Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1187 
darum hat er auch den angebornen moralischen 
Sinn im Gegensatz zu seinem Lehrer Hutcheson 
verworfen. Vor allem aber erblicken wir in Smith 
ein Muster psychologischer Erklärung der sittlichen 
Erscheinungen, so daß heute noch die Theorie 
der sittlichen Empfindungen in ihren meisten Tei- 
len eine genußreiche Lektüre für jeden Gebildeten 
bietet. 
4. Nationalökonomie. Adam Smiths 
volkswirtschaftswissenschaftliche Leistungen gipfeln 
in seinem Wealth of Nations, das seine An- 
schauungen am vollständigsten und systematischsten 
wiedergibt; und wir werden, obwohl er auch an 
andern Stellen nationalökonomische Beobachtungen 
niedergelegt hat, am zuverlässigsten uns mit seinen 
bezüglichen Ideen vertraut machen, wenn wir uns 
im allgemeinen an dieses sein wirtschaftswissen- 
schaftliches Hauptwerk halten. Für Smith ist das, 
was wir heute Nationalökonomie nennen, auch nur 
ein Teil der Moralphilosophie, wie er sie in Glas- 
gow zu dozieren hatte, und zwar nach der eben er- 
wähnten Einteilung (1. natürliche Theologie, 
2. Ethik, 3. Naturrecht, 4. Politik) als Unter- 
abteilung der Politik. Diese letztere hat nach 
Smith im Gegensatz zum Naturrecht, das die 
Grundsätze der Gerechtigkeit festlegen soll, sich mit 
dem zu beschäftigen, was die Zweckmäßigkeit zum 
Gedeihen der im Staat organisierten Gesellschaft 
fordert. In seiner „Untersuchung über das Wesen 
und die Ursachen des Wohlstands der Nationen“ 
behandelt nun Smith auch nur einen Teil der so 
gefaßten allgemeinen Staatslehre, nämlich die 
Wirtschaftspolitik; dieser aber gibt er wieder eine 
breitere Grundlage, indem er ihr eine Theorie der 
ökonomischen Vorgänge überhaupt vorausschickt, 
und so schuf er in dieser Erweiterung die neue 
Wissenschaft der Nationalökonomie. Nicht, als ob 
er nicht auch da Vorgänger gehabt hätte — die 
Entwicklungslinie führt etwa über Hugo Grotius, 
Pufendorf, Christian Wolf-Petty, Locke, Hume- 
Justi, James Steuart, die Physiokraten —, aber 
Smith war es doch, der der Wirtschaftswissen- 
schaft zuerst ein klar umrissenes, einheitliches Ob- 
jekt zugrunde gelegt hat. Der „Wohlstand der 
Nationen“ zerfällt in fünf Bücher: das erste han- 
delt von den Elementen der Gütererzeugung, Ar- 
beit, Kapital und Boden, von Wert und Preis, 
den Arten und der Verteilung des Einkommens; 
das zweite enthält die Lehre von der Produktion, 
vom Kapital, seinen Arten und verschiedenen An- 
lagen, der produktiven und unproduktiven Arbeit; 
das dritte geht ein auf den Unterschied zwischen der 
(landwirtschaftlichen) Rohproduktion und der In- 
dustrie und sucht hauptsächlich historisch zu er- 
klären, wie trotz der größeren Produktivität der 
Landwirtschaft der tatsächliche Verlauf ein un- 
gleicher gewesen; das vierte befaßt sich mit den 
Systemen der politischen Okonomie und der Han- 
delspolitik; das fünfte endlich bringt das, was 
wir heute Finanzwissenschaft nennen, handelt also 
im Gegensatz zu den ersten vier Büchern, die sich 
Smith. 
  
1188 
mit dem Volksvermögen und Volkseinkommen be- 
schäftigen, vom Einkommen des Staats. 
„Die Jahresarbeit eines jeden Volks“, so be- 
ginnt die Einleitung, „ist der Fonds, der es mit 
allen zum Leben notwendigen und allen wünschens- 
werten Gegenständen versieht, die es im Lauf des 
Jahrs verbraucht, und die immer teils in dem 
eignen Arbeitsprodukt bestehen, teils in dem, was 
dafür von andern Völkern gekauft wird. Die 
Arbeit ist der einzige wirkliche und letzte Maßstab 
zur Abschätzung und Vergleichung des Werts aller 
Güter zu jeder Zeit und an jedem Ort."“ Damit 
sind von vornherein die älteren Wirtschaftstheorien 
zurückgewiesen, sowohl die des Merkantilismus, der 
in der Anhäufung von Gold und Silber im Land, 
in einer günstigen Handelsbilanz den Grund des 
Nationalwohlstands erblickte, als auch die der 
Physiokraten, welche im Grund und Boden unter 
Verachtung der Manufakturarbeit die Hauptquelle 
des Volksreichtums sahen. Ihm ist die Arbeit 
nicht nur das Maß, sondern auch die Quelle alles 
Reichtums. Diese Güter erzeugende Arbeit aber 
ist um so umfangreicher, je größer einerseits das 
Kapital und anderseits die Zahl der in produktiver 
Arbeit Beschäftigten im Verhältnis zur Zahl der 
unproduktiven Personen ist. Die Produktivität 
der Arbeit wird vor allem gesteigert durch die Ar- 
beitsteilung als die wirksamste und zweckmäßigste 
Kombination der durch volle Freiheit auf sich ge- 
stellten Arbeitskräfte. Die stets weiter durchge- 
führte Arbeitsteilung aber führt notwendig zur 
Anwendung des Gelds als Tauschmittel, also zum 
Kauf; durch die allgemeine Reglung des im Kauf 
vollzogenen Gütertausches werden die Güter zu 
Waren und erhalten neben ihrem eigentlichen na- 
türlichen Wert, dem Gebrauchswert, noch einen 
zweiten, den Tauschwert. Auch der Wert der Er- 
zeugnisse, der im Preis zum Ausdruck kommt, ist 
neben ihrer Menge von Bedeutung für den Reich- 
tum eines Landes. Es handelt sich nun darum, 
die Gesetze zu ermitteln, nach denen sich der Tausch- 
wert, der Marktpreis bildet, und zwar ist dafür 
zu untersuchen: 1) woran der Tauschwert gemessen 
wird, und worin der wirkliche Preis der Waren 
besteht, 2) aus welchen Teilen er sich zusammensetzt, 
und 3) welche Umstände manchmal einen dieser 
Teile des Preises oder alle über das natürliche 
Maf erhöhen oder unter dieses herabdrücken, mit 
andern Worten, wie es kommt, daß der Markt- 
preis nicht immer mit dem natürlichen Preis über- 
einstimmt. Der wirkliche Preis, erklärt Smith, 
wird an der Arbeit gemessen; da nach eingetretener 
Arbeitsteilung der einzelne nur die wenigsten zum 
Leben notwendigen, geziemenden und angenehmen 
Dinge selbst herstellt, so ist ein jeder reich oder 
arm in dem Maß, als er über anderer Leute Ar- 
beit verfügen oder sie kaufen kann. Der Wert eines 
Erzeugnisses, das man nicht selbst verbrauchen 
will, bemißt sich nach der Menge fremder Arbeit, 
die man damit kaufen kann; Arbeit, d. h. gesell- 
schaftlich notwendige Arbeit ist daher das wirkliche
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.