Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Teile, kein Aggregat zusammengewürfelter Ele- 
mente, sondern die Teile sind durch das Ganze 
bestimmt, aus dem Ganzen entworfen und in Bau, 
Beschaffenheit und gegenseitiger Anordnung auf 
das Ganze angelegt, welches nach dem Ausdruck 
des Aristoteles früher ist als die Teile. Nur 
durch die zusammenstimmende Tätigkeit der ein- 
ander angepaßten, weil sämtlich zum Ganzen hin- 
geordneten Teile, seiner Glieder und Werkzeuge, 
kann dieses sich entwickeln und erhalten. Ganz 
ebenso ist der Staat durch einen ursprünglichen 
Zweck innerlich bestimmt. Aus ihm erwächst ihm 
das Gesetz seines Aufbaues und seines Lebens. 
Die Menschen sollen sich, über den Familien- 
verband hinaus, zu größeren Gemeinschaften zu- 
sammenschließen, weil nur so die Erfüllung der 
ihnen in der sittlichen Ordnung vorgezeichneten 
Aufgaben möglich ist. Die Bedürfnisse und Natur- 
triebe, welche sie zusammenführen, stehen ganz 
ebenso im Dienst des höheren Zwecks wie die 
physikalischen und chemischen Kräfte, durch welche 
sich Bau und Leben des pflanzlichen und tierischen 
Körpers gestaltet und vollzieht. Nichts wäre 
irriger als die Meinung, die Anerkennung des 
Staats als eines Naturprodukts schließe den 
Zweckgedanken aus. Das Gegenteil ist der Fall. 
Solang man sich begnügt, den Staat einen 
Menschen im großen zu nennen, oder von ihm 
als von einer Gesamtpersönlichkeit spricht, kommt 
man über bildliche Ausdrucksweise nicht hinaus. 
Zur Klarheit des begrifflichen Denkens gelangt 
man dagegen, wenn man im Staat einen in der 
sittlichen Ordnung begründeten und ebendarum 
der Willkür der einzelnen entzogenen dauernden 
Menschheitszweck erkennt. 
Dies ist freilich nur möglich auf dem Stand- 
punkt der theistisch-teleologischen Weltansicht, wie 
das Christentum sie einschließt und voraussetzt. 
Die Berechtigung derselben ist hier — im Staats- 
lexikon — nicht erst zu erweisen. Nur dagegen 
muß Verwahrung eingelegt werden, wenn die 
Meinung besteht, eine solche Weltansicht gehöre 
im besten Fall dem Bereich des religiösen Emp- 
findens, nicht dem des wissenschaftlichen Denkens 
an. Als ob es nicht eine unentrinnbare Forderung 
des Verstands wäre, wie für jedes Gewordene, so 
auch für die als ein Gewordenes erkannte gesamte 
Weltwirklichkeit eine Ursache zu setzen, und ein 
Bedürfnis der Vernunft, diese in Raum und Zeit 
ausgebreitete Weltwirklichkeit als ein Werk der 
Vernunft zu begreifen! Nicht die Wissenschaft, 
sondern ein verbreitetes Vorurteil will den Um- 
fang verstandesmäßiger Erkenntnis auf das Ge- 
biet anschaulicher Erfahrung beschränken und ver- 
pönt jeden Ausblick auf ein dieser Erfahrung ent- 
rücktes Gebiet als unwissenschaftlich, uneingedenk 
des Worts, das Schelling vor 100 Jahren Jacobi 
zurief: „Philosophie ist nur solange wirkliche Philo- 
sophie, als noch Meinung oder Gewißheit übrig 
ist, daß sich durch sie über Dasein oder Nichtsein 
Gottes etwas wissenschaftlich ausmachen lasse."“ 
Staat. 
  
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Von dem angegebenen Standpunkt aus wird 
man somit den Staat zuletzt auf göttliche An- 
ordnung zurückführen. Der Staat, in dem eine 
Vielheit von Menschen zusammenlebt, der sich 
durch ihre Tätigkeit verwirklicht, erhält und aus- 
gestaltet, wird damit zu etwas, was sein soll, 
und die Anforderungen, welche seine Aufrecht- 
erhaltung an die Mitglieder stellt, werden zu 
Pflichten, die im Gewissen binden. Daß er seinen 
Ursprung unmittelbar aus Gott habe, ist da- 
mit nicht behauptet. Es ist nicht das göttliche 
Gebot der Staatengründung in Gestalt eines 
historischen Faktums an die Menschheit heran- 
getreten, sondern dasselbe war wirksam in den 
natürlichen Trieben, welche zur Vergesellschaftung 
führten, und in den Bedürfnissen, welche nur in 
ihr eine ausreichende Befriedigung fanden, ebenso 
wie in der vererbten Gewöhnung und der sich 
steigernden Liebe zum angestammten Gemein- 
wesen, lange bevor die erwachende Reflexion den 
Staat und sein Gesetz auf ihre innere Berechtigung 
prüfte und seinen Zusammenhang mit der höheren 
Ordnung erkannte, in welche das Leben des Men- 
schen eingespannt ist. 
Ist aber der Staat ein in der sittlichen Ord- 
nung begründeter, somit auf göttliche Anordnung 
zurückgehender Zweck, welcher durch die freie 
Tätigkeit des Menschen realisiert werden soll, so 
ist er selbst etwas Gutes und Wertvolles, kein 
bloßer Notbehelf und kein notwendiges Übel und 
am wenigsten seiner Natur nach „sündhaft“. Nur 
völliges Mißverstehen kann zu der immer wieder 
auftauchenden Behauptung führen, nach der Lehre 
der katholischen Kirche oder doch wenigstens nach 
der kirchlichen Lehre des Mittelalters sei der Staat 
nach Charakter und Ursprung etwas Sündhaftes 
(so neuerdings wiederholt Bornhak S. 1 f). Wenn 
in älteren Aussprüchen der Staat nicht selten mit 
der Sünde in Verbindung gebracht wird, so ge- 
schieht dies in doppelter Weise: entweder soll 
darauf hingewiesen werden, daß das unentbehr- 
liche, aber unter Umständen lästig empfundene 
Attribut des Staats, seine Zwangs= und Straf- 
gewalt, im Stand der Unschuld, wo jeder aus sich 
das Gute und Rechte getan haben würde, nicht 
erforderlich gewesen wäre, sondern erst durch die 
Sünde und die daraus hervorgegangene Ver- 
derbnis notwendig geworden ist. Aber weder ist 
damit die Meinung verbunden, daß es im Stand 
der Unschuld einen Staat überhaupt nicht gegeben 
haben würde, eine Meinung, welche schon Tho- 
mas von Aquin ausdrücklich ablehnt (S. theol. 
1, q. 96, a. 4, c.), noch soll behauptet werden, 
daß der Staat in der Gesellschaft, wie er durch den 
Sündenfall notwendig wurde, selbst etwas Sünd- 
haftes wäre. Er ist vielmehr eine gute, auf die 
Durchführung der sittlichen Ordnung und die Ab- 
wehr des Bösen abzielende Einrichtung. Oder aber 
es ist in jenen Aussprüchen die Rede von den ein- 
zelnen geschichtlich gewordenen Staatengebilden, 
und es wird geltend gemacht, daß die Fürsten
	        
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