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hat geltend gemacht, daß bei einzelnen Verbrechen
der Tatbestand derart verwickelt sei, daß die Ge-
schworenen den Verhandlungen zu folgen öfters
außer stande seien und daß der Tatbestand derart
mit Rechtsbegriffen durchsetzt sei, daß derselbe nur
durch Beratung zwischen rechtskundigen Richtern
und den Laien festgestellt werden könne, z. B. bei
Konkursverbrechen, einzelnen Arten von Verbrechen
im Amt und von Urkundenfälschungen. Weitere
Meinungen gehen dahin, die Geschworenen sollen
bei der Straffrage mitberaten und mitstimmen,
oder sie sollen nur feststellen, daß der Angeklagte
der Täter ist, während Straf= und Schuldfrage
den Berufsrichtern überlassen bleibt, andere ver-
langen einen Berufsrichter mit allen Rechten und
Pflichten eines Geschworenen für die Geschworenen=
bank. Es fehlt auch nicht an Stimmen, die die
Beseitigung der Schwurgerichte und deren Ersatz
durch die Berufsgerichte fordern.
Alle diese Fragen sind heute um so mehr im
Fluß, als die Reform der Strafprozeßordnung in
Aussicht steht. Und was bringt uns der Entwurf
hinsichtlich der Schwurgerichte? Kaum Nennens-
wertes! An der Organisation soll so gut wie
nichts geändert werden. Nur die Zahl der zur
Auslosung kommenden Geschworenen wird von
24 auf 18 verringert. Im übrigen steuert der
Entwurf den Mängeln nur dadurch ab, daß er
einige bisher zur Zuständigkeit der Schwurgerichte
gehörige Sachen den Strafkammern überweist: so
Amtsverbrechen, Depotunterschlagungen, Konkurs-
verbrechen und schwere Urkundenfälschung.
Das Plenum des Reichstags hat zu der Straf-
prozeßreform endgültig noch keine Stellung ge-
nommen. Seine zur Vorberatung eingesetzte Kom-
mission aber hat sich, soweit die Schwurgerichte
in Betracht kommen, im wesentlichen auf den
Standpunkt des ihm vorgelegten Entwurfs ge-
stellt, auch in Anlehnung an diesen, aber für den
Angeschuldigten günstiger, die Voruntersuchung
gestaltet.
Literatur. Brunner, Entstehung der S. (1872);
Binding, Die drei Grundfragen der Organisation
des Strafgerichts (1876); Dalcke, Fragestellung u.
Verdikt im schwurgerichtl. Verfahren (21898);
Kalau vom Hofe, Der Vorsitz im S. (1901); Gör-
res, Der Wahlspruch der Geschworenen u. seine
psychologischen Grundlagen (1905); de Niem, Be-
rufsrichter oder Laienrichter (1906); S. u. Schöf-
fengerichte, Beiträge zu ihrer Kenntnis u. Beur-
teilung, von Mittermaier u. Liepmann hrsg.
Sammlung der Freunde u. Gegner der S. (2 Bde,
1906/10); Fedderson, Das S. (1907); Oetker, Das
Verfahren vor den S.= u. Schöffengerichten (1907);
Kleinfeller, Das schwurgerichtl. Verfahren u. der
Entwurf einer Strafprozeßordnung (1909);Hitzig,
Die Herkunft des S.s im röm. Strafprozeß. Eine
Hypothese (1909). IV. Rintelen, rev. Eggler.]
Seekriegsrecht s. Krieg, Kriegsrecht (Bd III,
Sp. 518 ff).
Seerecht und Binnenschiffahrts-
recht. Das Recht der Schiffahrt, soweit sie sich
Seekriegsrecht — Seerecht usw.
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auf dem Meer abspielt, pflegt man als Seerecht
zu bezeichnen. Von überragender Wichtigkeit ist
das private Seerecht, das im vierten Buch des
deutschen Handelsgesetzbuchs (§§ 474/905) ge-
regelt ist. Diese Reglung entspricht noch im
wesentlichen derjenigen, die in Deutschland An-
fang bis Mitte der 1860er Jahre (in Preußen
1861) im fünften Buch des alten H. G. B. getroffen
worden ist. Die seerechtlichen Bestimmungen des
alten H. G. B. beruhen auf den Beratungen der
Seerechtskommission, die in Hamburg 1858/60
getagt hat. Diese Beratungen fußen wieder auf
einem preußischen Gesetzentwurf und mittelbar
auch auf der Rechtsprechung der nordischen See-
handelsstädte, die das alte Seerecht durch die Ge-
richtsübung weiter entwickelt hatte. Von den
ältesten Quellen verdienen Erwähnung: die Rules
d'Oléron, Rechtsregeln des Seegerichts auf der
westfranzösischen Insel Oléron (12. Jahrh.), das
Consolato del mare von 1370, beruhend auf
den Sprüchen des Seegerichts in Barcelona, das
Hanseatische Waterecht — niederländischer Ent-
wurf von 1407, nach einer für das Gotländische
Seegericht angefertigten Handschrift von 1505 als
Seerecht von Wisby bezeichnet —, endlich die
Ordonnance de la Marine Ludwigs XIV. von
1681. Diese Ordonnanz wurde zur Grundlage
genommen vom preuß. Allgem. Landrecht und
namentlich vom Code Napoléon, ber seinen wesent-
lichen Bestimmungen nach in das Seerecht vieler
Kulturstaaten überging. Die älteren Seegesetze
Englands sind in der Merchant Shipping Act
von 1854 unter Einfügung von Ergänzungen
neu zusammengefaßt worden. Die amerikanischen
Gesetzesbestimmungen stehen dem englischen Recht
nahe (Revised Statutes von 1875).
Gekennzeichnet ist das im geltenden deutschen
H.G.B. vom 10. Mai 1897 (mit Novellen vom
2. Juni 1902 und 30. Mai 1908) geregelte
Seehandelsrecht durch seine Ausführlichkeit (Ka-
suistik). Der ganz überwiegende Teil der Vor-
schriften betrifft den an die Kauffahrteischiffe,
d. h. die zum Erwerb durch die Seefahrt bestimm-
ten Schiffe geknüpften Geschäftsverkchr. Das
Reichsgesetz vom 22. Juni 1890 (Fassung vom
29. Mai 1901) betr. das Flaggenrecht der
Kauffahrteischiffe bestimmt, daß diese mit Ein-
schluß der Lotsen-, Hochseefischerei-, Bergungs-
und Schleppfahrzeuge als Nationalflagge aus-
schließlich die Reichsflagge zu führen haben (8 1).
Die Kauffahrteischiffe sind aber nur dann dazu
berechtigt, wenn sie im ausschließlichen Eigentum
von Reichsangehörigen stehen; bei juristischen Per-
sonen (Aktiengesellschaften) kommt es auf den Sitz
im Inlande an (§ 2). Das Seeschiff könnte man
als das Musterbeispiel einer beweglichen Sache an-
sehen, genießt doch sogar das segelfertige, d. h. zum
Abgehen fertige Seeschiff das Vorrecht der Be-
schlagnahmefreiheit (H. G. B. § 482). Namentlich
im Hinblick auf seinen hohen Wert wird jedoch
das Seeschiff in einigen Rechtsbeziehungen, ins-