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zurückgab, das es seit 1893 besetzt hielt; auch bei
der Grenzregulierung vom 29. März 1907 zwischen
Indochina und Siam wußte es sich gegen Auf-
gabe seiner Konsulargerichtsbarkeit über seine
asiatischen Untertanen Gebietserweiterungen (an
40 000 dkm mit 250 000 Einwohnern) zu ver-
schaffen. Großbritannien begann 1902 mit der
Eroberung der siamesischen Vassallenstaaten auf der
Halbinsel Malaka und erreichte im Vertrag vom
10. März 1909 die Abtretung der Malaien-
staaten Keda, Kelantan, Perlis und Trengganu
(an 40 000 qkm); zugleich mußte Siam sich ver-
pflichten, keiner fremden Macht direkt oder indirekt
auf der Malaienhalbinsel Gebiet abzutreten oder
zu verpachten, auch nicht das Recht zu geben, dort
Kohlenstationen (außer kleineren für die Küsten-
schiffahrt), Häfen oder Docks zu errichten; dafür
verzichtete England auf die Exterritorialität der
Rechtsprechung über seine in Siam lebenden euro-
päischen und asiatischen Untertanen. Auf den im
Okt. 1910 verstorbenen Tschulalongkorn folgte
sein ältester, 1895 als Kronprinz und Thron-
folger erklärte Sohn Maha Wajirawudh, der seine
Erziehung in England genossen hat.
II. Die Fläche des Landes beträgt nach den
letzten Abtretungen an 540 000, nach andern an
600 000 qkm. Die Angaben über Bevölkerung
gehen weit auseinander; von der 19044 vorgenom-
menen Zählung sind nur die Ergebnisse über
12 Provinzen bekannt geworden, die eine Bevöl-
kerung von 3 308 032 Seelen hatten. Nach den
darauf beruhenden Berechnungen zählt Siam im
ganzen 7 Mill. Einw. Die Bevölkerung ist ethno-
graphisch stark gemischt; nach den Berechnungen
Grahams (die, wie die Zählung von 1904 ergab,
um etwa 25 % hinter der Wirklichkeit zurück-
blieben) waren 1902 von 52000000 Einw.
1766000 eigentliche Siamesen (Thai), an
13540000 Lao, 46 000 Schan und Birmanen,
130 000 Peguaner, 130 000 Kariengs und an-
dere Bergstämme, 750 000 Malaien, 523000
Chinesen, an 5000 Europäer, Indier, Japaner
und andere Fremde. 1908 betrug die Zahl der
Fremden (meist Kaufleute und Regierungsbeamte)
an 1600 (211 Deutsche, 325 Engländer, 210
Franzosen). Bedeutend ist die Einwanderung
chinesischer Kulis (Uberschuß über die wieder er-
folgende Auswanderung 1900/08 169 600), die
sich über das ganze Land verbreiten. Die Haupt-
stadt Bangkok hat an 400 000 Einw., darunter
an 100.000 Chinesen. Rechtlich ist das Volk in
zwei Hauptklassen geteilt: die Pudi (Edelgebor-
nen) und die Prai (das gewöhnliche Volk); jene
zerfallen in die drei Klassen der Prinzen des königl.
Hauses, der Fürsten der Vassallenstaaten und des
Adels (der reiner Dienstadel ist), diese in die freien
Thai (Rasadorn) und die Unfreien (Thas), die
teils königliche Diener teils andere Hörige sind.
Doch ist die siamesische Unfreiheit keine eigentliche
Sklaverei, sondern nur eine Form ziemlich milder
Hörigkeit (so brauchen z. B. die königlichen Hö-
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl.
Siam.
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rigen nur drei Monate im Jahre ihre Dienste in
der Armee, Marine, auf den königlichen Domänen,
im Hofdienst usw. abzuleisten, so daß sie neun
Monate zur freien Verfügung haben), die infolge
der von Tschulalongkorn erlassenen Gesetze mit der
Zeit verschwinden wird (so dürfen die nach dem
16. Dez. 1897 Gebornen sich weder selbst in die
Schuldsklaverei verkaufen noch verkauft werden;
alle Kinder von Hörigen, die nach dem 16. Dez.
1897 geboren sind, sind von Geburt an frei, die
vorher gebornen Kinder können zu gesetzlichen
Preisen losgekauft werden).
III. Staakswesen. Die Regierungsform
Siams ist die einer absoluten Monarchie; der
König ist aber nicht nur Herrscher, er ist auch der
ausschließliche Herr, dem alles gehört, das Land,
die Flüsse, die Reichtümer auf und in der Erde,
die Bevölkerung usw. Die Thronfolge wurde durch
Gesetz von 1887 auf die ältesten aus ebenbürtiger
Ehe stammenden Söhne des Königs beschränkt.
Die Regierung wurde von Tschulalongkorn teil-
weise nach europäischem Muster eingerichtet, indem
er 10 Ministerien schuf, an deren Spitze er meist
(Halb--) Brüder, Söhne und andere Verwandte
stellte. — Das Zivilkabinett des Königs hat einen
Sekretär zur Besorgung der siamesischen Ange-
legenheiten und Verwaltung der Privatkasse und
einen Sekretär für die äußeren Angelegenheiten.
Das Ministerium (Sabha Senabodi) hat 10 Ab-
teilungen: Außeres, Inneres, Krieg, Finanzen,
Justiz, lokale Verwaltung, öffentlicher Unterricht
und Kultus, Ackerbau, öffentliche Arbeiten, könig-
liches Haus. — Dem König steht ein gesetzgebender
Rat, durch Erlaß vom 10. Jan. 1895 eingerichtet,
zur Seite; dieser hat die Gesetze vorzubereiten und
zu beraten und besteht aus den Staatsministern
(im Dienst und außer Dienst) und aus wenigstens
12 unmittelbar vom König ernannten Mitgliedern.
Eine wichtige Machtbefugnis hat diese Körperschaft
dadurch erhalten, daß sie im Fall einer zeitweiligen
Verhinderung des Königs ohne Zustimmung der
Krone selbständig Gesetze veröffentlichen kann, die
sonst der Sanktion des Königs bedürfen. Die
Minister sind dem König für alle Einzelheiten
ihrer Verwaltung verantwortlich, sind aber sonst
in ihrem Verwaltungskreis allmächtig und können
die Beamten nach Belieben ernennen. Jeder Mi-
nister muß das Budget für das kommende Jahr
dem gesamten Ministerrat zur Prüfung und An-
nahme vorlegen; über die Höhe des Budgets ent-
cheidet die Stimmenmehrheit, vorbehaltlich der
königlichen Zustimmung. — Für die Verwal-
tung ist das Land seit dem königlichen Erlaß
von 1897, der das seit alters bestehende, dem in-
dischen System gleiche Feudalwesen abschaffte, in
20 Provinzen (Monthon) eingeteilt, die unter
Generalgouverneuren stehen (die direkt dem Mi-
nister des Innern untergeordnet sind); die Pro-
vinzen zerfallen in Kreise (Muang), diese in Be-
zirke (Ampör), diese in Dörfer (Tambol); die
Dorfvorsteher sind Gemeindebeamte, die Vorsteher
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