Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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und nach den Früchten, welche sie hervorbrachten, 
so sprechen die zahllosen und großartigen Werke 
christlicher Wissenschaft, Kunst, Frömmigkeit und 
Nächstenliebe, die Christianisierung und Sittigung 
so vieler Länder und Völker im allgemeinen zu 
ihren Gunsten. Wenn sie im einzelnen den je- 
weilig an sie zu stellenden Anforderungen nicht 
genügten und teilweise in Verfall und Ausartung 
gerieten, so tragen die ungünstigen Verhältnisse, 
unter welchen die Kirche oder einzelne Provinzen 
derselben zu leiden hatten, einen guten Teil der 
Schuld daran. In den Zeiten, wo die Bischöfe 
wegen der mit ihrem Amt verbundenen Fürsten- 
würde fast ausschließlich nach rein weltlichen Ge- 
sichtspunkten gewählt wurden, wo die Laster der 
Simonie, der Habsucht und des Konkubinats 
weite Teile der Kirche verwüsteten, mußten auch 
die geistlichen Bildungsanstalten notwendiger- 
weise Schaden nehmen und die guten Früchte, die 
sie trotzdem infolge der Mühen und Opfer un- 
gezählter trefflicher Lehrer hervorbrachten, vielfach 
verdorben werden. Die Privilegien des geistlichen 
Standes und die zahlreichen Pfründen, welche 
die Frömmigkeit der Vorfahren angehäuft hatte, 
lockten viele Unberufene zum Eintritt in das 
Heiligtum, und die ohne genügende Prüfung und 
Auswahl der Kandidaten vorgenommenen Massen- 
weihen schufen einen Überfluß und ein Proletariat 
von Klerikern, was fast unvermeidlich einen Rück- 
schlag zur Folge haben mußte. Als dann im 
16. Jahrh. die schon längst drohende kirchliche 
Revolution losbrach, befand sich der allzu 
zahlreiche Klerus nicht in jener Verfassung, die 
ihn in den Stand gesetzt hätte, dem furchtbaren 
Ansturm mit Erfolg stand zu halten. Der Geist 
der Verweltlichung, der zumal in Deutschland 
mit einzelnen ehrenvollen Ausnahmen insbesondere 
den höheren Klerus ergriffen hatte, der Verfall 
der geistlichen Zucht und mannigfache Argernisse 
wurden von den neuen Gegnern mit Geschick be- 
nutzt, um Abneigung und Haß gegen den geist- 
lichen Stand in den weitesten Kreisen zu ver- 
breiten. Der Verfall und das gänzliche Eingehen 
der geistlichen Bildungsanstalten war die nächste 
Folge davon, namentlich in Deutschland. „Um 
das Jahr 1525 fingen“, wie die Stadtchronik 
von Hof schreibt, „die Schulen an zu fallen, so 
daß fast niemand mehr seine Kinder in die Schule 
schicken und studieren lassen wollte, weil die Leute 
aus Luthers Schriften so viel vernommen, daß die 
Pfaffen und Gelehrten das Volk so jämmerlich 
verführt hätten, daher denn jedermann den Pfaffen 
feind war, so daß man sie verhöhnte und vexierte, 
wo man konnte“ (Döllinger, Die Reformation 12 
466). Die weitere Folge davon war dann ein 
Priestermangel, wie er bisher in der Christenheit 
unerhört gewesen, so daß um die Mitte des 
16. Jahrh. die Zahl der verwaisten Pfarreien in 
Deutschland nach Tausenden zählte und die Seel- 
sorge gänzlich daniederlag. „Der priesterliche 
Stand“, schrieb damals der Benediktinerabt Niko- 
Seminarien. 
  
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laus Buchner, „ist durch langwährende Verach- 
tung im Reich deutscher Nation aus wohlverdienten 
Sünden mit Absterben der Alten und Nichtauf- 
pflanzen der Jungen beinahe zu nichte geworden“ 
(Janssen, Geschichte des deutschen Volks VIII1 
395; vgl. II 339; IV 97, 105). 
Es hatte den Anschein, daß das im tiefsten 
Grund zerrüttete und gelähmte Heilige Römische 
Reich deutscher Nation aus sich selbst eine Re- 
generation des geistlichen Stands nicht mehr zu 
bewerkstelligen imstande war. In dieser trost- 
losen Lage bezeichnete die von Kardinal Morone, 
dem langjährigen Nuntius am Kaiserhof, an- 
geregte, vom hl. Ignatius aber ins Werk gesetzte 
Gründung des Deutschen Kollegiums in Rom, 
welches am 21. Nov. 1552 mit acht deutschen 
Alumnen ins Leben trat, die erste Wendung zum 
Besseren. Diese junge, herrlich aufblühende An- 
stalt und die hiernach im Jahr 1556 von Kar- 
dinal R. Pole für England geplanten Institute, 
die zum erstenmal als Seminarien bezeichnet 
werden, waren es auch, welche tatsächlich und 
nachweislich den tridentinischen Bätern als 
Vorbild vor Augen schwebten, als sie am 15. Juli 
1563 in der 23. Sitzung den Beschluß über die 
Errichtung und Dotation der Seminarien faßten. 
Papst Pius IV., an den sie sich sofort um Be- 
stätigung und Gutheißung dieses Dekrets wen- 
deten, bestätigte dasselbe bereits am 18. Aug. und 
abermals in der Schlußrede zum Konzil vom 
30. Dez. 1563 mit großer Herzensfreude, nannte 
es „eine göttliche Eingebung des Heiligen Geistes“, 
bestimmte die sofortige Errichtung eines solchen 
Seminars in Rom und setzte eine Kommission von 
vier Kardinälen fest, die über die Ausführung 
dieses in der Geschichte der geistlichen Bildungs- 
anstalten Epoche machenden Dekrets wachen sollte. 
Der Wortlaut des tridentinischen Dekrets ist 
folgender: „Da das Jünglingsalter, wenn es nicht 
in der rechten Weise herangebildet wird, geneigt 
ist, den Vergnügungen der Welt nachzugehen, und, 
falls es nicht von Anbeginn zur Frömmigkeit und 
Religiosität herangebildet wird, noch ehe die bösen 
Gewohnheiten den Menschen in Besitz genommen, 
niemals vollkommen. in der kirchlichen Zucht 
verharrt: so verordnet die heilige Synode, daß alle 
Kathedral-, Metropolitan= und die Kirchen höheren 
Rangs nach Maßgabe des Vermögens und der 
Ausdehnung der Dihzese gehalten sein sollen, eine 
bestimmte Anzahl Knaben aus ihrem Bischofssitz 
und aus ihrer Diözese, oder wenn sie sich nicht 
hier finden sollten, aus ihrer Provinz in einem 
zu diesem Zweck nahe bei den genannten Kirchen 
gelegenen Kollegium oder in einem andern vom 
Bischof auszuwählenden Ort zu unterhalten, reli- 
giös zu erziehen und in den kirchlichen Lehrgegen- 
ständen zu unterrichten. In dieses Kollegium 
sollen aber solche ausgenommen werden, welche 
mindestens 12 Jahr alt, aus rechtmäßiger Ehe 
entsprossen sowie des Lesens und Schreibens hin- 
länglich kundig sind, deren Gemütsart und Wille
	        
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