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als seine Freunde. Aber wo es sich um kirchliche
Fragen handelte, war er vor allen Dingen Ka-
tholik. Es ist sicher, daß er bei aller Meinungs-
verschiedenheit bei allen in Ansehen stand und
auch von dieser Seite der Kammer hoch geschätzt
wurde. Sein Andenken wird denn auch bei uns
weiterleben.“ Der Minister van Waterstraat sprach
im Namen der Staatsregierung seine Zustimmung
zu den gehörten Worten aus. „In der Tat, die
Volksvertretung hat in Dr Schaepman eine ihrer
edelsten, tüchtigsten und anziehendsten Gestalten
verloren, und es wird schwer werden, die Figur
dieses Riesen von Leben und Schönheit — ein
Wort von Schaepman selbst — zu entbehren.
Auch die Regierung nimmt an der Trauer der
Kammer teil, es ist ihre eigne Trauer, und mit
Schmerz schaut sie dem Entschlafenen nach, dem
ausgezeichneten Redner, dem begeisternden christ-
lichen Dichter, dem treuen Anhänger des Hauses
Oranien, dem echten Niederländer, der das ganze
Leben seines Volks zu dem seinigen gemachtkhatte und
auf den das Volk stolz war, weil es in ihm einen der
würdigsten Vertreter des niederländischen Sinnes
für Freiheit, Religion, Recht und Schönheit sah."“
Schaepmans politisches Vorbild war das deutsche
Zentrum. „Das Zentrum“, so schrieb er, „ist eine
imponierende Erscheinung. Aufgetreten als poli-
tische Partei, hat es von Anfang an in harten
und beschwerlichen Verhältnissen diesen Charakter
bewahrt. Seinem doppelten Wahlspruch: lustitia
fundamentum regnorum, und: „Für Wahrheit,
Freiheit, Recht“, ist es überall treu geblieben. In
seinem Kampf für die sittlichen Fundamente des
Staats, für die wahrhaftigen Prinzipien des
Rechts und der Freiheit gegenüber der Politik,
die der Zentralisation als höchster Ordnung und
dem Beati possidentes als heiliger Gerechtig-
keit huldigt, hat es trotz aller Niederlagen fest auf
seinem Platz gestanden. Treu ergeben der katho-
lischen Kirche, innig verbunden mit ihr, die die
höchste Wahrheit besitzt und verbürgt, hat es die
unveräußerlichen göttlichen Rechte dieser Kirche
geschützt und verteidigt, trotz Schmach und Hohn.
Endlich hat es den Forderungen der bestehenden
ggetragen, nicht mehr verlangend,
als gegeben werden durfte oder konnte.“ Zur Ver-
tretung seiner Anschauungen gründete er das Tage-
blatt Het Centrum.
Bei der Berwirklichung seiner politischen Ideale
hatte Schaepman anfangs gegenüber den Allzu-
engen und Angstlichen im eignen Lager mit großen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Er lebte in seiner
Zeit und für seine Zeit, deren Bedürfnisse er ver-
stand; es war ihm stets gegenwärtig, daß eine
politische Gruppe, wie er sie anstrebte, vor der
Überspannung konfessioneller Ansprüche sich sorg-
fältig zu hüten, nicht lediglich „klerikale“ Politik
im engeren Sinn zu treiben, sondern tüchtige
Mitarbeit auf allen Gebieten des Staatslebens
zu leisten habe. Manchen seiner Glaubensgenossen
war er weit voraus, namentlich bei seinem Ein-
Schaepman.
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treten für eine Erweiterung des Wahlrechts, für
soziale Reformgesetze, für die allgemeine Wehr-
pflicht und die Lernpflicht, die im Hinblick auf die
in Holland bestehende Unterrichtsfreiheit keinerlei
prinzipielle Bedenken hatte. Zeitweise stand er
unter den Katholiken der Kammer fast isoliert da.
Bei dem Kampf um die Erweiterung des Wahl-
rechts unterlag er in Wijk bij Duurstede, was
einem gegnerischen Blatt zu der Außerung Anlaß
gab: „Die katholische Partei hat nur einen ein-
zigen Abgeordneten verloren, aber dieser Eine
zählt für zehn.“ Er erhielt alsbald ein neues
Mandat für den Bezirk Almelo, wo ein anderes
katholisches Kammermitglied ihm Platz machte.
Diesen Bezirk vertrat er bis zu seinem Tod; die
andern Parteien stellten ihm keinen Gegenkandi-
daten gegenüber. Mehr und mehr verschwand
auch das Mißtrauen seiner Parteigenossen und
befestigte sich seine Stellung. Seine hinreißende
Beredsamkeit, seine hohe Intelligenz und sein
scharfer Verstand, sein umfangreiches Wissen und
seine bedeutende allgemeine Bildung zwangen auch
die anfangs widerwilligen Elemente der Partei in
den Bann seiner übermächtigen Persönlichkeit, und
als unter seiner ausschlaggebenden Mitwirkung
ein aus protestantischen Antirevolutionären und
Katholiken gebildetes Ministerium die Geschäfte
in die Hand nahm, wurde seine leitende Stellung
auch formell dadurch anerkannt, daß der katho-
lische Kammerklub ihn zu seinem Präsidenten
wählte. (Schon dreimal ist in Holland ein solches
Koalitionsministerium gebildet worden: 1888/91
das Ministerium Makay, 1901/05 das Mini-
sterium Kuyper und seit 1908 das Ministerium
Heemskerk. Dem gegenwärtigen Ministerium ge-
hören drei Katholiken an: der Finanzminister, der
Justizminister und der Minister van Waterstaat,
alles Männer, welche fest auf dem Boden ihres
Bekenntnisses stehen.) Dr Alph. Ariens sagt
in einer Würdigung Schaepmans als Staats-
mann: „Er hat uns Katholiken begreiflich ge-
macht, daß die niederländische Luft ebensogut für
katholische als für protestantische Lungen ge-
schaffen ist; er hat uns das herrliche Gefühl von
Freiheit und Selbständigkeit geschenkt, aber uns
auch gelehrt, die Pflichten des freien Niederländers
ehrlich zu erfüllen; er hat uns aus unserem ruhigen
Kämmerlein hervorgeholt und uns Leben und
Tätigkeit für alles, was gut, real und national ist,
eingehaucht, hat uns unserer Isolierung entrissen
und uns mit allen zusammengeführt, die wie wir
Christus bekennen, um mit ihnen ehrlich und
kräftig zum Heil des einen Vaterlands zu wirken.“
„Er machte den Katholizismus in Holland volks-
tümlich“, sagte das freisinnig -demokratische So-
ciaal Weekblad von ihm.
In Deutschland war Schaepman namentlich
durch sein Auftreten auf mehreren Generalver=
sammlungen der Katholiken Deutschlands bekannt.
Zuletzt erschien er auf der Kölner Generalversamm-
lung vom Jahr 1894, wo er die Freiheit feierte,