Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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burg, Murten, Orbe, Echallens, Grandson (von 
Bern und Freiburg), Uznach, Gaster, Gams (von 
Glarus und Schwyz). Endlich besaßen auch ein- 
zelne Orte für sich allein untertäniges Gebiet: 
Bern das Waadtland, den Oberaargau; Zürich 
die Grafschaft Sax im Rheintal, Uri Livinen im 
Tessin; Graubünden Veltlin, Kläven und Worms; 
Schwyz die March, Glarus Werdenberg. 
Träger der alten Eidgenossenschaft waren aus- 
schließlich die 13 Orte, die unter sich in lockerster 
Verbindung und nicht einmal zu allen in direktem 
Bündnis standen. Einziges Bundesorgan war 
die Tagsatzung, ein Kongreß souveräner Staa- 
ten, dessen Organisation und Kompetenzen ledig- 
lich auf Gewohnheitsrechten beruhten. Sie wurde 
in der Regel durch zwei Gesandte von jedem Ort 
beschickt, die nach gebundener Instruktion stimm- 
ten, und versammelte sich früher an den ver- 
schiedensten Orten, seit dem 15. Jahrh. meist in 
Baden und seit 1712 in Frauenfeld, aber auch 
an andern Orten, bisweilen sogar im Ausland. 
Man unterschied 1) allgemeine Tage, an denen 
außer den Orten auch die Zugewandten, privi- 
legierten Untertanen und fremden Verbündeten 
vertreten waren; 2) gemeineidgenössische Tage der 
13 Orte und der höchstgestellten Zugewandten; 
3) seit der Reformation konfessionelle Sonder- 
tagsatzungen der katholischen Orte in Luzern, der 
evangelischen in Aarau und 4) Syndikatstage der 
regierenden Orte für die deutschen Vogteien in 
Frauenfeld, für die ennetbirgischen in Lugano. 
Tagsatzungsabschiede heißen kurze Protokollaus- 
züge, die jedem Abgeordneten mit nach Haus ge- 
geben wurden; sie sind veröffentlicht in einer mo- 
numentalen Quellensammlung. Die Tagsatzung 
entscheidet über Krieg und Frieden, schließt Bünd- 
nisse und Verträge, vertritt die Eidgenossenschaft 
nach außen, sorgt für Erhaltung von Frieden und 
Ordnung im Innern, verwaltet die gemeinen 
Vogteien und erläßt Satzungen über Gegenstände 
besonders der Staatspolizei und des Wehrwesens. 
Ein vollziehendes Organ gab es nicht. Dafür 
lag eine gewisse Leitung der eidgenössischen Ge- 
schäfte, besonders des diplomatischen Verkehrs, 
in den Händen des Vororts, der herkömmlich 
Zürich war. 
Mit Hilfe der Franzosen und nach französischem 
Vorbild wurde die Eidgenossenschaft 1798 in den 
helvetischen Einheitsstaat verwandelt (1798/1802) 
mit einer Verfassung, die nur gleichartige 
und gleichwertige Glieder ohne Untertanenverhält- 
nisse kannte und deren Gebietseinteilung häufig 
wechselte. Die gesetzgebende Behörde zerfiel in 
zwei Kammern, einen Senat und einen im Ver- 
hältnis zur Bevölkerungszahl bestellten Großen 
Rat; ein fünfgliedriges Direktorium, von dem 
vier Minister abhingen, bildeten die oberste voll- 
ziehende Behörde. Als zweite Instanz in Straf- 
fällen und Kassationsgericht im Zivilprozeß, ferner 
als aufsichtsführendes Organ über gesetzgebende 
und vollziehende Behörden fungierte ein oberster 
Schweiz. 
  
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Gerichtshof. Kantonsgerichte urteilten in erster 
Instanz in Kriminal-, als letzte in Zivil= und 
Polizeisachen. Unter dem Direktorium standen 
die Statthalter in den Kantonen, Unterstatthalter 
in den Bezirken und Agenten in den Gemeinden. 
Die Kantone bildeten bloße Verwaltungsbezirke 
ohne jegliche Autonomie. Eine Verwaltungs- 
kammer sorgte für Finanzwesen, Handel, Acker- 
bau, Gewerbe, Kommunikationsmittel. Neben der 
reduzierten schweizerischen Milizarmee gab es be- 
soldete stehende Truppen. 
Durch die Vermittlungsakte Bonapartes vom 
19. Febr. 1803 wurde allen Kantonen ihre Auto- 
nomie, den alten 13 Orten ihr früheres Gebiet 
wiederhergestellt, jedoch Aargau und Waadt von 
Bern getrennt und das Schweizer Gebiet durch 
Aufnahme von sechs neuen Kantonen (St Gallen, 
Graubünden, Aargau, Tessin und Waadt) auf 
19 Kantone gebracht. Diese Mediationsverfassung, 
ein schwacher Versuch eines Bundesstaats, war zu- 
gleich Bundes= und Kantonalverfassung. Organ 
des Bundes ist wieder die Tagsatzung, bei der die 
sechs größten Kantone durch je zwei, alle übrigen 
durch je eine an Instruktion gebundene Stimme 
vertreten waren. Ihr Sitz wechselte jährlich zwi- 
schen drei evangelischen Vororten: Zürich, Bern, 
Basel, und drei katholischen: Luzern, Freiburg, 
Solothurn. Der Schultheiß des Vororts war als 
solcher Landammann der Schweiz mit besondern 
Kompetenzen und der eidgenössischen Kanzlei an 
der Seite. Die Tagsatzung entschied über Krieg 
und Frieden, Bündnisse und Verträge, Anstände 
unter den Kantonen und verfügte über die Bundes- 
armee. Sonderbündnisse unter den Kantonen so- 
wie mit auswärtigen Mächten waren verboten. 
Die Kantone zerfielen hinsichtlich ihrer Verfassung 
in drei Gruppen: 1) die demokratischen Kantone 
mit der alten Landsgemeindeverfassung in geringer 
Abänderung; 2) die alten Städtekantone mit ari- 
stokratischer Repräsentativverfassung und Bevor- 
zugung der Hauptstädte. 3) Die neuen Kantone, 
ausgenommen Graubünden, dessen alte Verfassung 
etwas geändert wurde, erhielten eine Repräsen- 
tativverfassung mit kompliziertem Wahlmodus. 
Der Bundesvertrag von 1815, der nach 
dem Sturz Napoleons an die Stelle der Me- 
diationsverfassung trat, kehrte wieder zur lockersten 
Form des früheren Staatenbunds zurück, unter- 
schied sich davon einzig durch Beseitigung aller 
Untertanenverhältnisse, Gleichberechtigung aller 
Kantone und teilweise Beschränkung der Kantonal- 
souveränität zugunsten des Bundes und Aufstel- 
lung einer Bundesexekutivbehörde. Im übrigen 
waren die Kantone wieder souverän, die Tag- 
satzung, ein Kongreß souveräner Staaten, das 
oberste Organ, bei dem jeder Kanton durch eine 
Stimme vertreten war. Fortbestand und Eigen- 
tum der Klöster und Kapitel war durch die Ver- 
fassung ausdrücklich garantiert, das Gebiet der 
Eidgenossenschaft durch die Aufnahme von Wallis, 
Neuenburg und Genf auf den heutigen Umfang
	        
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