Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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diese nicht zur Erschütterung der öffentlich an- 
erkannten Religion benutze (1673), schlug er aus. 
Am 21. Febr. 1677 starb er und wurde vier Tage 
danach in einer christlichen Kirche, der neuen Kirche 
auf dem Spuy, in einem Mietsgrab beigesetzt. 
Erst nach seinem Tod, im Nov. 1677, erschienen, 
von den Freunden, insbesondere von Schuller, 
besorgt, mit einer wahrscheinlich von Jarig Jelles 
(nicht von Lodewijk Meyer) verfaßten Vorrede, ohne 
Angabe des Druckorts, den Namen des Verfassers 
nur durch die Initialen B. p. S. (Benedicti de 
Spinoza) andeutend, die Opera posthuma, dar- 
unter Spinozas Hauptwerk, die Ethica ordine 
geometrico demonstrata et in quinque partes 
distincta, in quibus agitur 1. de Deo, 2. de 
natura et origine mentis, 3. de origine et 
natura affectuum, 4. de servitute humana, 
seu de affectuum viribus, 5. de potentia in- 
tellectus, seu de libertate humana. 
II. Die Grundlage von Spinozas Gedanken- 
welt ist sein Pantheismus. Durch diesen erhalten 
seine Ideen, auch wenn sie, wie vieles in seiner 
Staatstheorie, von andern übernommen sind, ihre 
eigenartige Wendung. Nach Spinozas Lehre, wie 
er sie abschließend in der „Ethik“ entwickelt, gibt 
es nur eine Substanz; was die sinnliche Vor- 
stellung für substantielle Dinge hält, sind nur vor- 
übergehende Modifikationen der einen Substanz, 
gleich dem Wellengekräusel im allumfassenden 
Ozean. Darum sind nach Spinoza Gott und die 
Natur eins. Gott ist die natura naturans, die 
Welt die natura naturata; aber wenn so beides 
auch als Ursache und Wirkung gegenübersteht, so 
ist doch die Ursache nicht außer der Wirkung, 
sondern bleibt in der Wirkung, und darum fallen 
Gott und Natur substantiell zusammen. So stützt 
sich Spinozas Pantheismus auf eine zu enge Fas- 
sung des Ursachebegriffs. Was von dem Verhält- 
nis des logischen Grundes zu der deduktiv aus ihm 
abgeleiteten Folgerung gilt, daß der Obersatz im 
Schlußsatzenthalten ist, das hat er, weil, seinem 
extremen erkenntnistheoretischen Rationalismus ge- 
mäß, ihm das Verursachtwerden dem logischen Ab- 
geleitetwerden gleichsteht, ohne weiteres auch auf 
die reale Ursache übertragen. Nicht nur die Ma- 
terialursache, die ja tatsächlich in das Produkt ein- 
geht, sondern die Ursache überhaupt, insbesondere 
auch die hier in Frage stehende bewirkende Ursache 
läßt er auf Grund seiner Gleichsetzung von logi- 
schem und realem Hervorgehen in der Wirkung 
enthalten sein. — In seiner näheren Durchführung 
stellt der Pantheismus Spinozas einen Typus 
dar, der ebenso charakteristisch ist für seine an 
der Mathematik und Physik orientierte Epoche, wie 
der Pantheismus Hegels für die nachkantische 
idealistische Philosophie. Während Hegel in tita- 
nischem, aber vergeblichem Ringen die gesamte 
Natur= und Geisteswelt als eine durch den dia- 
lektischen Prozeß sich vollziehende Entwicklung von 
der reinen Idee zum absoluten Geist zu be- 
greifen sucht, macht der Pantheismus Spinozas 
Spinoza. 
  
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das All-Eine zu einem unendlichen Mechanis- 
mus, in dem das Geistige und sein Mechanismus 
das Gegenbild zu dem Mechanismus des Körper- 
lichen darstellt. Seine „unendliche Substanz“ ent- 
wickelt sich in den beiden Attributen der Ausdeh- 
nung und des Denkens, die aus der unendlichen 
Fülle der göttlichen Wesensbestimmungen unserer 
Erkenntnis allein zugänglich sind, in zwei Parallel= 
reihen als körperlich-geistiges Universum mit der- 
selben Notwendigkeit, wie aus einem mathemati- 
schen Gebilde dessen Eigentümlichkeiten hervor- 
gehen. 
Auch der Mensch ist als ein Glied in diese not- 
wendige Verkettung hineingestellt. Der Leib des 
Menschen und seine Seele oder sein Geist (mens) 
sind nach Spinoza nicht zwei Substanzen, wie bei 
Plato und Descartes; auch nicht zwei wesensver- 
schiedene Prinzipien der einen Menschensubstanz, 
wie bei Aristoteles und den Scholastikern; vielmehr 
drückt der Körper als (endlicher) Modus der Aus- 
dehnung dasselbe Ding unter dem Attribut der 
Ausdehnung aus, was die Seele als (endlicher) 
Modus des Denkens unter dem Attribut des 
Denkens bezeichnet. Beide befinden sich darum 
in einem Parallelverhältnis zueinander, und zwar 
hat Spinoza, wie es scheint, seine Theorie des 
Parallelismus zwischen den Modi des Denkens 
und den Modi der Ausdehnung gerade von dieser 
anthropologischen Seite her zuerst ausgebildet, im 
Gegensatz zu Descartes, der Leib und Seele aus- 
einanderreißt und sie nur durch die göttliche All- 
macht verbunden sein läßt. Der Geist des Men- 
schen ist nach ihm die auf den Leib als Modus der 
Ausdehnung bezügliche Idee im Gesamtbewußt- 
sein der Welt — „nunendlichen Intellekt“ oder 
„göttlichen Intellekt“ nennt Spinoza dies und faßt 
den „göttlichen Intellekt“ als einen zur natura 
naturata gehörigen „unendlichen Modus“ —, 
und die menschliche Seele ist darum so vollkommen, 
weil der Gegenstand dieser Idee, der menschliche 
Körper, ein im höchsten Grad komplizierter Or- 
ganismus ist. — In der Konsequenz dieser An- 
schauungen würde eine Psychologie liegen, die von 
der des Materialismus nur in der Form, nicht in 
der Sache verschieden ist. Das Psychische ist nur eine 
Wiederholung des Physischen unter einem andern 
Aspekt; es ist im Grund, wie beim Materialis-= 
mus, nur ein hinzutretendes Phänomen, ein Epi- 
phänomen. Wie Spinoza dieser Konsequenz zu 
entgehen suchte, insbesondere durch seine Theorie 
des Selbstbewußtseins als der idea ideae im „gött- 
lichen Verstand“, das kann hier nicht ausgeführt 
werden. Es war möglich nur auf Kosten der Ge- 
schlossenheit seines metaphysischen Parallelismus 
von Ausdehnung und Denken. Jedenfalls aber gibt 
es von Spinozas Standpunkt aus keine Willens- 
freiheit. Dieselbe ist nach ihm eine ebensolche Il- 
lusion wie die Annahme von Zwecken in der 
Natur. Der Mernsch, insofern er als Glied im 
Mechanismus der Natur betrachtet wird, steht 
unter einer durchgängigen Determination; denn
	        
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