Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Genossenschaften selbst ihre Gelder nur auf kurze 
Leihefristen erhalten, niemand aber auf längere 
Frist das Geld ausleihen darf, wie ihm selbst das 
Verfügungsrecht darüber eingeräumt ist, so wer- 
den nur Vorschüsse auf kurze Zeit, wie 3/6 Mo- 
nate, bewilligt, wohingegen im Bedarfsfall aber 
Prolongationen stattfinden. 4) Die Vorstands- 
mitglieder erhalten Gehalt, die Aufsichtsratsmit- 
glieder Entschädigungen, da nur bei entsprechender 
Schadloshaltung für Zeitverlust eine zuverlässige 
Geschäftsführung garantiert ist. 5) Der Zweck der 
Genossenschaft ist, die Lage der zeitigen Mit- 
glieder zu bessern; deshalb werden unteilbare 
Reservefonds nicht gebildet, da man nicht für 
spätere Zeiten und unbestimmte Zwecke Kapitalien 
sammeln will; dagegen wird außer auf Ansamm- 
lung eines Sicherheitsfonds, um der persönlichen 
Haftpflicht jede Gefahr zu nehmen, auf die Bil- 
dung eines eignen Vermögens der einzelnen Ge- 
nossen zur Anregung des Sparsinns großer Wert 
gelegt, und um diefen Sparsinn noch mehr an- 
zuregen, werden auf die angesammelten Geschäfts- 
anteile Gewinnanteile verteilt. 
Schmoller meint, daß Schulze auf demselben 
Grundgedanken aufbauend, auf dem einstmals 
die Franziskaner die montes pietatis schufen, 
auf dem in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. das 
Sparkassenwesen bestand, in den Kreisen des 
Mittelstands Einrichtungen geschaffen habe, welche 
auf der einen Seite zu solider und strenger Ge- 
schäftsmäßigkeit anregten, wie sie auf der andern 
Seite von dem idealen Zug genossenschaftlicher 
Bruderliebe beseelt waren. Das Bedeutungsvollste 
der Schulzeschen Tätigkeit war, ähnlich wie auch 
bei Raiffeisen, daß er nicht nur den Kampf mit 
den Hindernissen aufnahm, welche der genossen- 
schaftlichen Bewegung sich entgegenstellten, son- 
dern daß er auch unablässig bestrebt war, seine 
Anhänger vor Übertretungen und Mißgriffen zu 
bewahren. Wenn später stellenweise sehr große 
Verluste bei Schulzeschen Genossenschaften (val. 
Knittel. Beiträge zur Geschichte des deutschen Ge- 
nossenschaftswesens, 1895) eintraten, so waren 
dieselben meistens auf vier Ursachen zurückzu- 
führen: 1) Der Vorstand war nicht beschränkt in 
der Aufnahme fremder Gelder; 2) die Gehälter 
der Vorstände waren nach dem Umsatz des Ge- 
schäfts normiert; 3) die Mitglieder überließen 
dem Vorstand die Geschäftsführung selbständig; 
4) man legte zu viele Gelder in Hypotheken 
dauernd fest und konnte im Bedarfsfall nicht 
darüber verfügen. 
Schulzes nationalökonomische Richtung 
kann man als Sozialliberalismus bezeichnen; als 
Politiker gehörte er der Fortschrittspartei und 
religiös dem kirchlichen Liberalismus, d. h. der 
freisinnigen Richtung des Protestantismus, an. 
Schon in dem elterlichen Haus war eine rationa- 
listische und freisinnige Richtung in kirchlicher Be- 
ziehung vertreten. Schulzes Biograph Bernstein 
macht als bemerkenswert darauf aufmerksam, daß 
Schulze- 
Delitzsch. 952 
nach dem Predigerjournal für Sachsen der Pre- 
diger in Prettin bei der Vermählung der Eltern 
Schulzes keine Bibelstelle als Text für seine Pre- 
digt wählte, sondern Schillers Spruch „vom 
Herzen, das sich zum Herzen findet“, und das aus- 
führliche Lob der Braut mit dem charakteristischen 
Stoßseufzer geschlossen habe, daß der Krieg auch 
die Kirchenkonzerte, „welche zur Bildung der 
Menschen äußerst heilsam wären“ und bei denen 
die Braut als fromme Sängerin mitgewirkt habe, 
leider gestört hätte. 
Schulze hat auch eine ausgedehnte schriftstelle- 
rische Tätigkeit entfaltet. Im elterlichen Haus 
war ihm das Verständnis für heitere Geselligkeit 
und Gastfreundschaft, aber ebenso sehr auch der 
Sinn für Wissenschaft und Kunst, Musik und 
Peesie erschlossen worden. Man sieht es allen 
Schulzeschen Schriften an, daß sie das Erzeugnis 
eines wissenschaftlich und ästhetisch gebildeten 
Mannes sind. Da er auch ein gutes Sprach- 
organ besaß, so kann man sich denken, daß er als 
Redner einen großen Eindruck auf die Hörer ge- 
macht haben muß. Interessant ist sein Wander- 
buch, Leipzig 1838; ein Gedicht in Szenen und 
Liedern, ausgezeichnet durch sinnige Naturschil- 
derungen, sucht es in den beiden Hauptpersonen der 
Erzählung, dem Wanderer und dem Sänger, 
Schulzes eigenes Wesen, das abgezogene innere 
Sinnen und Denken und die nach außen bewährte 
Frische in Tun und Schaffen zu veranschaulichen. 
In Schulzes volkswirtschaftlichen Schriften findet 
man die Ansichten der englisch-deutschen individua- 
listischen Nationalökonomie mit vielen Anklängen 
an das Manchestertum vertreten. Das Wesen 
von Schulzes Charakter hat man richtig als 
Paarung von Idealismus und praktischer Sinnes- 
art bezeichnet — ganz gleich Raiffeisen. 
Der Gedanke der freien Genossenschaft, welcher 
das ein und alles von Schulzes Streben umfaßte, 
beeinflußte auch seine politischen Anschauungen, 
so daß er dahin gelangte, die Wirkungen der in- 
dividuellen Tätigkeit in freier Vereinigung zu über- 
schätzen und diejenigen einer berufsmäßigen Aktion 
der öffentlichen Behörden zu unterschätzen. Auch 
scheint er sich den Eindrücken lebenslang nicht haben 
entziehen zu können, welche die Behandlung auf 
ihn gemacht, die er als Beamter erfahren hat. Auf 
diese Empfindungen wird man wohl seine große 
Abneigung gegen den „Polizeistaat“ zurückführen 
dürfen, und im Zusammenhang damit kam er 
wohl in jene Anfang der vierziger Jahre des letzten 
Jahrhunderts im deutschen Mittelstand verbreitete 
Richtung hinein, welche nichts so sehr fürchtete 
wie den Bureaukratismus und in der Beamten- 
schaft nur eine Vielregiererei mit Hemmung der 
freien Bewegung des Bürgertums erblickte, des- 
halb von der Schaffung einer konstitutionellen 
Verfassung und der Gewährung der verschiedenen 
Freiheiten, wie Gewerbefreiheit, Preßfreiheit, Ver- 
einsfreiheit, Unterrichtsfreiheit usw., den Beginn 
  
eines neuen Völkerfrühlings erhoffte. Aus der Ab-
	        
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