Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1209 Souveränität, 
Handhabung seiner Herrschermacht übertragen, 
und so handelt sie im Namen und Auftrag des 
Staats. Die Gemeinde hat keine Untertanen, diese 
hat nur der Staat, nur er ist souverän, nicht die 
Gemeinde; dem Staat kommt also die Souveräni- 
tät ausschließlich zu. Selbst die mittelalterlichen 
städtischen Gemeinwesen waren nicht souverän, 
da sie einem Reich, wenn auch nur lose, zuge- 
örten. 
II. Geschichtliche Entwicklung des Wegriffs. 
Souveränität ist ihrem geschichtlichen Ur- 
sprung nach eine politische Vorstellung, die sich 
später zu einer juristischen verdichtet hat. Zwar 
haben schon gegen Ende des Mittelalters beson- 
ders in Frankreich eine Reihe von Publizisten sich 
mit dem Problem der Staatshoheit und der 
Staatsgewalt beschäftigt, aber den Souveränitäts- 
begriff hat doch erst Jean Bodin in seinem be- 
rühmten 1576 erschienenen Werk Six livres de 
la République geprägt. Die Souveränität ist 
für ihn die höchste, eigne, dauernde und von den 
Gesetzen entbundene Gewalt über die Untertanen. 
Diese Begriffsbestimmung Bodins fand in Deutsch- 
land bald Eingang, und ihr Einfluß auf die deut- 
schen Staatsphilosophen und Staatstheoretiker ist 
unverkennbar. Er zeigt sich vor allem in den 
Kämpfen, die sich um diejenige Eigenschaft er- 
hoben, die er am nachdrücklichsten als wesentliches 
Merkmal wirklicher Souveränität hingestellt hatte, 
nämlich die Entbundenheit vom Gesetz. Es leuchtet 
auch sofort ein, daß in den Kämpfen des aus- 
gehenden Mittelalters und der beginnenden Neu- 
zeit die Souveränität in erster Linie auf den Mon- 
archen bezogen wird. Der Staat wird so zu einem 
Gemeinwesen, an dessen Spitze ein souveräner 
Herr steht, und so ist für die Bodinsche Schule die 
höchste Gewalt im unabhängigen Staat eine ab- 
solute. So wird im 17. Jahrh. von den Publi- 
zisten der Staat immer mehr in die Person des 
Fürsten verlegt, das Volk ist für sie nur das Ob- 
jekt fürstlicher Tätigkeit. — Der erste, der den 
absoluten Charakter der Souveränität im Bodin- 
schen Sinn verwirft, ist Johannes Althusius 
(Politica methodica digesta atque exemplis 
sacris et profanis illustrata [Herborn 1625)); 
er ist der bedeutendste wissenschaftliche Verfechter der 
Volkssouveränität. (Vgl. d. Art. Volkssou- 
veränität Bd V.) Bei ihm kommt dem souveränen 
Volk die oberste ausschließliche Macht und Hoheit 
zu, aber es ist keine Willkürgewalt, sondern die 
Staatsgewalt innerhalb der Schranken des Rechts. 
So ist Althusius der erste klassische Repräsentant 
der Idee des Rechtsstaats. Der englische Staats- 
philosoph Thomas Hobbes (De cive 1646 
und Leviathan 1651) versuchte die Souveräni- 
tät der Staatsgewalt wissenschaftlich zu begründen. 
Auch er leitet das Zustandekommen des Staats 
aus einem Vertrag ab. Diese Vertragstheorie 
hat bekanntlich von Occam (f 1347) und Mar- 
silius (1280/1328) an bis Rousseau, Kant und 
Fichte das philosophische Staatsrecht beherrscht. 
  
staatsrechtliche. 1210 
Grotius und Hobbes haben ihr die sorgfältigste 
Ausführung gewidmet. An den Staatsvertrag, 
durch welchen die Individuen sich zu einer Inter- 
essengemeinschaft vereinigen, schließt sich der Herr- 
schafts= oder Unterwerfungsvertrag, vermöge dessen 
die einzelnen ihr Recht und ihre Macht auf die 
Obrigkeit übertragen. Das erwies sich als ein all- 
gemeiner Rahmen, in dendie verschiedensten poli- 
tischen Ansichten paßten. Überall aber wird der 
Fehler gemacht, daß Staatsgewalt mit Souveräni- 
tät identifiziert wird. Das tat schon Bodin, der 
die souveräne Gewalt mit einer Anzahl von ein- 
zelnen Rechten ausfüllt. So zählt er acht Merk- 
male der Souveränität auf: das Recht der Gesetz- 
gebung, das Recht über Krieg und Frieden, das 
Recht der Ernennung der obersten Beamten, das 
der höchsten Gerichtsbarkeit, das Recht auf Treue 
und Gehorsam, das Begnadigungsrecht, das 
Münzrecht und das Besteuerungsrecht. Hobbes 
hat dann den Souveränitätsbegriff am schärssten 
im absolutistischen Sinn ausgeprägt, indem er 
seinen Inhalt aus dem Staatszweck ableitet. Der 
Souverän ist nach Hobbes nicht verklagbar und 
nicht bestrafbar, ist höchster Bewahrer des Friedens 
und höchste Autorität in Glaubenssachen. Er ist 
Gesetzgeber und oberster Richter, Herr über Krieg 
und Frieden; er hat das Recht praeter legem zu 
belohnen oder zu bestrafen usw. Der Wille des 
Herrschers ist so die alleinige Rechtsquelle im po- 
sitiven Staatsleben. — Im Gegensatz hierzu findet 
Althusius den souveränen Staat in der uni- 
versitas populi. Und die künstliche Konstruktion 
des Absolutismus, welche Hobbes auf der Ver- 
tragstheorie errichtet hatte, wich immer mehr der 
Lehre von der Volkssouveränität. Diese Theorie lag 
auch der Lehre Lockes von der Teilung der Ge- 
walten in die „legislative“ und die „exekutive“, 
d. h. die innere Verwaltung, und die „föderative", 
.h. die äußere Verwaltung, zugrunde. Auch die 
konstitutionelle Theorie Montesquieus steht 
auf dem Boden der Volkssouveränität. Er hat die 
Zweiteilung der Gewalten durch die Dreiteilung 
ersetzt, indem er verlangt, daß die dritte Gewalt, 
die richterliche, besondern von den beiden andern 
Gewalten unabhängigen Organen übertragen 
werde. Für Rousseau gibt es überhaupt keinen 
Herrschaftsvertrag mehr. Für ihn sind die Fürsten 
nur bloße Beauftragte des souveränen Volks, das 
ihnen die Gewalt nach Belieben modifizieren, be- 
schränken und wieder nehmen kann. Dieser Sou- 
verän, nämlich das Volk, kann sich überhaupt 
nicht einem Höheren unterwerfen, das wäre nach 
Rousseau ein Widerspruch. Im Grund gibt es 
für ihn nur ein Souveränitätsrecht, nämlich das 
Recht der Gesetzgebung. Das souveräne Volk übt 
die Gesetzgebung aus und setzt für die Exekutive 
einen Staatsleiter ein, der vom Volk wieder über- 
wacht wird. So liegt die gesamte Gewalt in der 
Hand des souveränen Volks (s. d. Art. Volks- 
souveränität). — Während Rousseau diese Ideen, 
welche auf das praktische Parteiprogramm der 
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