem Erz-
bischof Schaepman, zum Priester geweiht und
bald darauf zum zweiten Sekretär des Erzbischofs
ernannt. Im Okt. 1868 begab er sich nach Rom,
um den theologischen Dokkorgrad zu erlangen.
Im Jahr 1870 erfolgte seine Ernennung zum
Professor am Priesterseminar zu Rysenburg, in
welcher Stellung er bis zu seinem am 21. Jan.
1903 in Rom erfolgten Tod verblieb.
Schaepmans Hauptwerke als Dichter sind:
De ers (Die Presse), Vondel, Parizs, Napoleon,
De Eeuw en haar Koning (Das Jahrhundert
und sein König) und vor allem Aya Sophia. In
diesem Poem gibt er die Eindrücke wieder, die
sich seiner beim Betreten der Sophienkirche in