1217 Souveränität,
Die Träger der Souveränität des Reichs sind
nach Labands Ansicht die 25 Gliedstaaten des
Reichs. Da aber in diesen Gliedstaaten die Fürsten
mit Ausnahme der drei freien Städte die allein
berechtigten Träger der Einzelstaatsgewalt sind,
so seien die deutschen Fürsten und freien Städte
in ihrer Gesamtheit die Träger oder Inhaber der
souveränen Reichsgewalt. Daraus rechtfertige es
sich auch, daß die Landesherren der Einzelstaaten
ihre persönliche Souveränität und alle damit
verbundenen staatlichen und völkerrechtlichen Ehren-
rechte ungeschmälert behalten haben.
Im Sinne Labands bezeichnet auch Binding
(„Die rechtliche Stellung des Kaisers im heutigen
Deutschen Reich“; Vortrag, abgedr. im Jahrbuch
der Gehe-Stiftung zu Dresden Bd IIII1899)) als
den Souverän des Deutschen Reichs die Gesamt-
heit der Träger der Landesstaatsgewalten, also die
22 deutschen Landesherren und die drei Senate
der Hansestädte. Diesem Souverän gibt er den
Namen „Kollektiv-Souverän“, dessen Organ der
Bundesrat ist. Binding erklärt aber die Sou-
veränität für teilbar und beschränkbar; und sie ist
seiner Ansicht nach sowohl zwischen dem Reich und
seinen Gliedstaaten als auch im Reich zwischen
jenem Kollektiv-Souverän und dem Kaiser geteilt.
Nach Art. 11 der Reichsverfassung hat „der
Kaiser das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im
Namen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden
zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit
fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu be-
glaubigen und zu empfangen“. Doch haben die
deutschen Gliedstaaten das aktive und passive Ge-
sandtschaftsrecht, wovon sie aber nur ganz be-
schränkten Gebrauch machen, desgleichen steht ihnen
das Recht des Vertragsschlusses zu, soweit das
Reich nicht eingreift (vgl. hierzu d. Art. Ge-
sandter, Bd II, Sp. 519 ff).
VI. Die Souveränität in parkamentari-
schen Monarchien. Hier ist noch kurz die Frage
zu erörtern, wem in parlamentarisch regierten
Monarchien die Souveränität zustehe, so vor
allem in England. Hier haben die Revolutionen
von 1640 und 1688 die Prärogative des Königs
nicht zur staatlichen Vollgewalt, zur einheitlichen
Staatsgewalt erstarken lassen. Und so ist tatsächlich
die königliche Prärogative eine genau abgegrenzte
Summe von Regalien, von einzelnen Rechten. Der
König ist unverletzlich und unverantwortlich, er
hat das Recht der völkerrechtlichen Vertretung, die
oberste Kommando= und Kriegsgewalt, er ist Quelle
der Gerichtsgewalt, die in seinem Namen ausgeübt
wird, hat das Begnadigungsrecht, er ist Haupt der
Staatskirche, er ist Quelle der Ehren und Amter.
Die Krone ist Teilhaberin an der Wirksamkeit des
Parlaments, sie eröffnet, vertagt, schließt und löst
das Parlament auf. Sie nimmt ferner teil am
Zustandekommen von Gesetzen durch Erteilung der
„königlichen Zustimmung“. Dagegen steht ihr
seit der Mitte des 19. Jahrh. kein Vetorecht gegen-
über einem Parlamentsbeschluß mehr zu. Da
Staatstexilon. IV. 3. u. 4. Aufl.
staatsrechtliche. 1218
aber seit eben dieser Zeit Gesetzesanträge nur von
den Ministern eingebracht werden und die Krone
den Ministern von vornherein verbieten kann, etwa
ihr nicht genehme Gesetze einzubringen, so ersetzt
diese Art Vorsanktion der Krone sehr wohl deren
einstiges Vetorecht. So kann der Wille des Königs
durch nichts ersetzt werden, ohne ihn würde die
ganze Gesetzgebungsmaschine stillstehen.
Die Verfassung des Königreichs Italien
vom Jahr 1871 bezeichnet den Monarchen als von
„Gottes Gnaden und durch den Willen des Volks“
regierend. Die ganze Art der Organisation der
politischen Gewalten in Italien, die dem Königtum
eingeräumten Befugnisse, die mit denen identisch
sind, welche die Staatsoberhäupter in den alten
Monarchien Europas besitzen, lassen keinen Zweifel
darüber aufkommen, daß in dieser Redewendung
der italienischen Verfassungsurkunde nur auf die
Tatsache hingewiesen werden soll, daß die Aus-
dehnung des Königreichs über die ganze Halbinsel
infolge der plebiszitären Abstimmung des Volks,
über deren Wert oder Unwert hier kein Urteil zu
fällen ist, zustande gekommen, der Staat also durch
den „Volkswillen“ geschaffen ist. Von einem Vor-
behalt, welcher die Volkssouveränität als die nach
wie vor fließende Quelle der monarchischen Befug-
nisse bezeichnen würde, ist dagegen keine Rede.
Italien ist also zu den monarchischen Staaten zu
zählen und sein König als der Inhaber der Sou-
veränität in dem unter IV. dargelegten Sinn zu
betrachten.
Die belgische Monarchie ist ausgesprochen
parlamentarisch, sie ist revolutionär in ihrem Ur-
sprung und beruht auf der Verfassung, die ihrer-
seits ein Werk des Volks ist. So bestimmt auch
der Art. 78 der Verfassungsurkunde ausdrücklich:
„Der König hat keine andern Gewalten als die,
welche ihm die Verfassung und die besondern auf
Grund der Verfassung selbst erlassenen Gesetze
ausdrücklich verleihen.“ So steht in Belgien die
Souveränität der Nation zu (Tous les pouvoirs
émanent de la nation, sagt Art. 25 der Ver-
fassungsurkunde). — Die belgische Verfassung
war auch das Vorbild für die Verfassung des
Königreichs Griechenland von 1864, wo der
Art. 81 wörtlich übernommen ist aus der belgi-
schen: „Alle Gewalten kommen von der Nation
und werden in der durch die Verfassung festgesetzten
Weise ausgeübt.“ Also ist hier das Volk das
oberste Staatsorgan und Träger der Souveränität,
und die Kammer als Vertretung des Volks hat
sogar nach Art. 107 der Verfassung das Recht,
allein, ohne Mitwirkung des Königs, über eine
Verfassungsänderung zu entscheiden. Mithin ist
Griechenland mehr eine „Republik mit erblichem
Staatshaupt“ als eine Monarchie.
VII. Erwerb und Verlust der Sonuverä-=
nität. Was die Erwerbung der Souverä-
nität anlangt, so ist ihre geschichtliche Entstehung,
wenn sie nicht mit einem schon bestehenden Recht
auf den Besitz der Staatsgewalt in Widerspruch
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