Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Verzicht auf 
den Verdienst des siebten Tags geneigt seien, be- 
reit. Diese Erhebungen über die Beschäftigung 
gewerblicher Arbeiter an Sonn- und Festtagen 
erfolgten 1885 mit dem Ergebnis, daß unter 
500 156 untersuchten Betrieben mit 1582591 
Arbeitern in Preußen 58 % aller Betriebe und 
42 % aller Arbeiter Sonntagsarbeit hatten. Nach 
den Berufsabteilungen geordnet gab es Sonntags- 
arbeit in der Großindustrie in 49,4 % der Be- 
triebe und für 29,8 % der Arbeiter; im Hand- 
werk in 47,1 % der Betriebe und für 29,8% 
der Arbeiter; im Handel und Verkehr in 77,6% 
der Betriebe und für 57,8 % der Arbeiter. In 
den Jahren 1885/89 wiederholte das Zentrum 
seine Anträge mit dem Erfolg, daß ein solcher im 
Jahr 1888 im Reichstag eine Mehrheit fand. 
Die Regierung versagte wiederum ihre Zustim- 
mung. Erst die Februarerlasse des Kaisers Wil- 
helm II. und im Gefolge derselben die Novelle 
zur Gew. O. vom 1. Juni 1891 brachten die lang- 
erstrebte gesetzliche Reglung. 
3. Durch diese Novelle ist die Beschäftigung 
von Arbeitern (Gesellen, Gehilfen, Lehrlingen, 
Werkmeistern, Betriebsbeamten) an Sonn= und 
Festtagen verboten im Betrieb von (8 105b 
Gew.O.): 1) Berg= und Hüttenwerken, Salinen, 
Aufbereitungsanstalten, Brüchen und Gruben; 
2) Fabriken; 3) Werkstätten; 4) Bauhöfen, Zim- 
merplätzen, Werften, Ziegeleien sowie bei Bauten. 
Die Sonntagsruhe hat 24 Stunden, für zwei 
aufeinanderfolgende Sonn= und Festtage 36, für 
das Weihnachts-, Oster= und Pfingstfest 48 Stun- 
den zu dauern. Die Ruhezeit ist von 12 Uhr 
nachts zu rechnen und muß bei zwei aufeinander- 
folgenden Sonn= und Festtagen bis 6 Uhr abends 
des zweiten Tags dauern. In Betrieben mit 
regelmäßiger Tag= und Nachtschicht jedoch „kann 
die Ruhezeit frühestens um 6 Uhr abends des 
vorhergehenden Werktags, spätestens um 6 Uhr 
morgens des Sonn-vdder Festtags beginnen, wenn 
für die auf den Beginn der Ruhezeit folgenden 
24 Stunden der Betrieb ruht“. Verboten ist 
(655a Gew.O.) die Sonntagsarbeit auch für das 
Wandergewerbe mit gewissen Ausnahmen durch 
die Polizei sowie den „Gewerbebetrieb im Umher- 
ziehen“. Welche Tage als Festtage gelten, be- 
stimmen die Landesbehörden. Die Polizeiverord= 
nungen sowie die strengeren Bestimmungen zum 
Schutz der jugendlichen Arbeiter bleiben neben den 
vorstehenden Bestimmungen in Kraft. — Diese 
Verordnungen haben die Sonntagsheiligung zum 
Zweck, gelten deshalb auch für die Arbeitgeber, 
während die Gew.O. nur den Schutz der Arbeiter 
bezweckt. 
Das vielgestaltige Leben mit seinen mannig- 
fachen wirtschaftlichen und technischen Verhält- 
nissen und Lebensbedürfnissen erfordert natürlich 
eine Reihe von Ausnahmemöglichkeiten: 
a) Ausnahmen kraftgesetzlicher Vor- 
schrift ( 105c). Zunächst gibt es solche Ar- 
Sonntagsruhe. 
  
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beiten, die an sich unausschiebbar erscheinen und 
für welche jedesmalige Einholung besonderer Er- 
laubnis teils unmöglich teils nicht nötig (weil 
dieselbe doch regelmäßig gegeben wird) ist. So soll 
das Gesetz keine Anwendung finden (8 105c, 
Abs. 1): 1) auf Arbeiten, welche in Notfällen oder 
im öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen 
werden müssen; 2) für einen Sonntag auf Ar- 
beiten zur Durchführung einer gesetzlich vor- 
geschriebenen Inventur; 3) auf die Bewachung 
der Betriebsanlagen, auf Arbeiten zur Reinigung 
und Instandhaltung, durch welche der regelmäßige 
Fortgang des eignen oder eines fremden Betriebs 
bedingt ist, sowie auf Arbeiten, von welchen die 
Wiederaufnahme des vollen werktägigen Betriebs 
abhängig ist, sofern nicht diese Arbeiten an Werk- 
tagen vorgenommen werden können; 4) auf Ar- 
beiten, welche zur Verhütung des Verderbens von 
Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeits- 
erzeugnissen erforderlich sind, sofern nicht diese 
Arbeiten an Werktagen vorgenommen werden 
können; 5) auf die Beaufsichtigung des Betriebs, 
soweit er nach Ziffer 1/4 an Sonn= und Fest- 
tagen stattfindet. — Um eine mißbräuchliche Aus- 
dehnung der Sonntagsarbeiten zu verhüten, sind 
die Gewerbetreibenden, welche Arbeiter an Sonn- 
und Festtagen mit Arbeiten der unter Ziffer 1/5 
erwähnten Art beschäftigen, verpflichtet, ein Ver- 
zeichnis anzulegen, in welches für jeden einzelnen 
Sonn= und Festtag die Zahl der beschäftigten 
Arbeiter, die Dauer ihrer Beschäftigung sowie die 
Art der vorgenommenen Arbeiten einzutragen sind. 
Das Verzeichnis ist auf Erfordern der Ortspolizei- 
behörde sowie dem in § 139 b bezeichneten (Auf- 
sichts-)Beamten jederzeit zur Einsicht vorzulegen 
(5 105c, Abs. 2). — Auch in solchen Fällen, daß 
unaufschiebbare Arbeiten vorliegen, soll doch Rück- 
sicht dahin getroffen werden, daß den Arbeitern 
wenigstens der zweite oder doch der dritte Sonntag 
freigegeben werde. Sofern „die unter Ziffer 3 
und 4 bezeichneten Arbeiten länger als drei Stun- 
den dauern oder die Arbeiter am Besuch des 
Gottesdienstes hindern, sind die Gewerbetreiben- 
den verpflichtet, jeden Arbeiter entweder an jedem 
dritten Sonntag volle 36 Stunden oder an jedem 
zweiten Sonntag mindestens in der Zeit von 6 Uhr 
morgens bis 6 Uhr abends von der Arbeit frei zu 
lassen“ (§ 105, Abs. 3). (Feiertage kommen 
hier nicht in Anrechnung.) 
b) Ausnahmen für Betriebe mit un- 
unterbrochener Feuerung sowie für 
Kampagne= und Saisonindustrien 
(§ 1054). Für diese Betriebe sind Ausnahmen 
durch den Bundesrat vorgesehen. Diese Reg- 
lung soll für ganz Deutschland — als einheit- 
liches Wirtschaftsgebiet — gleichmäßig und soll 
auch da den Arbeitern jedenfalls die Ruhe des 
zweiten resp. dritten Sonntags (wie in 8 105, 
Abs. 3) möglichst gesichert sein. Dem Reichstag 
sollen die getroffenen Ausnahmen wenigstens zur 
Kenntnisnahme mitgeteilt werden. — Die Aus-
	        
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