953
neigung gegen das Beamtentum ist wohl auch die
von ihm ausgesprochene Ansicht zu erklären, die
Alters- und Invaliditätsversicherung mit staat-
licher Unterstützung müsse von der Lösung der so-
zialen Frage abhalten, welch letztere nur allein in
der steigenden Zivilisation zu finden sei. Zur Er-
reichung einer höheren Kulturstufe der Menschheit
hält Schulze aber das Zusammenwirken von
Staat, Gemeinde, Kirche, Schule, gemeinnützigen
Gesellschaften und Privatpersonen für ersprießlich.
Bezüglich des Genossenschaftswesens war er nicht
gegen jede staatliche Unterstützung, sondern nur
gegen die Bewilligung von Geldzuschüssen aus
Staatsmitteln.
Bei der Gründung des Genossenschaftswesens
hatte Schulze neben den Gewerbetreibenden auch
die Arbeiter im Auge und beabsichtigte beider Lage
auf diesem Weg zu verbessern. Wenn er in seinen
Schriften sehr häufig zwischen beiden Volksklassen
kaum einen Unterschied machte, so kann man dar-
aus wohl den Schluß ziehen, daß er die Arbeiter-
frage in ihren Tiefen nicht erfaßt hat. Den Bil-
dungsbestrebungen der Arbeiterkreise wandte er
besonderes Interesse zu, und so erging an ihn im
Jahr 1863 das Ersuchen, im Berliner Arbeiter-
verein eine Reihe Vorträge über die volkswirt-
schaftliche Bedeutung der Arbeit zu halten. Diese
Vorträge sind später in einem Buch unter dem
Titel „Kapitel zu einem deutschen Arbeiterkate-
chismus“ vereinigt worden. Gegenüber der sozio-
listischen Bewegung nahm Schulze eine scharf ab-
lehnende Stellung ein, was ihn bekanntlich in
einen harten Streit mit Lassalle brachte; während
dieser ja von der Staatshilfe die Lösung der so-
zialen Frage erhoffte, war für Schulze das Prinzip
der Selbsthilfe das ein und alles. Schulzes Tätig-
keit war gerichtet auch auf die gesetzliche Reglung
der Gewerbefreiheit, des Vereinsrechts, des Hilfs-
kassenwesens, der Haftpflicht bei gewerblichen Un-
fällen, der Aufhebung der Beschlagnahme des
Arbeitslohns, der Notstandsunterstützungen. In
allen seinen Reden und Schriften, welche die Ar-
beiterfrage berühren, findet sich der Gedanke der
Zusammengehörigkeit von Genossenschaft, Bil-
dungsverein und Arbeiterverein, welche für ihn
„drei Stämme aus gemeinsamer Wurzel“ sind.
Eine gedeihliche Entwicklung der sozialen Verhält-
nisse Deutschlands ist für ihn an zwei Bedingungen
geknüpft, daß nämlich die Forderungen der Arbeit-
geber und Arbeitnehmer in Einklang gebracht und
die gebildeten Kreise sich ihrer sozialen Pflichten
allgemein bewußt werden. Die politische Tätig-
keit Schulzes hat im Jahr 1848 begonnen und
ist bis zu seinem Tod fortgesetzt worden. In den
Tagen der revolutionären Bewegung während der
innern Kämpfe Preußens und bei der Wieder-
herstellung des Deutschen Reichs suchte er für die
freiheitlichen Rechte des Volks einzutreten, wie er
sie im Rahmen seiner Weltanschauung verstand.
Im Jahr 1861 wurde Schulze zum Mitglied
des preußischen Abgeordnetenhauses gewählt und
Schutzgesetze,
gewerbliche. 954
gehörte demselben an bis zum Jahr 1875. Er
schloß sich zunächst dem kleinen Häuflein Demo-
kraten an, welche sich als Jung-Litauer bezeich-
neten, und später der unter seiner Mitwirkung ge-
gründeten Deutschen Fortschrittspartei. Auch bei
der Gründung und Leitung des „Volkswirtschaft-
lichen Kongresses“, des „Nationalvereins“ und
der „Deutschen Gesellschaft für Verbreitung von
Volksbildung“ war er beteiligt und gehörte später
auch dem deutschen Reichstag an. Von seinen
Freunden wurde ihm 1863 ein Ehrengeschenk von
150 000 M überreicht. Er nahm aber nur einen
kleinen Teil davon für sich, nämlich zur Be-
schaffung eines eignen Hauses. Den Rest des
Kapitals bestimmte er für eine Stiftung. Bis
zum Ende seines Lebens war Schulze tätig. Er
starb am 29. April 1883 in Potsdam.
Literatur. S.-D.s Schriften u. Reden in der
bei Guttentag in Berlin 1909ff erschienenen
Sammelausgabe, welche im 1. Bd ein Bild der
genossenschaftlichen Tätigkeit, im 2. Bd S.-D.3
Anteilnahme an der sozialen Bewegung, im 3. Bd
die Schilderung seiner politischen Tätigkeit bietet
u. in einem Schlußband versucht, ein Gesamtbild der
Wirksamkeit Schulzes u. seiner Persönlichkeit im
Rahmen der Zeit darzustellen. Natürlich ist die
Richtung der Herausgeber kritisch zu beachten. Bern-
stein, S.-D.s Leben u. Wirken (1879); Eheberg in
der Allgemeinen deutschen Biographie XXXIII
(1891); Böhmert, S.-D. als Arbeiterfreund u.
Sozialreformer im „Arbeiterfreund“ (1883);
Schmoller im Jahrb. für Gesetzgebung usw. (1884);
Art. „S.-D.“ im Handwörterb. der Staatswissen-
schaften; Finck, Das S.-D. sche Genossenschaftswesen
u. die modernen genossenschaftl. Entwicklungsten-
denzen (1909); Crüger, Die ersten 50 Vereins= u.
Genossenschaftstage (1910). LFaßbender.)
Schutzgesetze, gewerbliche. Die Be-
stimmungen zum Schutz der gewerblichen Arbeiter
haben vor allem in der Gewerbeordnung Ausdruck
gefunden. Nur der Kinderschutz ist in einem
besondern Gesetz geregelt. Das Bürgerliche Ge-
setzbuch und das Handelsgesetzbuch enthalten zwar
auch eine Reihe von Bestimmungen, die den
Schutz von Gesundheit, Leben und Sittlichkeit
der Beschäftigten zum Ziel haben; aber sie sind
nur zivilrechtlicher Natur und haben nur die Wir-
kung, daß entgegenstehende Vertragsbestimmungen
ungültig sind, und bei Ubertretung gegebenenfalls
Schadenersatzpflicht eintritt. Für die Besatzung
der Seeschiffe sind die Verhältnisse geordnet in der
Seemannsordnung (1902). Ein Gesetzentwurf
betr. die Reglung der Hausarbeit ist
1909 als besonderes Gesetz eingebracht worden,
sieht aber noch der Verabschiedung entgegen.
Es erscheint zweckmäßig, die Schutzbestimmun=
gen nach Materien geordnet zur Darstellung
zu bringen.
I. WBetriebsstättenschutz. Jede Berufsarbeit
bringt gewisse Gefahren und Schädigungen für
Gesundheit und Leben, oft auch für die Sittlich-
keit mit sich. Bald ist es die Einseitigkeit der