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besonders aber in der Enzyklika Rerum novarum
vom 15. Mai 1891 gegen den Sozialismus ge-
wandt und denselben entschieden verworfen. Das-
selbe hat Pius X. in seinem Motuproprio vom
18. Dez. 1903 getan.
Die Verbreitung der sozialistischen Ideen, die
in jüngster Zeit stattgefunden hat, darf nicht zu
tragisch genommen werden. Der tief individua-
listische Geist unserer Zeit, die an den verschieden-
sten nebeneinander hergehenden Strömungen aller
Art reich ist, wie wenige andere Epochen es waren,
steht jedem allgemeinen praktischen sozialistischen
Experiment ernstlich entgegen. Können sich die
Handwerker nur schwer in ihren Innungen mit
ihrem beschränkten Wirkungskreis zu erfolgreichem
Zusammenarbeiten einigen, lösen sich sogar die
Kartelle der durch Gemeinschaft wichtigster Inter-
essen verbundenen Großindustriellen bisweilen
schnell wieder auf, wie sollte da die ganze Mensch-
heit in den sozialistischen Zukunftsstaat sich hinein-
zwängen lassen?
Die beste Art des Kampfes gegen den Sozialis-
mus ist und bleibt die soziale Reform. Man
muß die christliche Gesellschaftsordnung auf ihren
alten, noch immer vorhandenen und verstärkten
Grundlagen wieder aufführen, maßvoll fortschrei-
tend, manches den früheren Zeiten nachahmend,
anderes den geänderten Zeitverhältnissen entspre-
chend neu gestaltend, wie es Leos XIII. schon
genannte großartige Enzyklika Novarum rerum
den Grundzügen nach so meisterhaft vorzeichnet.
Je eher das geschieht und in je größerem Umfang
es sich vollzieht, je schneller wird der Sozialis=
mus, wenn nicht ganz verschwinden, so doch als
eine viele Geister in ihrem Bann haltende Geistes-
richtung überwunden werden.
Literaturüber S. Stammhammer, Biblio-
graphie des S. u. Kommunismus (3 Bde, 1893
bis 1909); Louis Reybaud, Etudes sur les ré-
formateurs ou socialistes modernes (2 Bde,
1840/43); L. v. Stein, Der S. u. Kommunismus
des heutigen Frankreichs (21848); ders., Geschichte
der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis
auf unsere Tage (3 Bde, 1850); E. de Laveleye,
Le socialisme contemporain (1881, /1894 deutsch
1884 u. 1895); Abbe Winterer, Der S. in den drei
letzten Jahren (1882); ders., Die soziale Gefahr
u. der S. während der letzten zwei Jahre in Europa
u. Amerika (1885); derf., Le socialisme inter-
national (1890); Le socialisme contemporain
(11894); G. Adler, Gesch, des S. u. Kommunis-
mus 1 (1899); R. Pöhlmann, Gesch. des antiken
Kommunismus u. S. (2 Bde, 1894 u. 1901); über
angeblichen „Kommunismus“ der ersten Christen
vgl. A. Winterstein, Die christl. Lehre vom Erden-
gut (1898); E. Jäger, Der moderne S. (1873);
A. v. Schäffle, Die Quintessenz des S. (181891);
ders., Die Aussichtslosigkeit der Sozialdemokratie
((1891); R. Stammler, Wirtschaft u. Recht nach
der materialistischen Geschichtsauffassung (1896);
P. Barth, Die Geschichtsphilosophie Hegels usw.
(1890); J. Wolf, S. u. kapitalist. Gesellschafts-
ordnung (1891); W. Sombart, S. u. soziale Be-
wegung (61908); E. v. Böhm-Bawerk, Kapital u.
Soziallehre — Sozialpolitik.
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Kapitalzins (7?1900); ders., Zum Abschluß des
Marxschen Systems, in den Festgaben für Knies
(1896); G. Th. Masaryk, Die wissenschaftl. u.
philosoph. Krise innerhalb des gegenwärtigen Mar-
xismus (1898); Bourguin, Die sozialistischen Sy-
steme u. die wirtschaftliche Entwicklung, übersetzt
von Katzenstein (1906); Warschauer, Zur Entwick-
lungsgeschichte des S. (1909); V. Cathrein 8. J.,
Der S. (1691910); H. Pesch 8. J., Der moderne S.
(21901); ders., Lehrbuch der Nationalökonomie I
(1905). — Ein „Archiv für die Geschichte des S.
u. der Arbeiterbewegung“, hrsg. von Grünberg,
erscheint seit 1910.
Literatur des (neueren) S. (Die bedeu-
tenderen Werke der älteren Sozialisten s. im Kon-
text.) K. Marx u. F. Engels, Die heilige Familie
(1845); K. Marx, Elend der Philosophie (1847,
1895); Marx u. Engels, Kommunistisches Mani-
fest (1847; seit 1890 wiederholt neu aufgelegt);
Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bona-
parte (1852, 21889); derf., Zur Kritik der polit.
Okonomie (1859); dersf., Das Kapital. Kritik der
polit. Okonomie (1 1867, 1890; II 1885, 21893;
III 1894). — F. Engels, Die Lage der arbeitenden
Klasse in England (1845, zuletzt 1892); derf.,
Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissen-
schaft (1878, 71894); ders., Die Entwicklung des
S. von der Utopie zur Wissenschaft (1882, 1891);
ders., Der Ursprung der Familie, des Privateigen-
tums u. des Staats (1884, 1894); ders., Ludwig
Feuerbach u. der Ausgang der deutschen klassischen
Philosophie (1888, 21895). — F. Lassalles Reden
u. Schriften in neuer Gesamtausgabe, mit einer
biographischen Einleitung, hrsg. von E. Bernstein
(seit 1892). — E. Bernstein, Die Voraussetzungen
des S. (1899; 11. Tausend 1904); derf., Zur Gesch.
u. Theorie des S. (1901). Vgl. auch dessen Auf-
sätze in den „Sozialistischen Monatsheften", der
wissenschaftlich höchststehenden sozialistischen Zeit-
schrift. Die von K. Kautsky redigierte „Neue Zeit“
verharrt auf Marxistischem Standpunkt. Reiche
Angaben über sozialistische Literatur findet man
bei Mehring, Gesch. der deutschen Sozialdemokratie
(4 Bde, 1903/04). "
[Kämpfe u. H. Pesch S. J., rev. V. Cathrein 8. J.
Soziallehre s. Sozialwissenschaft.
Sozialpolitik. Die soziale Frage,
d. h. die Frage nach Wesen und Ursachen der
unbefriedigenden wirtschaftlichen Lage der unteren
Gesellschaftsklassen bzw. einzelner Erwerbsstände
sowie die Frage nach Mitteln zur Besserung dieser
Lage in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller
Hinsicht wird in ihren Einzelheiten an vielen
Stellen des Staatslexikons erörtert. Dort finden
insbesondere auch die Mittel, welche sowohl von
privater bzw. genossenschaftlicher wie von öffent-
licher, staatlicher Seite zur Besserung der sozialen
Zustände angewandt und empfohlen werden, eine
eingehende Darlegung. Hier handelt es sich ledig-
lich um die Mitwirkung der staatlichen Gesetz-
gebung und öffentlichen Verwaltung an den so-
zialen Reformen, um die seitens der öffentlichen
Gewalt gegenüber der sozialen Frage befolgte
Politik, welche als Sozialpolitik bezeichnet wird.
Sozialpolitik ist also nicht gleichbedeutend mit