Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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sophie und Nationalökonomie benutzte; als wich- 
tigste dieser Pariser Bekanntschaften müssen die 
mit Turgot und vor allem mit Quesnay, dem 
Haupt der Physiokraten, bemerkt werden. Daß 
Smith die sozialen und volkswirtschaftlichen Ver- 
hältnisse der bereisten Länder mit offenen Augen 
beobachtet hat, gibt sein späteres Hauptwerk, zu 
dem der Plan längst gefaßt war, genügend kund. 
Am 1. Nov. 1766 traf Smith wieder in England 
ein, nahm jedoch kein Lehramt wieder an, sondern 
widmete sich die nächsten Jahre in aller Stille 
der Abfassung seines großen nationalökonomischen 
Werks, das seinen Namen unsterblich gemacht hat. 
Die nächsten sechs Monate blieb er noch in eifriger 
literarischer Tätigkeit in London und kehrte dann 
zu seiner Mutter nach Kirkcaldy zurück, wo er mit 
kurzen Reiseunterbrechungen ein fast zehnjähriges 
emsiges Stillleben führte. Lang zögerte er mit der 
Herausgabe des Werkes; und es wird nicht bloß 
seine zunehmende Kränklichkeit gewesen sein, die ihn 
dazu veranlaßte, mehr wohl noch das Bestreben, 
durch sorgfältige Beobachtung wichtiger Einzel- 
erscheinungen des Wirtschaftslebens das Manu- 
skript möglichst zu vervollkommnen. Vielleicht 
wäre die Veröffentlichung noch mehr hinaus- 
geschoben worden, wenn aus dem Plan, ihn zum 
Mitglied einer Kommission zur Prüfung der Ge- 
schäftslage der Ostindischen Kompagnie zu er- 
nennen, etwas geworden wäre; jene Kommission 
kam jedoch infolge des Einspruchs der Regierung 
nicht zustande. Endlich gab Smith dem Drängen 
seiner Freunde nach, und am 9. März 1776 er- 
schien das bereits 1759 verheißene und 1764 be- 
gonnene Werk über den Reichtum der Nationen 
(besser würde man wohl übersetzen, den Volks- 
wohlstand) in zwei Quartbänden unter dem Titel: 
An Inquiry into the Causes and Nature of 
the Wealth of Nations. Das Buch wurde, von 
einzelnen Kritiken, wie der von Anderson, dem 
Urheber der nach Ricardo benannten Grundrenten- 
theorie, von Bentham und Pownall abgesehen, 
mit fast enthusiastischem Beifall aufgenommen und 
erlebte bereits im folgenden Jahr eine zweite Auf- 
lage. Seine letzten Lebensjahre verbrachte nun 
Smith in äußerlich glänzenden Verhältnissen, aber 
vielfach von körperlichen Altersbeschwerden heim- 
gesucht. Vielleicht in Anerkennung seiner wissen- 
schaftlichen Leistungen, möglicherweise auch aus 
Dankbarkeit für seine theoretischen Verdienste 
um die Staatsfinanzen und wohl auch auf die 
Empfehlung des Herzogs von Buccleugh hin er- 
nannte das Toryministerium den Whig Smith 
im Jahr 1778 zum Mitglied der Edinburgher 
Zollkommission, was dessen Übersiedlung nach 
Edinburgh bedingte, wo er bis zu seinem Tod in 
behaglichen, unabhängigen Verhältnissen und all- 
gemein hochgeehrt lebte. Denn als Zollkommissar 
hatte er quasi eine Sinekure, aber ein verhältnis- 
mäßig fürstliches Einkommen. Eine besondere 
Ehrung, die ihm zuteil ward, war, daß er für 
1788 zum Lord Rektor der Universität Glasgow 
Smith. 
  
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gewählt wurde. Im übrigen war er neben den 
leichten Pflichten seines Amts unablässig literarisch 
tätig, indem er an einem Werk über Literatur- 
geschichte und vor allem an einer großangelegten 
Darstellung der allgemeinen Rechts= und Staats- 
lehre arbeitete. Doch ließ er kurz vor seinem Tod 
alle diese Manuskripte verbrennen; die nicht ver- 
brannten Abhandlungen, haben seine literarischen 
Testamentsvollstrecker Mack und Hutton 1795 
unter dem Titel Essays on Philosophical Sub- 
zects (gewöhnlich falsch zitiert als Posthumous 
Essays) mit einer biographischen Einleitung von 
Dugald Stewart veröffentlicht. Adam Smith 
starb am 17. Juli 1790 und wurde auf dem 
Canongatekirchhof in Edinburgh beigesetzt. Nicht 
nur als Gelehrter, auch als Mensch war er aus- 
gezeichnet; und es mag zu seiner Charakteristik 
genügen, wenn Mackintosh einmal äußert: „Ich 
habe Smith oberflächlich, Ricardo gut, Malthus 
intim gekannt; ist es nicht ein gutes Zeugnis für 
eine Wissenschaft, daß ihre drei größten Meister 
die besten Menschen gewesen sind, die ich in meinem 
Leben kennen gelernt habe?"“ 
2. Grundideen. Smith ist im allgemeinen 
mehr als Nationalökonom bekannt; und sein Welt- 
ruhm beruht vor allem darauf, was er an volks- 
wirtschaftlichen Erkenntnissen der Nachwelt er- 
rungen. Und doch war er in erster Linie, ja im 
Grund eigentlich immer Moralphilosoph, Ethiker; 
jedenfalls ist sein nationalökonomisches System 
nicht völlig zu verstehen und gerecht zu beurteilen 
ohne Einsicht in seine philosophischen Grundlagen. 
Der „Vater der Nationalökonomie“ ist ein wich- 
tiges, ja integrierendes Glied in der Kette jener 
englisch-schottischen Philosophie des 18. Jahrh., 
die sich vom Standpunkt des Empirismus aus 
vorzugsweise mit ethischen Fragen befaßte, und 
die gerade dem emsigen Forschersinn, der weit- 
blickenden, überlegenen Weltbetrachtung und der 
fein differenzierenden Beobachtungsgabe Adam 
Smiths eine so beträchtliche Förderung verdankt. 
Der Geist dieser der Theologie feindlichen Philo- 
sophie war kritisch, empiristisch, parallel der durch 
die moderne Naturwissenschaft begründeten mecha- 
nistischen Weltauffassung. Im Grund war den 
Vertretern dieser Weltanschauung das ganze Weltall 
nur eine gewaltige Maschinerie, die, nachdem ihr 
Bildner sie in Gang gesetzt, sich selbst regulierend 
weiterläuft. Und jene britischen Moralphilosophen 
führten diesen Grundgedanken nur weiter, indem 
sie versuchten, auch die Menschenseele und die 
menschliche Gesellschaft in diesem Maschinengetriebe 
unterzubringen und die Gesetze oder Triebfedern 
aufzufinden, die ihren Gang regulieren. Ihr Ver- 
fahren war entsprechend der von Baco begründeten 
Methode empirisch, ihre einzige Erkenntnisquelle 
die Erfahrung. Ihr Ziel war nicht eigentlich, zu 
zeigen, wie der Mensch handeln soll, also nicht 
Pflichten aufzustellen, sondern vielmehr aus der 
Erfahrung zu ermitteln, wie der Mensch tat- 
sächlich handelt, und wie er dazu kommt, so zu
	        
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