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steht, eine rechtliche, eine legitime. Steht ihr da-
gegen ein älteres Recht auf den Besitz der Staats-
herrschaft entgegen, vollzieht sie sich demnach auf
dem Weg der Gewalt, so erscheint sie als eine
widerrechtliche, usurpierte, gleichviel, ob das um
den rechtlichen Besitz der Souveränität gebrachte
Rechtssubjekt ein Individuum, also ein Fürst,
eine organisierte Klasse von Personen, also eine
Aristokratie, oder das gesamte politisch berechtigte
Volk war. Die Geschichte hat zahlreiche Fälle
aufzuweisen, in denen ein Monarch und eine
Dynastie das berechtigte Herrscherhaus um den
Besitz der Staatsgewalt brachte, z. B. die Ver-
drängung der Stuarts durch die Dynastie Ora-
nien-Hannover, der Bourbonen durch das Haus
Orléans, der Familie Karageorgewitsch durch die
Obrenowitsch; legitime Dynastien wurden durch
die widerrechtliche Proklamation der Volkssouve=
ränität und der Republik verdrängt (1792 in
Frankreich, 1799 in Neapel und 1910 in Por-
tugal); Aristokratien mußten der Volksherrschaft
weichen (so häufig in den deutschen Reichsstädten
des Mittelalters).
Indessen läßt eine Anzahl von Beispielen er-
sehen, daß unter Umständen auch die zu Recht
bestehende demokratische Republik einer usurpierten
Fürstenherrschaft oder der gewaltsamen Einsetzung
eines aristokratischen Regiments zum Opfer fallen
kann. Ja es ist vorgekommen, daß derartige usur-
Souveränität,
staatsrechtliche. 1220
Literatur. Vgl. auch die unter Art. Garantie,
staatsrechtl., Monarchie u. Staatsgewalt aufge-
führten Handbücher des Staatsrechts; ferner R.
Maurenbrecher, Die deutschen regierenden Fürsten
u. ihre Souveränität (1839); Zachariä, Deutsches
Staatsrecht (21853); Gerber, Grundzüge eines Sy-
stems des deutschen Staatsrechts (1865, 71880);
Jellinek, Lehre von den Staatenverbindungen
(1882); Rosin, Souveränität, Staat, Gemeinde,
Selbstverwaltung, in Hirths Annalen (1883);
Cosse, Du principe de souveraineté (Par. 1882);
Borel, Etude sur la souveraineté et I’état fédéra-
tif (Lyon 1886); Bornhak, Preuß. Staatsrecht
(1884); Preuß, Gemeinde, Staat, Reich als Ge-
bietskörperschaften (1889); Trieps, Das Deutsche
Reich u. die deutschen Bundesstaaten (1890);
Westerkamp, Staatenbund u. Bundesstaat (1892);
v. Seydel, Der Bundesstaatsbegriff, in Staats-
rechtliche u. polit. Abhandlungen (1893); Kliemke,
Die staatsrechtliche Natur u. Stellung des Bundes-
rats (1894); Bornhak, Die verfassungsrechtliche
Stellung des deutschen Kaisertums (Archiv für
öffentliches Recht VIII I18941); Treumann, Die
Monarchomachen (1895); Rehm, Allgem. Staats-
lehre (1899); Hancke, Bodin, eine Studie über
den Begriff der Souveränität (1894); Jellinek,
Über Staatsfragmente (Festgabe der jurist. Fakul-
tät der Universität Heidelb. für Großh. Friedrich
von Baden, 1896); Landmann, Der Souveräni-
tätsbegriff bei den französ. Theoretikern (1896).
