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gibt, wenn er meint, daß dem Spruch ein offen-
barer Irrtum zugrunde liege, die Sache an den
Gerichtshof der Königsbank, welche die Sache vor
eine neue „kleine Jury“ verweist; hierdurch ist der
frühere Spruch beseitigt. Dem Angeklagten stehen
noch andere Rechtsbehelfe gegen den Spruch zu,
wie der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens,
auf neue Untersuchung, wenn gewisse Voraus-
setzungen vorliegen.
In den Vereinigten Staaten von Amerika
sehlt die „große Jury“; der vom Volk oder in
einzelnen Staaten vom Gesetzgeber ernannte
Friedensrichter führt in öffentlicher Verhandlung
und im Beisein des Angeklagten die Vorunter-
suchung. Gegen das in der Verhandlung vor den
Geschworenen gesprochene Urteil hat der An-
geklagte die Beschwerde an das Obergericht wegen
erheblichen Rechtsirrtums. Im übrigen ist das
Verfahren im wesentlichen dem englischen gleich.
In Frankreich war während der großen
Revolution ein dem englischen ähnliches Ver-
fahren eingeführt; jedoch wurde die „große
Jury“ bald beseitigt. Ein Richter führt in
allen zur Zuständigkeit der Schwurgerichte (As-
sisen) gehörigen Sachen die Voruntersuchung
und erstattet der aus drei Gerichtsmitgliedern
einschließlich seiner bestehenden Ratskammer Be-
richt. Diese eutscheidet je nach Lage der Sache auf
Einstellung des Verfahrens, oder sie verweist die
Sache vor den aus wenigstens fünf Mitgliedern
des Appellhofs bestehenden Anklagesenat. Letzterer
entscheidet auf Vervollständigung der Vorunter-
suchung oder auf Einstellung des Verfahrens oder
auf Verweisung vor ein anderes Gericht oder end-
lich auf Verweisung an die Assisen. Der Ange-
klagte erhält keine Kenntnis von dem Ergebnis
der Voruntersuchung. Die Zusammensetzung des
Geschworenengerichts und die Verwerfung der
Geschworenen ist anders, zum Nachteil des Ange-
klagten gereichend, gestaltet. Das „Schuldig“ er-
fordert nicht Stimmeneinhelligkeit, sondern nur
Stimmenmehrheit; beträgt diese nur sieben, so
stimmen die Richter ab; der Schuldigspruch er-
folgt, wenn bei Zusammenzählung der Stimmen
der Geschworenen und der Richter die Mehrheit
sich ergibt. Letztere Bestimmung ist später dahin
abgeändert worden, daß das Richterkollegium bei
nur sieben Stimmen der Geschworenen die Sache
vor ein anderes Schwurgericht verweisen kann.
Mit Einführung des französischen Rechts in Bel-
gien und in mehreren deutschen Landesteilen
wurde auch das französisch-rechtliche Strafver-
fahren eingeführt, jedoch in einzelnen Punkten
verändert.
In Preußen wurde im Jahr 1849 der An-
klageprozeß mit Einfügung des Schwurgerichts-
verfahrens nach französischem Muster in dem da-
maligen Umfang der Monarchie, mit Ausschluß
des Geltungsbereichs des französischen Rechts, ein-
geführt. Im Jahr 1867 kam er auch in den neuen
Provinzen (Hannover hatte das Schwurgerichts-
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl.
Schwurgerichte.
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verfahren bereits seit der Mitte des 19. Jahrh.),
jedoch mit mehreren nicht unwesentlichen Abwei-
chungen und mit Einführung des Laienelements
(der Schöffengerichte) für das Verfahren bei ge-
ringfügigeren Strafsachen zur Einführung.
3. Das Schwurgericht im Recht des
Deutschen Reichs. Der Schwurgerichtsprozeß
nach der deutschen Riichsstrasprozeßordnung,
welche am 1. Okt. 1879 in Kraft getreten ist, ge-
staltet sich wie folgt: Zuständig sind die Schwur-
gerichte in den mit schweren Strafen bedrohten
politischen Verbrechen, mit Ausnahme von Hoch-
verrat und Landesverrat gegen Kaiser oder Reich,
welche zur Zuständigkeit des Reichsgerichts ge-
hören; ferner für die mit schweren Strafen be-
drohten gemeinen Verbrechen und die mit einer
solchen Sache verbundenen geringeren Delikte; in
diesen letzteren Fällen ist die Zuständigkeit aus-
geschlossen, wenn der Angeklagte zur Zeit der Tat
das 18. Lebensjahr noch nicht überschritten hatte
und die Sache nicht mit einer zur Zuständigkeit
der Schwurgerichte gehörigen Sache verbunden
ist. Sie sind ferner auf Grund von zulässigen
landesgesetzlichen Vorschriften in Bayern, Würt-
temberg und Baden für die durch die Presse be-
gangenen strafbaren Handlungen zuständig. An-
kläger ist der Staatsanwalt; derselbe befindet nach
pflichtmäßigem Ermessen über die Strafverfol-
gung. Er kann jedoch auf Antrag des Verletzten
von der vorgesetzten Dienstbehörde oder durch Be-
schluß des Oberlandesgerichts zur Erhebung der
öffentlichen Klage genötigt werden.
Erhoben wird die öffentliche Klage durch An-
trag auf gerichtliche Voruntersuchung durch
den Untersuchungsrichter; er kann nur aus Rechts-
gründen abgelehnt werden. Das Voruntersuchungs-
verfahren ist schriftlich und nicht öffentlich. Die
Stellung der Parteien in diesem Verfahren ist nicht
erschöpfend geregelt. Dem Angeschuldigten steht
ein Recht zu, vernommen zu werden, auch bei den-
jenigen Vernehmungen anderer Personen zugegen
zu sein, die zur Beweissicherung dienen. Seine
Vernehmung erfolgt in Abwesenheit des Staats-
anwalts und des Verteidigers. Ein Verteidiger
ist dem Angeschuldigten zu bestellen, wenn er einen
solchen nicht gewählt hat; diesem muß nach Ab-
schluß der Voruntersuchung Einsicht der Akten
gestattet werden, während der Staatsanwaltschaft
die Akteneinsicht in weiterem Umfang zusteht. Nach
Abschluß der Voruntersuchung stellt der Staats-
anwalt bei der aus drei Mitgliedern bestehenden
Strafkammer, welcher der Untersuchungsrichter
nicht angehören darf, seine Anträge; der Antrag
auf Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgt durch
Einreichung der Anklageschrift. Diese ist dem An-
geschuldigten zur etwaigen Erhebung von Ein-
wendungen und Stellung von Beweisanträgen
mitzuteilen. Die Strafkammer beschließt hierüber
oder über eine Ergänzung der Voruntersuchung.
Wenn das Gericht befindet, daß der Angeschul-
digte der strafbaren Handlung hinreichend ver-
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