Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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liche, vergängliche Produkte wie Staat, Familie, 
Eigentum. 
Es ist hier nicht der Ort, die wissenschaftliche 
Unhaltbarkeit der materialistischen Geschichtsauf- 
fassung, die auch auf der materialistischen Weltan- 
schauung ruht, darzutun. Jede Geschichtsauffas- 
sung bleibt das Werk eines Geistes. Der Ent- 
wicklungsgedanke ferner gehört der organischen, 
teleologischen Weltauffassung an, nicht der me- 
chanischen, materialistischen. Wo Entwicklung, da 
ist ein Keim, Gesetz, Ziel, für welche der Stoff 
an sich die ausreichende Erklärung nicht zu bieten 
vermag. Man hätte sodann erwarten dürfen, daß, 
wer eine Geschichtsauffassung von so allgemeiner 
Bedeutung aufstellt, die Wahrheit derselben aus 
der Geschichte selbst genügend erhärte. Statt dessen 
hat man sich begnügt, nur für vereinzelte Fälle den 
Einfluß der wirtschaftlichen Lebensbedingungen 
auf die Geschichte der Völker hervorzuheben — ein 
Einfluß, der von niemand bestritten wird. Es 
kam aber darauf an, die Allgemeinheit und Aus- 
schließlichkeit dieses Einflusses im Sinn der mate- 
rialistischen Geschichtsauffassung darzutun, nach- 
zuweisen, daß die entscheidende Leitung der Ge- 
schichte lediglich und allein und überall der Okonomie 
und in letzter Linie der Technik anheimgefallen sei. 
Eine solche Beweisführung aber fehlt. Insbeson- 
dere wurde die Behauptung, der ideologische Über- 
bau, Philosophie, Religion, Recht und Moral 
hätten in letzter Linie als das Produkt wirtschaft- 
licher Tatsachen und Verhältnisse zu gelten, gerade 
von den intelligentesten Anhängern des modernen 
Sozialismus (wie Belfort-Bax, Bernstein, Sorel) 
als unhaltbar und irrig preisgegeben. 
Auch die Darlegung der besondern Entwick- 
lungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft — die 
angeblich naturnotwendig zum „Zukunftsstaat"“ 
überleiten — ist von keinem höheren wissenschaft- 
lichen Wert als die materialistische Geschichtsauf- 
fassung im allgemeinen. Im Vordergrund steht 
die „Verelendungstheorie“ auf der Unterlage der 
Marxistischen Werttheorie. Der Arbeiter, durch 
das Privateigentum von den Produktionsmitteln 
getrennt, erzeugt sein eignes Produkt als Kapital. 
Er erhält im Lohn weniger als den Wert seines 
Produkts, indem der Kapitalist den „Mehrwert"“ 
sich aneignet. Entsteht das Kapital auf diesem 
Weg durch einen tatsächlichen Raub am Arbeiter, 
so wächst es um so schneller bei Steigerung des 
Mehrwerts durch Lohndrückerei, Verlängerung 
der Arbeitszeit, Steigerung der Produktivität der 
Arbeit. Die bei fortschreitender Technik in großen 
Massen freigesetzten Arbeiter — industrielle Re- 
servearmee — erleichtern den Kapitalisten die 
Ausbeutung. Je größer der Reichtum der Kapi- 
talisten, um so mehr wächst das Elend des Pro- 
letariats. 
Marx fällt hier aus der Rolle, menn er ein 
moralisches Urteil über die Kapitalbildung spricht, 
von Ausbeutung der Arbeiter u. dgl. redet. Hätte 
er sich ferner damit begnügt, darzulegen, wie die 
Sozialismus. 
  
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Ausbeutung eine häufige und verwerfliche Er- 
scheinung im Erwerbsleben sei, wie die Lage des 
englischen Arbeiters seinerzeit eine fortschreitende 
Verelendung erkennen ließ, niemand außer den 
Interessenten hätte ihm widersprochen. Aber die 
sozialistische Tendenz forderte ein allgemeines 
Urteil; es mußte nachgewiesen werden, daß mit 
dem Wesen der auf Eigentum an den Produktions= 
mitteln begründeten Gesellschaftsordnung die Aus- 
beutung untrennbar verbunden, die fortschreitende 
Verelendung der Arbeitermassen somit eine natur- 
notwendige sei. Dazu benutzt er die von Adam 
Smith schwankend, von David Ricardo und 
andern liberalen Okonomisten ohne Einschränkung 
vorgetragene Lehre, daß die Arbeit als die einzige 
Ouelle der Wertbildung zu gelten habe. Der 
Tauschwert enthält kein Atom Gebrauchswert. 
Die gesellschaftliche, bei einem gegebenen Stand der 
Technik usw. notwendige Arbeit, gemessen durch 
die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, bestimmt 
den Tauschwert der Ware, auch der Ware „Ar- 
beitskraft". Sind 6 Stunden notwendig, um die 
Güter zu produzieren, deren der Arbeiter zu seiner 
Erhaltung bedarf, so stellen diese 6 Stunden in 
Geld ausgedrückt den Tauschwert der Arbeitskraft, 
den Lohn des Arbeiters dar. Aber der Arbeiter 
ist 10, 12, 14 Stunden tätig in der Produktion 
von Waren, der Gebrauchswert der Arbeitskraft 
für den kapitalistischen Unternehmer höher als ihr 
Tauschwert, als der Lohn, den der Arbeiter 
empfängt. So entsteht und wächst das Kapital, 
indem dem Arbeiter jener Mehrwert, den er durch 
harte und lange Arbeit erzeugt, vorenthalten wird. 
Der Empiriker Marx beweist diese von ihm ver- 
vollständigte Werttheorie — a priori, ver- 
mittelst eines Trugschlusses. Der Erfahrung, den 
tatsächlichen Verhältnissen gegenübergestellt, mußte 
ja allerdings die Hinfälligkeit einer solchen Lehre 
ohne weiteres zutage treten. Viele Beispiele 
zeigen, daß Werte entstehen oder wachsen können 
ohne auf ihre Herstellung verwendete körperliche 
Arbeit, daß Werte gemessen werden eben auch nach 
der Güte und Brauchbarkeit der Waren, daß die 
Leitung des Geschäfts von großem und entschei- 
dendem Einfluß auf die Wertbildung ist usw. Und 
wie sollte man mittels des lediglich quantitativen, 
dazu noch sehr abstrakten und praktisch unfaßbaren 
Maßstabs der „gesellschaftlich notwendigen Ar- 
beitszeit“ qualitativ sehr verschiedene Waren und 
Leistungen unter dem einheitlichen Gesichtspunkt 
des Werts vergleichen können? Unglaubliche Nai- 
vität bekundet es, wenn ein Vielfaches der Arbeits- 
zeit bei qualifizierter Arbeit zur Bestimmung des 
Werts eben dieser Qualitätsarbeit für ausreichend 
gehalten wird. Die größte Schwierigkeit aber be- 
reitete den Marxisten das sog. „Durchschnitts- 
profiträtsel“. War die Wert= und Mehrwert- 
theorie richtig, so mußte in einem Unternehmen 
mit mehr „variablem“ Kapital (verwendet auf 
Lohnzahlung für eine größere Arbeiterzahl) der 
Mehrwert größer sein als in einem andern Unter-
	        
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