Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1297 
Staat sich nicht mehr lange aufhalten lasse, hatte 
auch Maura erkannt und im Juni 1904 eine Re- 
vision des Konkordats mit dem Heiligen Stuhl 
abgeschlossen, die aber im spanischen Senat schei- 
terte. Canalejas führte anfangs die Verhand- 
lungen in Rom weiter, setzte jedoch gleichzeitig eine 
Reihe kirchenpolitischer Maßnahmen ins Werk. 
Das Dekret vom 30. Mai 1910, das allerdings 
das vom Heiligen Stuhl gebilligte Dekret vom 
9. April 1902 nur erneuerte, unterwarf alle Orden 
außer den drei im Konkordat vorgesehenen dem 
Vereinsgesetz vom 30. Juni 1887, wonach ihre 
Niederlassungen die staatliche Genehmigung nach- 
zusuchen, Statuten, Personen= und Vermögens- 
stand einzureichen und Gewerbesteuer zu bezahlen 
haben. Ein Dekret vom 11. Juni 1910 erlaubte 
auch den Akatholiken, ihren Kirchen ein kirchliches 
Außeres zu geben. Ein vom Senat am 4. Nov. 
1910 mit 149 gegen 85 Stimmen, am 23. Dez. 
1910 in der Zweiten Kammer mit 174 gegen 
54 Stimmen angenommenes Sperrgesetz (ley del 
candado) besagt: „Keine neue Vereinigung, welche 
den religiösen Orden oder Korporationen angehört, 
die durch die kanonischen Gesetze anerkannt werden, 
wird errichtet werden, bis ihre rechtliche Lage end- 
gültig geregelt ist, außer mit Genehmigung des 
Justizministers durch königliches Dekret. Diese 
Genehmigung wird nicht erteilt, wenn mehr als 
ein Drittel der Mitglieder der neuen Vereinigung 
Ausländer sind. Dieses Gesetz tritt außer Kraft, 
wenn innerhalb der nächsten zwei Jahre ein neues 
Vereinsgesetz verkündigt worden ist.“ Die Kar- 
listen und Integristen versuchten eine längere Ob- 
struktion in der Kammer; diese aber tagte in 
Nachtsitzungen, weil Canalejas das Gesetz unbe- 
dingt durchsetzen wollte, und so ermüdete die Ob- 
struktion des verhältnismäßig kleinen Haufens 
ziemlich schnell, da das Gros der Konservativen 
sich neutral verhielt. Die Art des Vorgehens, der 
Ton, der vom Ministerium gegenüber den Pro- 
testen des Heiligen Stuhls angeschlagen wurde, 
die Beurlaubung des Botschafters beim Vatikan 
und nicht zuletzt die Unterstützung des Ministe- 
riums durch die äußerste Linke lassen voraussehen, 
daß sich eine Trennung von Kirche und Staat 
vorbereitet (ogl. Sp. 1308). Uberhaupt sind die 
Republikaner und Sozialisten in letzter Zeit noch 
weiter angewachsen und durch den Sturz der 
Monarchie in Portugal (5. Okt. 1910) ermutigt 
worden. 
In der äußern Politik hat Spanien die lange 
beobachtete Isolierung in den letzten Jahren auf- 
gegeben und sich der Entente Englands und Frank- 
reichs angeschlossen. Den Anfang dazu bildeten 
die Geheimverträge mit Frankreich über Marokko 
vom 3. Okt. 1904 und 1. Sept. 1905, worin 
Spanien das Rif als Interessensphäre zugesprochen 
wurde. Auf der Algeciraskonferenz 1906 unter- 
stützte Spanien, die französische Politik und be- 
teiligt sich seitdem an der Hafenpolizei in Marokko. 
Am 31. Mai 1906 vermählte sich der König mit 
Spanien. 
  
1298 
der dem englischen Hof nahestehenden Prinzessin 
Viktoria von Battenberg. Wiederholte Besuche der 
Staatsoberhäupter, Verträge über zwei neue 
Pyrenäenbahnen, das Mittelmeerabkommen Eng- 
lands, Frankreichs und Spaniens vom 16. Mai 
1907, das den Besitzstand der drei Mächte im 
westlichen Mittelmeer garantierte, bekräftigten die 
Freundschaft. Nach einem Geheimabkommen von 
1907 zwischen Spanien und England soll die 
spanische Seemacht mit englischer Hilfe verstärkt 
und jedenfalls in gewissem Grad England zur 
Verfügung gestellt werden; demgemäß bewilligten 
die Cortes im Nov. 1907: 200 Mill. Pesetas zum 
Bau eines neuen Geschwaders und zur Instand- 
setzung der Kriegshäfen und Arsenale von Cädiz, 
Cartagena und Ferrol. Dank dem Wohlwollen 
Frankreichs und Englands gelang es Spanien, 
1909/10 seine Stellung im marokkanischen Rif zu 
verstärken. Während der Herrschaft eines Präten- 
denten im Rif hatten sich von ihm zwei spanische 
Gesellschaften Bergbaukonzessionen erteilen lassen 
und mit Bahnbauten zur Ausbeutung der Erzlager 
bei Melilla begonnen. Die Angriffe der Kabylen 
auf diese Unternehmungen veranlaßten Spanien zu 
einem förmlichen Feldzug (Juli 1909 bis Jan. 
1910) um Melilla. Am 15. Nov. 1910 kam ein 
Vertrag mit Marokko zustande, wonach Marokko 
die spanischen Kriegskosten, 65 Mill. Pesetas, 
binnen 75 Jahren bezahlt und bis dahin den 
Spaniern Verwaltungs= und Polizeirechte in der 
Umgebung seiner Presidios zusichert. 
II. Fläche und Bevölkerung. Das Gebiet 
des spanischen Staats umfaßt 504 536 qkm; 
davon entfallen auf die Provinzen des Festlands 
492 432, auf die Balearen 5014, auf die Ka- 
narischen Inseln, die zum Mutterland gezählt 
werden, 7273 qkm, auf die zur Provinz Cäadiz 
gerechnete Stadt Ceuta in Nordafrika samt Ge- 
biet 6 qkm. Neben der Einteilung in Pro- 
vinzen zu Verwaltungszwecken (s. unten III) hat 
sich im Volksbewußtsein die ältere geschichtlich er- 
wachsene Einteilung in die Landschaften (ehe- 
malige Königreiche und Fürstentümer) Galicien, 
Asturien, Leön, Altkastilien, Neukastilien, Estre- 
madura, Andalusien, Murcia, Valencia, Kata- 
lonien, Aragonien, Navarra und die Baskischen 
Provinzen erhalten. Die ortsanwesende Bevöl- 
kerung betrug 1900;: 18618 086 Einwohner 
(9087 821 männliche, 9 530 265 weibliche), die 
gesetzliche 18 831 574 Seelen (einschließlich der 
nordafrikanischen Presidios). Für Anfang 1900 
wird die Bevölkerung auf 20 068 400 Seelen 
berechnet. Die Dichtigkeit (39 auf 1 qkm) 
nimmt im allgemeinen vom Zentrum des Landes 
nach der Peripherie hin zu; die schwächste Be- 
völkerung haben die Provinzen Soria (15) und 
Cuenca (16 auf 1 qkm), die dichteste Biscaya 
(175), Barcelona (153), Pontevedra (111), 
Guipüzcoa (103), Madrid (108), Coruna (90) 
und Alicante (88). Großstädte sind (nach der 
Zählung von 1900) nur 5 vorhanden: Madrid
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.