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Mißachtung desselben die Berufsfreiheit auf-
heben und das Erziehungsrecht der Eltern an sich
reißen wollte, würde schon allein hierdurch sich als
unerträgliche Tyrannei ausweisen.
Ahnlich ist es mit dem Eigentum. Dasselbe
wurzelt im natürlichen Recht, aber erst im Staat
wird es zu der allseitig bestimmten und befestigten
Institution, so zwar, daß nun der Staat selbst sie
respektieren muß und nicht willkürlich ändern kann.
Die Normen, welche der Staat im Namen der
Gemeinschaft für die einzelnen erläßt, binden auch
ihn in seiner Stellung diesen gegenüber. Wenn
auch Fälle eintreten, wo ein an sich begründetes
Recht einem höheren Recht weichen muß, so bleibt
es doch dabei, daß die Anerkennung des Rechts
überhaupt für die Ausdehnung der staatlichen
Kompetenz eine erste Grenze bildet.
Die zweite liegt in der Wertung der Freiheit.
Was dies hier zu besagen hat, bedarf einer kurzen
Auseinandersetzung. In der Familie tritt dem
Staat die ursprünglichste, aber nicht die einzig
mögliche Vergesellschaftung gegenüber. Nur in
primitiven Verhältnissen, in ganz kleinen Gemein-
wesen verbindet die zu staatlicher Einheit zusammen-
gefaßten Bürger zugleich auch die Gleichartigkeit
der Lebensinteressen. Der entwickelte Staat um-
schließt eine Vielheit gesonderter Lebenskreise, deren
Angehörige durch die Ubereinstimmung nicht nur
der wirtschaftlichen, sondern ganz allgemein der
beruflichen Interessen und Tätigkeiten und der
daran sich anschließenden Lebensweise und Lebens-
haltung, der Sitten, Gebräuche und Denkungsart
miteinander verbunden sind, Landwirte und Ge-
werbetreibende, Handwerker und Großindustrielle,
Kapitalisten und Lohnarbeiter, Kaufleute, Ge-
lehrte, Künstler, und was sich sonst noch aufzählen
läßt, Klassen und Stände, lose Gruppen oder feste
Vereinigungen. Den Inbegriff all dieser Lebens-
kreise pflegt man mit dem Namen der Gesellschaft
im Unterschied vom Staat zu bezeichnen. Dabei
handelt es sich nicht um eine bloße Namengebung.
Die Gesellschaft vom Staat unterscheiden heißt
der ersteren, oder richtiger, den darunter zusammen-
gefaßten Bestandteilen ein selbständiges, vom
Staat unabhängiges Leben aus eignen Kräften,
Organen und Funktionen zuschreiben. Und hieran
ist festzuhalten, nur daß damit, wie sich aus dem
früher Gesagten ergibt, nicht die weitere Meinung
verbunden werden darf, als ob der Staat die Ge-
sellschaft nun vollkommen sich selbst überlassen solle
und ihm eine positive Stellungnahme ihr gegen-
über nicht zukäme. Er hat nicht etwa nur den
festen Rahmen abzugeben, der die verschiedenen
gesellschaftlichen Bildungen von außen her zur
Einheit zusammenfaßt, und innerhalb dessen diese
letzteren den Kampf ihrer vielfach einander wider-
streitenden Sonderinteressen selbständig auszu-
fechten haben, vielmehr eignet ihm als dem Ver-
treter der ein zusammengehöriges Ganzes bilden-
den Allgemeinheit die Leitung, Förderung und
Ausgleichung dieser verschiedenen Interessen im
Staat.
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Sinn der gemeinen Wohlfahrt. Damit ist der
Begriff der Sozialpolitik in seiner ganzen und
umfassenden Bedeutung, gleichzeitig aber auch die
Verwerfung jedes autoritären oder Staatssozialis-
mus ausgesprochen. Der letztere will die volle
staatliche Souveränität auf das soziale, vorzüglich
auf das wirtschaftliche Gebiet, und zwar seinem
ganzen Umfang nach erstrecken, so daß dem Staat
nicht nur die Reglung des gesamten Verhältnisses
zwischen Arbeiter und Unternehmer zusteht, son-
dern auch die Überleitung beliebiger Teile der
Gütererzeugung und des Verkehrs unter seine
Oberleitung oder auch in seinen eignen Betrieb in
seiner Befugnis liegt.
Hiergegen nun ist im Namen der Freiheit die
nachdrücklichste Verwahrung einzulegen. Die
Durchführung dieses Programms würde nicht
etwa bloß einen Rückfall in den alten in alles
hineinregierenden Polizeistaat bedeuten, sondern
eine völlige Absorption der Gesellschaft durch den
Staat und damit eine Steigerung der staatlichen
Macht, welche alles selbständige Leben der Glieder
ertötete. Auf dem hier vertretenen Standpunkt
gilt zunächst, daß der Staat nur insoweit in das
durch den Arbeitsvertrag geregelte Verhältnis
zwischen Arbeiter und Unternehmer einzugreifen
hat, als er von dem letzteren Maßregeln und Ein-
richtungen verlangt, welche die Rechte der Arbeiter
in dem früher angegebenen Sinn zu schützen be-
stimmt sind. Soll darüber hinausgegangen wer-
den, so wird man sich nicht begnügen, nur etwa
diejenige Arbeitszeit gesetzlich festzulegen, welche
der durchschnittlichen Leistungsfähigkeit der Ar-
beiter entspricht, deren Überschreitung daher eine
Beeinträchtigung ihres Rechts auf Leben und Ge-
sundheit einschließt, sondern es wird, ohne daß
eine Grenze zu finden wäre, rücksichtslose Inter-
essenvertretung auf der einen und humanitärer
Idealismus auf der andern Seite auf die Einfüh-
rung eines möglichst kurz bemessenen Normal-
arbeitstags drängen. Weitaus am wichtigsten aber
ist natürlich die Lohnfrage. Wenn der Staat das
Arbeitsverhältnis nach seinem ganzen Umfang
regeln soll, so wird er vor allem den Arbeitslohn
gesetzlich vorschreiben müssen, und nicht etwa nur
einen Minimallohn, entsprechend dem Existenz-
minimum des Arbeiters — das ließe sich auch
nach den hier vertretenen Grundsätzen sehr wohl
verteidigen —, sondern den jeweils angemessenen
Lohn. Aber wonach soll sich die Höhe desselben
bestimmen? Heute geschieht dies durch das Ver-
hältnis von Angebot und Nachfrage, also zuletzt
und jedenfalls für den Arbeiter der Großindustrie,
der ja immer zuerst, wenn nicht ausschließlich ins
Auge gefaßt wird, durch die Lage des Weltmarkts,
von welcher überhaupt Umfang und Richtung der
Produktion abhängen. Soll statt dessen der Staat
den Lohn autoritativ festsetzen, so ist dies nicht
möglich, solange die heutige „anarchische“, der
freien Berufswahl wie dem Erwerbstrieb und dem
Unternehmungsgeist der Privaten überlassene Pro-