Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Frauen befanden sich ohne Zweifel viele auf der 
Straße aufgelesene Wesen, denn das Wildfang- 
recht (ius albinagii, droit d'aubain) bestand 
immer noch zu Recht. Fremdlinge, die herren- und 
gutlos umherwanderten, hießen Wolfshäupter, 
Vogelfreie, elende Leute (albani, aubains). Unter 
dem hl. Ludwig hören wir eine Klage darüber, 
daß ein Mann einer Inquisition unterworfen 
wurde, weil er keinen Herrn hatte (Historiens 
de France 24, 108, n. 119). Durch die Be- 
mühungen der Kirche milderte sich das Fremden- 
recht (die Menschenjagden wurden oft verboten, so 
1102 durch eine Londoner Synode) und statt des 
einseitigen Zwangs bestimmte die freiwillige Hin- 
gabe ihr Los. Selbst im heidnischen Norden 
regelten zweiseitige Verträge die Lasten und Be- 
fugnisse der fremden Knechte, der Mietlinge, Prä- 
bendare (Schönfeld, Isländischer Bauernhof 81). 
Selten dienten sie bloß um Kost und Kleidung; 
meist erhielten sie einen festen Lohn, der gar nicht 
nieder stand. Eben weil ihre Zahl immer mehr 
wuchs, nahm das Knechtschaftsverhältnis immer 
mehr den Charakter der Freiwilligkeit an. Kam 
es doch immer noch vor, daß Kolonen ihre Hufen 
aufgaben und statt des Felddienstes den Haus- 
dienst wählten. 
Noch viel weniger als die Hausknechte glichen 
die angesetzten Leibeigenen und Hörigen den alten 
Sklaven. Allerdings konnten die Leibherren sie 
züchtigen, verkaufen, zu Heiraten und zu beliebiger 
Arbeit zwingen. Aber diese Rechte wurden selten 
in vollem Umfang ausgeübt. Ihre Dienste wurden 
fest gemessen und fest bestimmt. Bei dem Tod 
fiel nicht der ganze Nachlaß, sondern nur noch das 
Besthaupt an den Herrn. An Stelle des Heirats- 
zwangs trat eine Heiratsgenehmigung und Hei- 
ratsabgabe. Eine Schwierigkeit bereitete es nur, 
wenn Hörige verschiedener Herren oder verschie- 
dener Klassen zusammenheirateten. In diesen 
Fällen entstand das Recht des ungenossamen oder 
ungenossenen Talers, das ius primae noctis. 
Nach vielen Rechten folgte das Kind der „ärgeren 
Hand“. Am meisten beschränkt war die Freizügig- 
keit. Die Leibherren hatten das Recht, den flüch- 
tigen Sklaven nachzujagen; aber sie konnten sich 
durch Erlegung einer Loskaufsumme oder Ver- 
pflichtung zu einer dauernden Zinsleistung, die 
einfachen Hörigen durch eine Nachsteuer ihre Ge- 
bundenheit lösen. 
Während die christliche Kirche mit Erfolg auf 
die Austilgung der Sklaverei hinwirkte, war es 
auf der andern Seite der Islam, der das Prin- 
zip der Sklaverei wieder aufnahm und nament- 
lich den christlichen Völkern gegenüber mit aller 
Härte und Grausamkeit zu handhaben suchte. Es 
bildeten sich im nördlichen Afrika Barabesken- 
oder Raubstaaten, welche die christlichen Küsten 
plünderten, Schiffe der Christen kaperten und die 
Gefangenen zu Sklaven machten. Aber auch hier, 
Sklaverei. 
  
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glücklichen Christensklaven loszukaufen; darum 
verwendeten Private ihr Vermögen hierzu und 
Bischöfe die Kirchengüter als Lösegeld. Es ent- 
standen ferner um 1200 die Orden der Mathu- 
rinen und Trinitarier, von Johann von Matha 
und dem Einsiedler Felix von Valois gestiftet, 
welche sich eigens die Loskaufung der christlichen 
Sklaven zum Zweck setzten; ebenso wurde im 
Jahr 1223 von Petrus Nolaskus für Spanien 
ein Orden unter dem Namen „der heiligen Jung- 
frau von der Gnade“ (Maria de Mercede) zur 
Loskaufung der christlichen Gefangenen aus mo- 
hammedanischer Sklaverei gestiftet. Dieser Orden 
blühte bis zum Jahr 1835, wo die spanische Re- 
gierung seine Besitzungen einzog. 
Endlich gedachten auch die weltlichen Gewalten 
der Sklaverei der Christen in Afrika ein Ende zu 
machen, und schon 1270 schlossen England und 
Frankreich hierzu eine heilige Allianz, nicht ohne 
Erfolg. Ebenso wurden hundert Jahre später 
(1389) die Barbaresken von den vereinigten Eng- 
ländern, Franzosen, Genuesen und Venetianern 
gezüchtigt, noch mehr zwischen 1506/09 durch 
Ferdinand den Katholischen; doch hörten die Räu- 
bereien, von der Türkei unterstützt, nicht auf. Der 
mächtige Kaiser Karl V. hätte vielleicht dem Un- 
wesen ein Ende gemacht, aber zuerst hemmte ihn 
die Eifersucht der Franzosen, und nachmals zer- 
störte ein Orkan 1541 seine Flotte. Seit dieser 
Zeit schämten sich die christlichen Staaten Europas 
nicht, Verträge mit den Raubstaaten abzuschließen, 
um dadurch ihre Untertanen vor Sklaverei zu 
sichern und sogar Tribut zu bezahlen. Aber wieder- 
holt mußten sie auch erleben, daß die Räuber solche 
Verträge nicht achteten, um so mehr als die christ- 
lichen Staaten selbst mehr und mehr auf den 
Negerhandel angewiesen waren, da sie ihn für 
Amerika nicht entbehren konnten. 
Papst Nikolaus V. erteilte dem König von 
Portugal 1452 und 1454 die Erlaubnis, die ent- 
deckten Länder sich zu unterwerfen und ihre Be- 
wohner in die Sklaverei zu versetzen. In ähnlichen 
Ausdrücken erteilte Alexander VI. dem König von 
Spanien 1493 ein Eroberungsrecht über Amerika 
(Margraf, Kirche u. Sklaverei; eine mildere Aus- 
legung steht bei Pastor, Gesch. der Päpste II1.489). 
Nun hat allerdings Paul III. (1537) die Fehler 
seiner beiden Vorgänger wieder gut gemacht, aber 
die Spanier haben lange mit der päpstlichen Er- 
laubnis Mißbrauch getrieben. Die Regierung ließ 
die Sklaverei fortbestehen unter der gesetzlichen 
Form der Kommenden und Ripartimientos. Da- 
nach behielt die spanische Regierung das Eigen- 
tumsrecht, gewährte aber den Kolonisten den Be- 
sitz an Land und Leuten unter der Bedingung, 
„die Leute in der christlichen Lehre und den übrigen 
Bestandteilen des heiligen katholischen Glaubens 
zu unterwerfen“. Das war nur eine verkappte 
Sklaverei, die sich auf die Bemühungen der Fran- 
suchte der christliche Geist Hilfe zu schaffen. Es ziskaner und Dominikaner hin nur wenig lockerte. 
galt als ein besonderes christliches Werk, diese un= Da die Indianer wegen ihrer Schwächlichkeit zu
	        
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