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Prim gestürzt. Man wollte keine Republik, fand
aber erst Ende 1870 einen König in dem italie-
nischen Prinzen Amadeus. Er trat die Regierung
am 2. Jan. 1871 an, wurde ihrer aber bald müde
und dankte 10. Febr. 1873 ab. Tags darauf
wurde die Föderativrepublik ausgerufen. Die ein-
zelnen Provinzen, die sich nun selbst regieren
sollten, verfielen bald der Anarchie; schon 1872
hatten sich die Karlisten im Norden wieder er-
hoben, die aber auch diesmal nur in der Verteidi-
gung stark waren, und so hatte man zugleich den
Bürgerkrieg. Die Republik war unhaltbar; ohne
daß sich Widerstand erhob, rief General Martinez
Campos am 29. Dez. 1874 in Sagunto JIsabellas
Sohn zum König aus, und am 14. Jan. 1875
zog Alfons XII. in Madrid ein.
Der jugendliche Herrscher war eine sehr sym-
pathische Persönlichkeit und sein Ministerpräsident,
Canovas del Castillo, der Führer der Konserva-
tiven (wie die Moderados jetzt genannt wurden),
ein geschickter Staatsmann, und so gelang es, die
Monarchie zu sichern. Die neue, noch geltende
Verfassung kam 30. Juni 1876 zustande; sie er-
setzte das 1870 eingeführte allgemeine Wahlrecht
durch einen Zensus, schaffte die Zivilehe wieder
ab und erklärte die katholische Kirche als Staats-
religion. Die Karlisten wurden 1876 unterworfen,
die Sonderrechte (Fueros, hauptsächlich eignes
Rechtswesen, Freiheit vom Militärdienst und ge-
wissen Steuern) der baskischen Provinzen und
Navarras aufgehoben und damit die Reichseinheit
hergestellt. 1878 erhielt auch das von Martinez
Campos unterworfene Kuba eine Vertretung im
Parlament. In der äußern Politik schien sich
Spanien an Deutschland und OÖsterreich anlehnen
zu wollen, bis die Karolinenfrage 1885 einen
Bruch der sich anbahnenden Freundschaft brachte.
Alfons XII. starb schon mit 28 Jahren 1885.
Für seinen nachgebornen Sohn Alfons XIII.
führte seine Mutter Marie Christine, Erzherzogin
von Osterreich, die Regentschaft mit konstitutio-
neller Zurückhaltung und politischem Takt. An
der Spitze des Ministeriums standen abwechselnd
der Liberale Sagasta und der Konservative Cano=
vas. Das parlamentarische Leben blieb auch nach
Einführung des allgemeinen Wahlrechts (1890),
für dessen Ausübung dem Volk die Bildung, das
politische Interesse und die Wahlfreiheit fehlt, ein
Possenspiel, vielmehr wechselte die Leitung der
Geschäfte wie in Portugal in regelmäßigem Tur-
nus zwischen den führenden Männern beider Par-
teien. Doch genoß das Land wenigstens verhält-
nismäßige Ruhe, wenn auch Putsche von anarchi-
stischem, karlistischem oder militärischem Charakter
nicht ganz fehlten. Ein Gewinn war es im Grunde,
daß infolge des Aufstands auf Kuba und den
Philippinen und des Kriegs mit den Vereinigten
Staaten die Kolonien verloren gingen. Im Frie-
den von Paris 10. Dez. 1898 mußte Spanien
auf Kuba, Porto Rico und die Philippinen ver-
zichten; seine Besitzungen in der Südsee, die Karo-
Spanien.
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linen, Marianen und Palauinseln, verkaufte es
1899 an Deutschland. Da die westafrikanischen
Besitzungen gering und ziemlich wertlos sind, ist
Spanien aus der Reihe der Kolonialmächte aus-
geschieden.
1902 wurde Alfons XIII. volljährig. Da die
Liberalen seit Sagastas Tod 19083 zerfallen und
regierungsunfähig waren, kamen meistens die Kon-
servativen ans Ruder (1902/05 Ministerium
Maura). Seit 1905 folgten mehrere liberale Ka-
binette, zunächst Moret, der einen neuen schutz-
zöllnerischen Zolltarif (in Kraft 1. Juli 1906)
durchsetzte, dann Lopez Dominguez, der mit seinem
Justizminister Graf Romanones eine kirchenfeind-
liche Politik begann. Nachdem noch mehrere liberale
Kabinette sich versucht hatten, trat Maura Jan.
1907 wieder an die Spitze. Er nahm das Dekret
Romanones“, der auf diesem Weg die fakultative
Zivilehe auch für die Katholiken eingeführt hatte,
zurück und bemühte sich ernstlich um Gesundung
des politischen und sozialen Lebens. Neben der
Sonntagsruhe, die er schon 1904 durchgesetzt
hatte, sind namentlich zu erwähnen die Förderung
der innern Kolonisation (Gesetz vom 30. Aug.
1907), die der erschreckenden Auswanderung ent-
gegenwirken sollte, der Bau von Straßen und
Kleinbahnen und die Unterstützung der Handels-
marine; auf politischem Gebiet das Gesetz über
die Wahlpflicht (8. Aug. 1907), sein Vorgehen
gegen den politischen Terrorismus der Gemeinde-
beamten (Kazikismus) und seine nicht zur Erledi-
gung gelangte Vorlage über Selbstverwaltung und
Dezentralisation. Bei der Mobilmachung für den
unpopulären Feldzug in Marokko brach Juli 1909
in Barcelona und Katalonien ein Aufstand aus
(hauptsächlich wegen des Privilegs, sich um 1500
Pesetas vom Militärdienst loskaufen zu können),
der revolutionären Charakter annahm und von
Greueltaten gegen Geistliche und Ordensleute be-
gleitet war. Einer der Anstifter, Ferrer, wurde
am 13. Okt. erschossen. Die Haltung des Aus-
lands, wo Ferrer als Freiheitsapostel und Opfer
eines Justizmords gefeiert wurde, und das An-
wachsen der republikanischen und sozialistischen
Stimmen beunruhigten den König und ermutigten
die Liberalen. Maura mußte Ende Okt. 1909
zurücktreten. Es folgte wieder ein liberales Ka-
binett Moret, im Febr. 1910 ein weiter links
stehendes Kabinett Canalejas. Canalejas löste im
April die seit Oktober nicht mehr berufene Kammer
auf und schuf sich bei den Wahlen im Mai 1910.
eine Mehrheit.
Von den großen Reformen, die er im Unter-
richts= und Steuerwesen, der sozialen Gesetzgebung
und dem Heerwesen (allgemeine Wehrpflicht) an-
kündigte, ging bisher nur die Progression der Erb-
schaftssteuer, aber weder die Einkommensteuer noch
die Erleichterung der drückenden Verbrauchssteuern
durch. Mit desto größerem Eifer verlegte sich Cana-
lejas auf die Kirchenpolitik. Daß eine Anderung
der bisherigen Beziehungen zwischen Kirche und