1403
ein. Entstanden sind dieselben durch Verträge der
verbündeten Staaten. Das Deutsche Reich
ist nach seiner Verfassungsurkunde vom 16. April
1871 ein Bundesstaat. Es umfaßt 25 Staaten,
das Reichsland Elsaß-Lothringen mit Schutz-
gebieten in fremden Erdteilen. Die gesetzgebende
Gewalt wird ausgeübt von dem Bundesrat als
dem Vertreter der Regierungen der Einzelstaaten
und dem vom Volk gewählten Reichstag; die
vollziehende Gewalt steht dem Kaiser und dem
Bundesrat zu. Diese sind eigne Organe des
Reichs. Im Bundesrat stimmen die Vertreter
der Bundesstaaten nach den ihnen von ihren Re-
gierungen erteilten Instruktionen, für welche die
Regierungen ihren Volksvertretungen politisch ver-
antwortlich sind. Ein eigentliches Bundesgericht
besteht im Deutschen Reich nicht; manche Streitig-
keiten gehören vor das Reichsgericht oder den Bun-
desrat, andere vor die dafür eingerichteten, dem
Reichsamt des Innern unterstellten Reichsämter.
Die vornehmste Aufgabe des Reichs ist der Schutz
des Bundesgebiets; damit hängt seine Militär=
hoheit und sein Besteuerungsrecht zusammen. Die
Zuständigkeit des Reichs für die innern Verhält-
nisse bestimmt das Reich, so daß nach Labands
Ausdruck die gesamte Rechtssphäre der Einzel-
staaten zur Disposition des verfassungsmäßig er-
klärten Willens des Reichs steht. Die Reichsgesetze
gehen den Landesgesetzen vor; die Herrschermacht
des Reichs ist wirksam auch gegen den Willen der
einzelnen Bundesregierungen, sie schließt deren
Gesetzgebung aus, wo sie die Reglung der Ver-
hältnisse ergreist. Das Reich hat die Aussicht und
die Kontrolle über die Durchführung der von ihm
erlassenen Gesetze. Die Rechte der Einzelstaaten
sind für alle gleichmäßig Mitgliedschaftsrechte, für
einzelne Mitgliedschaftsvorrechteund Reservatrechte.
Die Mitgliedschaftsrechte können durch Gesetz ab-
geändert werden, das gleiche gilt von den Mitglied-
schaftsvorrechten, wie den Präsidialrechten Preußens
und dem Recht Bayerns auf Vertretung des Reichs-
kanzlers im Bundesratsvorsitz. Das Abänderungs-
gesetz ist als Verfassungsgesetz gescheitert, wenn im
Bundesrat 14 Stimmen dagegen abgegeben werden.
Die Reservatrechte sind abänderbar nur mit Zu-
stimmung des berechtigten Einzelstaats, weil sie
dem Einzelstaat verblieben sind, dem sie schon vor
der Verfassung zugestanden haben.
Die Schweiz ist seit der Bundesreform vom
12. Sept. 1848 Bundesstaat. Die Gesetzgebung
des Bundes steht der Bundesversammlung zu,
welche durch den Ständerat und den Nationalrat
gebildet wird; die vollziehende Gewalt übt der
Bundesrat durch den Bundespräsidenten und Vize-
präsidenten aus. Das Militärwesen, ein Teil des
Besteuerungsrechts und das bürgerliche Recht
find Bundesangelegenheiten. Mit jeder Abände-
rung seiner Verfassung erweitert der Bund seine
Zuständigkeit; ein Gewinn der Reform von
1874 war die bessere Organisation des Bundes-
gerichts.
Staatenverbindungen.
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Die Vereinigten Staaten von Amerika
sind seit der Unionsverfassung Bundesstaat. Der
Union steht das Kriegs-, Vertrags= und Gesandt-
schaftsrecht, also die Vertretung nach außen, die
Militärhoheit, ein beschränktes Besteuerungsrecht
und die Reglung des Handels zu. Die gesetz-
gebende Gewalt übt der Kongreß aus, welcher
aus dem Senat und dem Repräsentantenhaus be-
steht. Maßgebend für die Kompetenz der Gesetz-
gebung des Bundes und der Unionsstaaten ist die
Bundesverfassung mit den dazu ergangenen Ge-
setzen; sie setzt die Zuständigkeit der Staaten als
Regel voraus und überläßt diesen die Gesetz-
gebungsgewalt, soweit sie nicht dem Bund durch
die Verfassung überwiesen ist. Die vollziehende
Gewalt steht dem Präsidenten zu, Bundesgericht
ist das Supreme Court.
Die Verfassung des kanadischen Bundes
datiert vom 1. Juli 1867, dem Tag der Ver-
fassung des Norddeutschen Bundes. Der Bund
steht unter englischer Oberhoheit, die sich auf die
Schließung eines Zoll= und Kriegsvereins be-
schränkt. Die romanischen Bundesrepubliken von
Mexiko und Argentinien haben sich in ihren
Bundesverfassungen vom 12. Febr. 1857 (Mexiko)
und 25. Sept. 1860 (Argentinien) an das Muster
der Verfassung der Vereinigten Staaten von
Amerika angeschlossen.
Staatenbündische Verfassungen hatten die Re-
publik der vereinigten Niederlande, die Eidgenos-
senschaft vor 1848, der Deutsche Bund bis 1866
und Nordamerika während der Geltung der Kon-
föderationsakte vom 17. Sept. 1787. Nicht unter
den Begriff der Staatenverbindung fallen die
Nebenländer und Kolonien im Verhältnis zum
Haupt= und Mutterland sowie die Einverleibung
fremder Staaten oder von Teilen derselben in
einen Einheitsstaat, weil sowohl die Nebenländer
und Kolonien wie die annektierten Länder keine
selbständigen Staaten sind oder bleiben, sondern
Teile des Einheitsstaats werden. Beispiele bietet
Rußland in seinem Verhältnis zu Finland und
Polen, Ungarn in seinem Verhältnis zu Kroatien
und Slavonien. Wohl aber kann die vertrags-
mäßige Okkupation und die Übernahme eines
Staats in Verwaltung, wie solche im Verhältnis
Englands zu Cypern, Frankreichs zu Tunis vor-
liegen, als Staatenverbindung im weiteren Sinn
aufgefaßt werden.
Nichtorganisiertestaatliche Verbindungen sind die
völkerrechtlich begründeten Protektorate und
der Staatenstaat. Erstere beruhen auf einem
Vertrag, durch den ein mächtigerer Staat sich
verpflichtet, einen schwächeren gegen äußere An-
griffe zu schützen, wogegen dieser sich von jenem
sein Verhalten zu andern Staaten vorschreiben
lassen und ihm außerdem als Gegenleistung für
die Schutztätigkeit andere Vorteile gewähren muß.
Die Protektorate sind eine Form der Kolonisation;
ob der beschützte Staat seine Souveränität behält
oder aufgibt, bestimmt der das Protektorat be-