Außerdem: Dock, Der Souveränitätsbegriff von Bo-
din bis zu Friedrich d. Gr. (Straßb. jur. Diss. 1897);
Binding, Die rechtl. Stellung des Kaisers im heuti-
pierte aristokratische Regierungen von sehr langer gen Deutschen Reich, in Jahrbuch der Gehe-Stiftung
Dauer waren. Die Jahrhunderte hindurch wäh= zu Dresden III (1899); Dock, Revolution u. Re-
rende Herrschaft der Nobili in Venedig, die vom stauration über die Souveränität (1900); Laband,
Jahr 1297 bis zum Jahr 1797 im Besitz der
Macht blieben, und diejenige der Adelsfamilien
in Genua, die vom Jahr 1528 bis zur französi-
schen Invasion infolge der Revolution herrschten,
beweisen das zur Genige.
Ebenso wie die Erwerbung der Souveränität
ist auch die Beendigung derselben entweder
eine rechtmäßige oder eine widerrechtliche, je nach-
dem sie sich den bestehenden Rechtsvorschriften ge-
mäß vollzieht oder im Widerspruch mit ihnen
stattfindet.
Unter den einzelnen rechtmäßigen Erwerbsarten
ist die Thronfolge infolge des Todes oder der
Das Staatsrecht des Deutschen Reichs (4 Bde,
1901); dasselbe verkürzt in 5. Aufl. in Das öffentl.
Recht der Gegenwart I, hrsg. von Jellinek, Laband
u. Piloty (1909); Mode, Doppelsouveränität im
Deutschen Reich (1900); R. Schmidt, Allg. Staats-
lehre 1 u. II (1901,03); Gierke, Johannes Althu-
sius (21902); Schücking, Der Staat u. die Agnaten
v! (1902); Le Fur u. P. Posener, Bundesstaat u.
Staatenbund (1902); Boghitchevitch, Halbsouve-
ränität (1903); Daniel, Die Kuralienformel „Von
Gottes Gnaden“, ein Beitrag zur Lehre vom gött-
lichen Recht der Krone (1903); Rehm, Modernes
Fürstenrecht (1904); Cathrein, Moralphilosophie
(2 Bde, 1904); Jellinek, Das Recht des modernen
Staats I (21905); Piloty, Autorität u. Staats-
Abdankung des bisherigen Staatsherrschers von gewalt (1905); Krabbe, Die Lehre der Rechtssou-
besonderer Wichtigkeit (s. d. betr. Art.); was aber
die möglichen Beendigungsarten anlangt,
so müssen wir, abgesehen von den soeben erwähnten
Fällen des Todes und der freiwilligen Verzicht-
leistung, die Entsetzung des Monarchen infolge
rechtmäßigen Beschlusses der Agnaten, die Revo-
lution, die Eroberung durch eine fremde Macht
und die freiwillige Abtretung an einen andern
Souverän unterscheiden. In vielen Staaten hat
man den Agnaten des regierenden Hauses von
alters her das Recht beigelegt, den Souverän durch
einen Beschluß des Familienrats der Regierung
zu entsetzen, wenn sich die absolute Unfähigkeit
desselben herausstellt, das Land ordnungsgemäß
zu beherrschen (vgl. hierzu d. Art. Regentschaft).
veränität (1906); Triepel, Unitarismus u. Föde-
ralismus im Deutschen Reich (1907); Rehm, Die
überstaatl. Rechtsstellung der deutschen Dynastien,
in der Festschrift für die jurist. Fakultät in Gießen
(1907); Preuß, Selbstverwaltung, Gemeinde,
Staat, Souveränität, in den Staatsrechtl. Abhand-
lungen, Festgabe für Laband zum 50jähr. Doktor-
jubiläum II (1908) 159 ff; La Fur. La souverai-
neté et le droit, in der Revue du droit public de
la science politigue en France et à I’étranger,
Nr 3 (Par. 1908); Kaufmann, über den Begriff
des Organismus in der Staatslehre des 19. Jahrh.
(1908); Cathrein, Recht, Naturrecht u. positives
Recht (21909); Bornhak, Grundriß des deutschen
Staatsrechts (21909); ders., Allg. Staatslehre
(21909); Dienstfertig, Die rechtl. Mitwirkung des
Bundesrats u. des Reichstags auf dem Gebiet der