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auch das Landrecht. Dieselbe tritt ordentlicher-
weise jährlich einmal an einem Sonntag im
Frühjahr an einem bestimmten Ort zusammen,
außerordentlicherweise bei dringenden, wichtigen
Angelegenheiten auf Begehren der gesetzgebenden
Behörde, des Volks oder einer Anzahl von Ge-
meinden. Die Abhaltung ist überall mit einem
mehr oder weniger feierlichen Zeremoniell ver-
bunden und trägt in den katholischen Kantonen
einen kirchlichen Charakter. Alle stimmfähigen Bür-
ger haben die Pflicht, daran teilzunehmen. Jeder
einzelne Bürger ist in der Regel zu Anträgen be-
rechtigt. Die Vorlagen und Anträge sind vor der
Versammlung den Bürgern zur Kenntnis zu
bringen; Wahlvorschläge dagegen werden erst an
der Landsgemeinde selber gemacht. Die Abstim-
mung geschieht durch offenes Handmehr, dessen
Feststellung durch Abschätzung des Vorsitzenden,
eventuell mit Beiziehung weiterer Ratsmitglieder,
in zweifelhaften Fällen durch Abzählung geschieht.
Für die Abstimmung gilt in der Regel das ab-
solute Mehr. Für Verfassungsänderung muß das
Begehren von einer größeren Zahl (50/800)
Bürger gestellt werden.
Alle Kantone mit Ausnahme der Landsgemeinde-
kantone besitzen nur einen gesetzgebenden
Körper (Großer Rat, Kantons-, Landrat), der aus
direkter Volkswahl im Verhältnis zur Seelenzahl
der Bevölkerung hervorgeht. Die Zahl der Ver-
treter schwankt von 1 auf 250 bis 1 auf 2500
Seelen oder von 44 bis 212 Mitgliedern, die
aktive und passive Wahlfähigkeit vom 17. bis
21. Lebensjahr, die Amtsdauer von 1 bis zu 6
Jahren; meist beträgt sie 3 Jahre. In den Kan-
tonen Tessin, Neuenburg, Genf, Zug, Solothurn,
Schwyz, Basel-Stadt und Luzern ist die gesetzliche
Minderheitsvertretung (Proportionalwahl) in
Form der Listenkonkurrenz und mit Beibehaltung
der Wahlkreise für die Bestellung der gesetzgebenden
Behörde eingeführt. Der Große Rat übt das Recht
der Gesetzgebung, die Aufsicht und Kontrolle über
die Landesverwaltung und wählt die kantonalen
Beamten, soweit dieses Recht nicht durch die Re-
gierung oder unmittelbar vom Volk ausgeübt
wird. Die Anregung zu den Ratsverhandlungen
kann von der Regierung oder einem Abgeordneten
oder vom Volk (Petition) ausgehen. Jeder Gegen-
stand wird in der Regel nur einmal beraten. In eini-
gen Kantonen kann die gesetzgebende Behörde vom
Volk abberufen werden vor abgelaufener Amtszeit.
Die Volksgesetzgebung. In weitaus den
meisten Kantonen nimmt das Volk neben und
außer der gesetzgebenden Behörde auch direkten
Anteil an der Gesetzgebung in Form von Initia-
tive und Referendum a) Referendum ist das
Recht des Volks, über Verfassung und Gesetze
und Beschlüsse der gesetzgebenden Behörde abzu-
stimmen (Verfassungs= und Gesetzesreferendum).
Schweiz.
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tonen eingeführt, ausgenommen Freiburg. Unab-
hängig vom Gesetzesreferendum besteht teilweise
das Finanzreferendum, d. h. die Volksabstimmung
über finanzielle Beschlüsse, die eine gewisse Summe
übersteigen; in den meisten Kantonen besteht es
neben dem Gesetzreferendum. Man unterscheidet
zwischen obligatorischem und fakultativem Re-
ferendum, je nachdem ein gesetzgeberischer Erlaß
dem Volk ohne weiteres zur Genehmigung vor-
gelegt werden muß oder erst dann, wenn das Volk
es verlangt. Es gibt Kantone mit ausschließlich
fakultativem und solche mit ausschließlich obli-
gatorischem Referendum neben solchen, die beide
Formen vereinigen. Die Zahl der Stimmberech-
tigten, welche ein fakultatives Referendum ver-
langen können, schwankt von 500 (Zug) bis 6000
Waadt) Stimmen oder 8 bis 19%. b) Neben
dem Referendum besteht in der Mehrzahl der
Kantone auch das Recht der Initiative, d. h.
der aktiven Mitwirkung des Volks an der Gesetz-
gebung. Man unterscheidet Verfassungs= und Ee-
setzesinitiative; die erstere ist durch die Bundes-
verfassung allen Kantonen vorgeschrieben und kann
jederzeit für eine ganze oder teilweise Revision
stattfinden. Die Verfassungsinitiative muß von
1000 bis 15 000 oder 6 bis 22% der Stimm-
berechtigten begehrt werden. Die Initiative zu
einer Totalrevision hat nur den Charakter einer
Anregung; bei Gesetzen kann sie bloße Anregung
—
oder ausgearbeiteter Entwurf sein; doch muß sie
in den meisten Kantonen wenigstens motiviert sein.
Eine Verfassungsinitiative ist unmittelbar ans Volk
zu bringen, die Gesetzesinitiative in der Regel zu-
nächst an die gesetzgebende Behörde. Die Gesetzes-
initiative fehlt einzig im Kanton Freiburg.
2. Die Behörden. Die vollziehende Gewalt
liegt überall in den Händen einer Regierung
(Regierungs-, Staatsrat, Kleiner Rat,. Standes-
kommission), die in der Mehrzahl der Kantone
direkt vom Volk, in den übrigen vom Großen Rat
gewählt wird. Die Zahl ihrer Mitglieder wechselt
zwischen 5 und 11, die überall eine feste Besoldung
von 3000/8000 Franken beziehen, mit Ausnahme
# einiger Landsgemeindekantone, wo noch Taggelder
üblich sind. Wählbar ist in der Regel jeder stimm-
berechtigte Bürger; die Sitzungen sind meist ge-
heim. Die Regierung schlägt Gesetze vor, vollzieht
solche sowie gerichtliche Urteile, entscheidet über
Rekurse in Verwaltungssachen, besorgt die Staats-
verwaltung und legt darüber Rechnung ab und er-
läßt Verordnungen. In der Behandlung der Ge-
schäfte herrscht fast durchweg das Direktorialsystem.
Der Regierung untersteht die Staatskanzlei mit
dem Staatsarchiv sowie die erforderlichen Spezial-
beamten. Zur Verwaltung sind die meisten Kan-
tone in Bezirke (Kreise) eingeteilt, in denen die
Regierung durch einen Statthalter (Bezirks-
ammann, Oberammann, Präfekt) vertreten wird,
Das kantonale Verfassungsreferendum ist durch in einigen Kantonen in Verbindung mit Bezirks-
die Bundesverfassung obligatorisch vorgeschrieben oder Kreisräten, die meist vom Volk gewählt sind,
(Art. 6); das Gesetzesreferendum ist in allen Kan= mit eigner administrativer Kompetenz.