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gegebenen Fassung nicht zustande gekommen, und
man wird nicht fehlgehen, wenn man den Haupt-
grund für das Scheitern desselben der Gleich-
gültigkeit beimißt, die von den verbündeten Re-
gierungen im späteren Verlauf der Verhandlungen
dem Gesetz gegenüber an den Tag gelegt wurde.
Denn dadurch wurde, obgleich das Gesetz bereits
in dritter Lesung mit allen wichtigeren Para-
graphen, insbesondere auch mit dem § 184 °, mit
nicht unerheblicher Majorität angenommen war,
der erst beim letzten Paragraphen einsetzenden Ob-
struktion neue Kraft gegeben, das längere Zusam-
menhalten einer Majorität zur Überwindung der
Obstruktion aber in Frage gestellt. Dennoch sind
durch das Gesetz vom 25. Juni 1900 wesentliche
Verbesserungen geschaffen worden, indem nament-
lich, was bisher nicht der Fall war, schon die
Herstellung, dasbloße Feilhalten, An-
kündigen und Anpreisen unzüchtiger Schriften
usw. sowie das öffentliche Ausstellen, Ankündigen
und Anpreisen von Gegenständen, die zu unzüch-
tigem Gebrauch bestimmt sind (Präservative),
unter Strafe gestellt ist. Im übrigen wird die
Wirksamkeit der gegen die Verbreitung unsittlicher
Schriften und Bilder gerichteten Strafbestim-
mungen nach wie vor wesentlich von den sitt-
lichen Anschauungen abhängen, von welchen sich
die hierzu berufenen Behörden leiten lassen. Da
die Sittlichkeitsgesetze nur zum Schutz des sitt-
lichen Volksempfindens erlassen sind, muß
auch für die Frage, ob etwas unzüchtig ist, d. h.
geeignet ist, das Scham= und Sittlichkeitsgefühl
zu verletzen, das sittliche Volksempfinden maß-
gebend sein, nicht die oft viel laxere sittliche An-
schauung einzelner Kreise oder Personen.
Literatur. Unter den zahlreichen Kommen-
taren zum Strafgesetzbuch insbesondere Olshausen
(71905/06) u. Oppenhoff (71901); Haelschner,
Das gemeine deutsche Strafrecht 1 (1881), II (1884
bis 1887); V. Cathrein S. J., Die Grundbegriffe
des Strafrechts (1905); Vergleichende Darstellung
des deutschen u. ausländischen Strafrechts, hrsg.
auf Anregung des Reichsjustizamts (1906/07);
Code pénal annoté par Dalloz et Vergé (Par.
1881); Digest of the Criminal Law by Stephen
(Lond. "1904); Roeren, Sittlichkeitsgesetzgebung
der Kulturstaaten (1907; Sammlung Keesel).
(Roeren.)
Sklaverei. Der Mensch ist ein erkennendes
und freiwollendes Wesen und unterscheidet sich
deshalb wesentlich vom Tier. Alle Menschen be-
sitzen eine unsterbliche Seele und ragen in das
Jenseits hinein und haben daher das gleiche Recht,
ihre Persönlichkeit auszubilden. In dieser Hin-
sicht sind alle Menschen gleich, wenn auch relativ
nach Rasse, Geschlecht, Temperament und Geistes-
kraft verschieden. Die Verschiedenheit reicht aber
nicht aus, ein Recht darauf zu gewähren, daß der
eine Mensch den andern in eine dauernde und
vollständige Abhängigkeit versetzt, seines Willens
beraubt, wie ein Eigentum, wie eine Sache, mit
einem Wort als Sklaven behandelt. Das kann
Sklaverei.
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nur durch Gewalt geschehen; die Gewalt freilich
hat in der geschichtlichen Vergangenheit nur zu
oft geherrscht. Ganze Völker, Volksklassen, inner-
halb der Familie Kinder und Frauen, ganz be-
sonders aber die Dienstboten verloren ihren eignen
Willen, ihren eignen Daseinszweck und mußten
ihre ganze Arbeit ihren Herren widmen. In der
Urzeit und im Altertum golt die Arbeit als etwas
den Freien Entwürdigendes, und sie wurde des-
halb den Frauen, Knechten und Untertanen auf-
gebürdet. Ganz besonders den beschwerlichen, bald
aber unentbehrlichen Ackerbau ließen die Jäger
und Hirten durch ihre Untergebenen besorgen.
Nur die Not, der Zwang trieb zu harter Arbeit
an. Ein Freier trieb nur freie Künste und Be-
schäftigungen. Daran hielten auch die Griechen
und Römer fest, obwohl sie sonst den Menschen-
wert besser erkannten. So rechtfertigt Aristoteles
die Sklaverei damit, daß es geborene Sklaven gebe
und daß der Sklave ein beseeltes Werkzeug, das
Eigentum seines Herrn sei. Der eine Mensch,
führt er aus, sei geboren, beherrscht zu werden, der
andere, zu herrschen. Für letzteren sei es besser und
gerechter, beherrscht zu werden, als zu herrschen;
denn er habe an der Vernunft nur so viel teil,
daß er sie vernehmen kann, aber nicht sie selbst
besitzen (Arist., Pol. 1, 3. 5). Demgemäß sei auch
die Jagd aus Menschen, welche, von Natur zu
dienen bestimmt, doch nicht dienen wollen, be-
rechtigt, und ein auf diesen Zweck abzielender
Krieg sei ein gerechter Krieg (ebd. 1, 8). Ander-
seits gesteht Aristoteles freilich auch zu, daß es
Menschen geben könne, die nicht von der Natur,
sondern durch das Gesetz Sklaven sind, die
daher nur uneigentlich Sklaven genannt werden
(ebd. 1, 6). Aber dem Herrn untertan müsse der
eine wie der andere sein, und er habe keinen Rechts-
anspruch dem Herrn gegenüber; nur werde der
Herr aus seinem eignen wohlverstandenen Interesse
den Sklaven schonen, ihn genügend nähren, nicht
ohne Not strafen. Vielfach behandelten denn auch
die Herren namentlich unter einfachen Verhält-
nissen, wenn ihnen nur wenige Diener zu Ge-
bot standen, diese auch ziemlich menschlich. Aber
das Verhältnis unterlag vollständig der Willkür;
kein Gesetz schob sich dazwischen, und so konnte es
geschehen, daß die Knechte in einem Haus ver-
wöhnt und übermütig wurden, in einem andern
aber bis auf das Blut ausgemergelt, unaufhörlich
gezüchtigt, dem Hungertod preisgegeben und ge-
tötet werden konnten. Besonders mannigfaltig
gestaltete sich ihr Schicksal in Rom, wo sie die
Mehrzahl der Bevölkerung ausmachten. Sie hatten
alle möglichen Stellen inne, vom Badediener bis
zum Schauspieler, öffentlichen Schreiber und Ge-
meindediener und unterschieden sich nicht durch
besondere Kleidung von den armen Bürgern. Viele
Sklaven erforderten die Großbetriebe im Ackerbau
und Gewerbe. Eine höhere Stellung nahmen die
zahlreichen Freigelassenen ein, die, den Hörigen
des Mittelalters vergleichbar, nicht alle Beziehungen