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Schnitt und die Farbe der Kleidung. Es ist
wirklich staunenswert, mit welcher liebenswürdigen
Naivität Fourier von den Menschen denkt. Er
unterscheidet sich von dem blutdürstigen Welt-
beglücker Babeuf und den Anarchisten unserer
Tage vorteilhaft dadurch, daß er die Wider-
strebenden nicht dem Fallbeil oder der Dynamit-
bombe überantwortet; er will sogar den Arbeitern
des Phalanstere das von ihnen Erarbeitete eigen-
tümlich und vererblich überlassen, so daß die
Kinder der Fleißigen einen größeren Anteil er-
halten müssen als die der allzu poetischen Träu-
mer. Er muß auch voraussetzen, daß sich jederzeit
Individuen finden werden, die den zu andern,
angenehmeren und ehrenvolleren Beschäftigungen
sich drängenden Leuten Platz zu machen bereit sind.
Denn alle Welt kann sicherlich nicht Rosenstöcke
beschneiden, Forellen angeln und Unterricht in den
schönen Künsten erteilen. Es kann nicht jedermann
Dichter, Pferdebereiter sein oder populäre Kon-
ferenzreden über die Güte und Schönheit der har-
monischen Weltordnung halten.
Wir begegnen bei allen sozialistischen Autoren,
auch bei denen der Jetztzeit, stets demselben Irr-
tum. Sie gehen über die Hindernisse hinweg,
welche die nun einmal unausrottbaren menschlichen
Schwächen und Laster und die Verschiedenartigkeit
der menschlichen Begabung und Tatkraft (welche
selbst unter Voraussetzung der sozialistischen Er-
ziehung bestehen blieben) der Verwirklichung ihrer
Ideale entgegensetzen. Auf die unendlichen, geradezu
unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche die Ver-
teilung der Tätigkeit der einzelnen Menschen auf
die verschiedenen Produktionsgebiete bereiten muß,
wird nicht eingegangen. Man hütet sich davor, in
irgendwie erschöpfender Weise auf die Irrtümer
aufmerksam zu machen, welche die mit dieser Aufgabe
Betrauten begehen müßten, selbst wenn sie sämt-
lich allzeit von den reinsten Absichten beseelt wären.
Dieses würde jedoch kaum der Fall sein; es steht
vielmehr zu erwarten, daß die leicht zu betörenden
oder leidenschaftlichen Volksmassen vielfach die ver-
bissensten, gewissenlosesten Hetzer zur Leitung der
sozialistisch organisierten Gemeinwesen berufen
werden. Die ganze Tätigkeit der sozialistischen
Schriftsteller, ihrer Presse und ihrer Redner ist
wesentlich nur immer eine negative gewesen und
wird es auch immer bleiben müssen. Soweit es
sich um positive Vorschläge handelte, ist man nie
über allgemeine Redensarten oder utopische Aus-
malungen und einzelne fruchtlose Versuche der Ver-
wirklichung hinausgekommen. Was die letzteren
anlangt, so sind sie von Leuten ausgegangen,
welche wirklich an ihre sozialistischen Wahngebilde
glaubten. Zu diesen gehörte Fourier. Es gelang
ihm endlich, einen Versuch mit der Gründung eines
Phalanstére zu machen, welches zugleich als land-
wirtschaftliche und als industrielle Unternehmung
gedacht war. Schon hatte man eine Aktiengesell-
schaft gegründet und Grund und Boden zu diesem
Zweck angekauft. Aber die Zahl der hinlänglich
Sozialismus.
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utopisch Gesinnten, welche zu der Sache Vertrauen
gehabt hätten, war zu gering. Es mangelte an
Kapital, und die ganze Sache schlug fehl.
Die sozialistischen Doktrinen aber wurden nach
wie vor gepredigt und fanden stets neue literarische
Vertreter und neue Gläubige. Unter den An-
hängern dieser Doktrinen, die Frankreich an-
gehören, welches Land bis in die zweite Hälfte
des vorigen Jahrhunderts hinein die hauptsäch-
lichsten Vertreter des theoretischen Sozialismus
aufzuweisen hatte, mögen Constantin Pecqueur,
Louis Blanc und Pierre Joseph Proudhon ge-
nannt werden. Der erste verkündete seine Theorien
in dem Buch: De la république de Bien. Union
religieuse pour la pratique immédiate de
T’égalité et de la fraternite (Par. 1844). Er
stand auf dem Boden des Theismus und kam mit
seinem verschwommenen, von der christlichen Offen-
barungslehre absehenden Rationalismus und Hu-
manitarismus zu einem vollständig sozialistischen
System. Er predigt nicht nur das allgemeine
Stimmrecht, sondern die sozialistische Produktions-
weise und eine den Leistungen entsprechende Ent-
lohnung der Arbeit. Das Gemeinwesen soll ihm
zufolge derart geordnet werden, daß immer je 10
bis 20 Individuen durch freundliches Überein-
kommen einen „Diener“ als ihren Vertreter
wählen. Diese Vertreter treten dann wieder in
gewissen Wahlbezirken zusammen, um höhere Re-
präsentanten zu erkiesen, und das geht so fort, bis
die Auslese der vorletzten Repräsentantenkollegien
den servus servorum der Menschheit, das Haupt
der Gesamtheit an die Spitze des Gemeinwesens
beruft. Dasselbe soll durch seine Repräsentanten
die Produktionsmittel in der Hand haben und
ihre Verwendung leiten sowie den Handel und
Wandel regeln und beaufsichtigen. Auch muß es
natürlich Behörden geben, welche die Veranlagung
und Tüchtigkeit der einzelnen prüfen und ihnen
danach ihre Tätigkeit anweisen. Der Arbeitslohn
hat aber für jede Art von Diensten der gleiche zu
sein, da sämtliche Gattungen Dienste für die
Menschheit gleich nützlich sind. Ein Schuster ist
für den wahren Volksmann, was seine Leistungen
anlangt, ebenso wertvoll wie der geschickteste Arzt.
Nur das quantitative Plus kann nach Pecqueurs
System einen höheren Lohn rechtfertigen, und es
wird nach diesem System auch der Lohn dem ein-
zelnen zur beliebigen Verwendung überlassen. Der
volle Kommuniemus schien nach dem, was man
mit Enfantin erlebt, doch sein Bedenkliches zu
haben. Trägheit und sonstige Vergehen bei der
Arbeit werden nach Pecqueur mit Lohnabzügen
gestraft, die eigentlichen Ubeltäter aber werden
aus der menschlichen Gesellschaft verstoßen!
Eine größere Bedeutung als diesem Schrift-
steller ist Louis Blanc beizulegen. Seine Or-
ganisation du travail (Par. 1840) hat aller-
dings im wesentlichen nichts aufzuweisen, was sie
über die Arbeiten anderer sozialistischer Theoretiker
erheben würde; ganz im Gegenteil! Enthält sie