Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1221 Souveränität, 
auswärtigen Angelegenheiten des Deutschen Reichs 
(1907); Rieß, Auswärtige Hoheitsrechte der deut- 
schen Einzelstaaten, in den Abhandlungen aus dem 
Staats= u. Verwaltungsrecht mit Einschluß des 
Kolonialrechts, hrsg. von Brie u. Fleischmann, 
11. Hft (1905); Kiefer, Das Aussichtsrecht des 
Reichs über die Einzelstaaten, ebd. 18. Hft (1909); 
Triepel, Die Kompetenzen des Bundesstaats u. die 
geschriebene Verfassung, in Festgabe für Laband 
zum 50jährigen Doktorjubiläum (1908). 
LE. Baumgartner.) 
Souveränität, völkerrechtliche. [Be- 
griff, Eigenschaften und Arten derselben; die Sou- 
veränität in Staatenverbindungen, Halbsouveräni- 
tät und Suzeränität.) 
I. Begriffsbeskimmung. Der Staat im 
völkerrechtlichen Sinn ist die selbstherrliche Ge- 
bietskörperschaft, d. h. die auf einem bestimmten 
Gebiet angesiedelte, durch eine selbständige und 
unabhängige Herrschergewalt zusammengefaßte 
menschliche Gemeinschaft. Ein Staat ist entstanden, 
sobald also ein Staatsvolk auf einem bestimmten 
Staatsgebiet unter einem höchsten Staatsorgan 
sich zusammengeschlossen hat. Von den übrigen 
Gebietskörperschaften unterscheidet sich der Staat 
also durch seine Souveränität; diese fehlt allen 
übrigen Gebietskörperschaften, den Kommunal= 
verbänden. Der neuentstandene Staat bedarf aber, 
um völkerrechtliches Rechtssubjekt zu werden, der 
Anerkennung durch die übrigen Mächte. Gegen- 
stand dieser Anerkennung ist aber nicht das Da- 
sein eines Staats, sondern nur sein Eintritt in 
die Völkerrechtsgemeinschaft; Veränderungen in 
der Regierungsform eines Staats haben keinen 
Einfluß auf seine völkerrechtlichen Berechtigungen 
und Verpflichtungen; so wurde auch die jüngste 
Republik Portugal 1910 von allen Mächten an- 
erkannt. An sich kann jeder Staat völkerrecht- 
liches Rechtssubjekt sein; aber die völkerrechtliche 
Handlungsfähigkeit kommt nur dem souveränen 
Staat zu. 
Die Souveränität ist, wie wir im vorangehenden 
Artikel ausgeführt haben, diejenige Eigenschaft 
der Staatsgewalt, kraft deren sie selbständig Recht 
übt; sie ist unabhängige, höchste Gewalt, die nach 
außen wie im Innern selbständige Herrschermacht; 
sie bedeutet nach der negativen Seite hin die Un- 
möglichkeit, durch irgend eine andere Macht gegen 
den eignen Willen rechtlich beschränkt werden zu 
können. Damit sind natürlich tatsächliche Be- 
schränkungen der souveränen Staatsmacht durch 
eignen Willen nicht ausgeschlossen. Wir haben 
bereits im vorigen Artikel betont, daß die Unter- 
scheidung einer äußern und innern Souveränität 
nur so aufzufassen ist, daß diese nur zwei Seiten 
ein und desselben Ganzen sind, nicht dagegen im 
Sinn einer geteilten Souveränität; denn die äußere 
Souveränität, d. h. die Unabhängigkeit gegenüber 
äußern Mächten, ist durch die innere bedingt. 
Das Völkerrecht setzt ja die Existenz der Staaten 
voraus, da die Staaten älter sind als das Völker- 
recht. Auch der souveräne Staat, der in der völker- 
völkerrechtliche. 1222 
rechtlichen Staatengemeinschaft lebt, betrachtet sich 
als durch das Völkerrecht gebunden, ohne aber 
dadurch einer höheren Macht sich zu unterwerfen, 
denn rechtlich bleibt der Staat nur seinem eignen 
Willen unterworfen. Die völkerrechtlichen Nor- 
men, die er auch als bindend für sich anerkennt, 
entwickeln sich aber aus den Forderungen des inter- 
nationalen Verkehrs, als Wünsche und Über- 
zeugungen der Völker und Staatsmänner. 
Alle souveränen Staaten haben volle völker- 
rechtliche Rechts= und Handlungsfähigkeit. In 
völkerrechtlicher Beziehung sind also alle souveränen 
Staaten einander völlig gleichberechtigt, so braucht 
also kein souveräner Staat den von andern aus- 
gebildeten Völkerrechtssatz anzuerkennen; ebenso- 
wenig ist er verpflichtet, Bestimmungen und Ver- 
einbarungen anderer Mächte, die ihn oder seine 
Angelegenheiten betreffen, ohne weiteres anzu- 
erkennen. 
II. Eigenschaften der völkerrechtlichen Son · 
veränitäf. Der Gesamtinhalt derselben kann 
natürlich nicht erschöpfend angegeben werden; es 
dürfen als ihre Hauptkennzeichen angesehen werden: 
1) das Recht, Krieg zu führen und Frieden zu 
schließen (ius belli ac pacis), 2) das Recht, Ver- 
träge, vor allem Bündnisverträge zu schließen 
(•ius foederis et tractatuum), 3) das Recht der 
selbständigen diplomatischen Vertretung (ius le- 
gationum, aktives und passives Gesandtschafts- 
recht). Über die Souveränität des Papstes 
s. d. Art. Papsttum. 
III. Die Souveränität in Staatenverbin-- 
dungen. Unter Staatenverbindungen im weiteren 
Sinn versteht man jede auf einem Rechtsgrund 
beruhende dauernde Beziehung zweier oder mehrerer 
Staaten. Staatenverbindungen im engeren Sinn 
sind dauernde rechtliche Vereinigungen politischer 
Natur. Letztere sind nun entweder solche völker- 
rechtlicher Natur oder solche staatsrechtlicher Natur. 
Staatenverbindungen sind also: die Personal- 
union, die Realunion, der Staatenbund, der 
Bundesstaat, völkerrechtlich begründete Abhängig- 
keitsverhältnisse sowie der Staatenstaat. 
1. Die Personalunion. Nicht zu den 
eigentlichen Staatenverbindungen zählt die Per- 
sonalunion, sie tritt dann ein oder liegt dann 
vor, wenn durch zufällige Übereinstimmung der 
Erbfolgeordnungen zweier oder mehrerer Staaten 
dieselbe Person auch Herrscher dieser Staaten ist. 
Die betreffenden Staaten bleiben völlig selbständig 
nebeneinander bestehen. Über Staatenverbin- 
dungen vgl. d. Art. Hier ist nur die Frage der 
Souveränität der in Staatenverbindungen ver- 
einigten Staaten zu untersuchen. 
2. Die Realunion. Während bei der Per- 
sonalunion die Gemeinsamkeit der Person des 
Monarchen keine von den Staaten absichtlich her- 
beigeführte, also im rechtlichen Sinn zufällige ist, 
ist dagegen diese Gemeinsamkeit bei der Real- 
union eine rechtlich gewollte, sie beruht auf Ver- 
einbarung zweier oder mehrerer Staaten, kraft 
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