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für Verbreitung des genossenschaftlichen Gedankens
eröffnete. Im Jahr 1854 übernahm er auch die
Redaltion einer Abteilung der „Deutschen Ge-
werbezeitung“ in Leipzig, welche besonders der
Behandlung des Gedankens einer Organisierung
der Erwerbstätigen auf Grundlage der Selbst-
hilfe gewidmet war. Aus den hier gebotenen
Mitteilungen entstand 1861 die selbständige Ge-
nossenschaftszeitung „Innung der Zukunft“. welche
1866 den Namen „Blätter für Genossenschafts-
wesen“ annahm und unter diesem Titel noch heute
besteht. Das Buch über Vorschußvereine als
Volksbanken erschien 1855 und die Schrift über
die arbeitenden Klassen und das Assoziations-
wesen 1858. In sechs Jahren, nämlich von 1853
bis 1859, hatte Schulzes Agitation für Einrich-
tung von Assoziationen für Kreditbefriedigung,
Rohstoffbezüge und Beschaffung von Lebensbedürf-
nissen einen solchen Erfolg aufzuweisen, und seine
Gedanken hatten solchen Anklang gefunden, die
Zahl der nach seinen Grundsätzen eingerichteten
Institute war so groß geworden, daß man an
eine Vereinigung derselben denken konnte: es kam
in Weimar zu dem ersten allgemeinen Vereinstag,
wo bereits auf die Notwendigkeit des Erlasses
gleichförmiger Gesetze für die genossenschaftliche
Geschäftsführung hingewiesen und die Errichtung
eines gemeinsamen Zentralbureaus beschlossen
wurde mit dem Zweck, die Verbindung der ein-
zelnen Genossenschaften untereinander herzustellen,
Korrespondenzen zwischen ihnen zu führen und
ihre gemeinsamen Interessen zu vertreten. Aus
diesem Zentralbureau ist später die „Anwaltschaft
der deutschen Erwerbs= und Wirtschaftsgenossen-
schaften“ entstanden, welcher Name im Jahr 1861
aufkam. Ein Zweck, den das Zentralbureau auch
erfüllen sollte, bestand in der Anbahnung eines
geregelten Geldausgleichs unter den einzelnen Ge-
nossenschaften und führte im Jahr 1865 zur
Gründung eines besondern Bankunternehmens
unter dem Namen „Deutsche Genossenschaftsbank
Soergel, Parrisius & Cie.“, welcher die Aufgabe
zugewiesen wurde, den Großbankverkehr im Ge-
nossenschaftswesen zu vermitteln.
Schon Anfang der 1860er Jahre traten Schulze
und seine Freunde auch dem Gedanken näher, durch
bestimmtgefaßte Vorschläge eine gesetzliche Ordnung
des Genossenschaftswesens zu erstreben und dem
unhaltbaren Zustand ein Ende zu bereiten, daß die
Genossenschaften nur als „erlaubte Privatgesell-
schaften“ ohne Rechtspersönlichkeit behandelt wur-
den. Drei Aufgaben suchte man im wesentlichen
durch die Gesetzgebung zu lösen: Erwirkung der
Rechtspersönlichkeit, Gewährung der Selbstver-
waltung für die Genossenschaften und Ordnung
der Haftpflicht der einzelnen Genossen. Im Jahr
1862 war Schulze in der Lage, dem vierten all-
gemeinen Vereinstag in Potsdam einen Gesetz-
entwurf vorzulegen; derselbe wurde die Grundlage
des preußischen Gesetzes betreffend die privat-
rechtliche Stellung der Erwerbs= und Wirtschafts-
Schulze-Delitssch.
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genossenschaften vom Jahr 1867, welches Gesetz
unter dem 4. Juli 1868 zum norddeutschen Bundes-
gesetz erhoben wurde und 1871/72 auch in Baden,
Hessen, Württemberg, Bayern und Elsaß-Loth-
ringen zur Geltung gelangte. Noch zu Schulzes
Lebzeiten, nämlich im Jahr 1881, wiesen die
nach seinen Grundsätzen arbeitenden Genossen-
schaften die stattliche Zahl 3480 in Deutsch-
land usw. auf.
Betrachten wir den Gedankengang Schulzes in
seiner entwickelten Genossenschaftstheorie näher,
so können wir den logischen Zusammenhang mit
UÜberspringung mancher geschichtlichen Zwischen-
glieder folgendermaßen fassen: ausgehend von der
Beobachtung, daß das Handwerk gegenüber der
Großindustrie nicht konkurrenzfähig sei, glaubte er
neben der individuellen Selbsthilfe einer
höheren Bildung in der Genossenschaft als der
sozialen Selbsthilfe der Individuen das Mittel
zubesitzen, dem Handwerker durch Rohstoffgenossen--
schaften ihre Materialien ebensogut und billig be-
schaffen zu können, wie sie der Großbetrieb erhält,
durch Magazingenossenschaften die Möglichkeit des
lagermäßigen Geschäftsbetriebs zu bieten und
durch Vorschußvereine das nötige Betriebskapital
zu billigen und passenden Bedingungen zu ver-
mitteln. Durch solidarische Haftung und allmäh-
liche Ansammlung eines kleinen eignen Fonds
(Geschäftsguthaben) sollte die Kreditbasis für die
Genossenschaft hergestellt werden. Bei der Be-
willigung des Kredits an die einzelnen Genossen
sollte allerdings der geschäftsmäßige Grundsatz
von Leistung und Gegenleistung beobachtet, ander-
seits aber sollten auch die Eigenschaften des Fleißes,
der Sparsamkeit und Betriebsamkeit in Betracht
gezogen werden. Selbsthilfe, Selbstverwaltung
und Selbstverantwortung sollten die großen Ge-
sichtspunkte sein, nach denen sich die Genossenschaft
gestaltet.
Crüger, der Nachfolger Schulzes als Anwalt
des Genossenschaftsverbandes, bezeichnet in seiner
Schrift „Aus Vergangenheit und Gegenwart
der deutschen Genossenschaften“ (S. 49/51 u.
58/59) als die Grundsätze, auf denen sich die
Schulzesche Kreditgenossenschaft aufbaut, folgende:
1) Die Kreditbedürftigen sind selbst Träger
und Leiter des auf Befriedigung ihres Kredit-
bedürfnisses gerichteten Unternehmens, d. h. also
Mitglieder des Vereins, weshalb ihnen Risiko und
Gewinn des Unternehmens auch gemeinsam sind.
2) Die Zugehörigkeit beschränkt sich nicht auf eine
bestimmte Berufsklasse, sondern alle Stände finden
Aufnahme als Mitglieder; ebensowenig findet eine
örtliche Begrenzung des Bezirks einer Genossen-
schaft, aus dem Mitglieder Aufnahme finden
können, statt, damit so zwischen Stadt und Land
sowie auch zwischen den einzelnen Berufsarten ein
Ausgleich zwischen Geldangebot und Geldnachfrage
herbeigeführt werde. 3) Die Genossenschaft stellt
eine Personalgemeinschaft dar und dient auch nur
der Befriedigung des Personalkredits, und da die